Auf der Couch der Psychologin
Eine junge Frau hat sich offenbar das Leben genommen. Sie wird im Spreewald tot aus einem Weiher geborgen. Bei einem Autounfall vor fünf Jahren hat sie ihre neun Monate alte Tochter verloren. Sie selbst saß am Steuer – eine schwere Schuld lastete seitdem auf der übersensiblen Frau. Schon während der Schwangerschaft war sie in psychotherapeutischer Behandlung, da sie von der Vorahnung geplagt wurde, ihr Kind werde sterben. Auch ein aufstrebender Provinzpolitiker, der von bedrohlichen Träumen und Todesängsten heimgesucht wird, ist Patient in derselben Praxis. Und selbst Kommissar Krüger findet des Öfteren den Weg zu jener Frau Dr. Trumaschek, da er glaubt, dort neben Psychologenstuhl und Patientencouch Antworten auf den mysteriösen Todesfall zu bekommen, hinter dem vielleicht doch kein Suizid steht. Bei der Obduktion jedenfalls stieß man auf halluzinogene Pilze.
Der Spreewald und die angeschlagenen Seelen
Nach „Mörderische Hitze“, dem mehrfach preisgekrönten „Spreewaldkrimi“, der ein gesellschaftspolitisches Psychodrama erzählt, dringt „Die Tote im Weiher“, der siebte Film der ZDF-Reihe, vor allem tief und berührend in die Seelennöte seiner Protagonisten ein. Da sind Menschen, die von Schuldgefühlen zerfressen werden, die getrieben werden von ihrem Gewissen. Eine Mutter, die Angst hat und darunter leidet, dass ihr eine lebenswichtige Erinnerung fehlt. Ein Politiker, der sein Ehrenwort gibt und sich in seiner Haut und seinem Heim nicht mehr zuhause fühlt. Da sind Menschen, die etwas erahnen oder vorhersehen. Eine Psychologin, die ihr Wissen zurückhält. Und ein Kommissar, der die psychotherapeutische Praxis – ganz bewusst – mit einem Zögern betritt. Er überschreitet eine Schwelle nicht nur in Bezug auf das Leben der toten Mutter, sondern auch in Bezug auf seine eigene Biographie. Auch er hat schon so seine Erfahrungen gemacht mit diesen Klempnern der Seele.
Autor Thomas Kirchner über den siebten „Spreewaldkrimi“:
„Für das Verstehen der Spreewaldkrimis, ihre reflexive Erzählweise, dem Eindringen der Vergangenheit in die Gegenwart, muss man erinnern können. Was passiert aber, wenn man den entscheidenden Moment nicht mehr erinnern kann? Dann sind die Fäden aus dem eigenen Leben gekappt, man fällt sozusagen ins ewige Vergessen, aus der erklärbaren Welt in ein dunkles Etwas, wo alles möglich ist. Verzweifelter und einsamer kann ein Mensch nicht sein.“„Auch wenn dieses Mal nicht allzu viel ‚Spreewald’ in den Bildern stecken mag, steckt doch besonders viel ‚Spreewald’ in den Charakteren.
Märchenwald-Romantik und Wahrnehmungsmodi
Mehr noch als andere der stets sehr assoziativ und suggestiv erzählten „Spreewaldkrimis“ erschafft sich „Die Tote im Weiher“ eine eigene Wirklichkeit – und wirkt der (physischen) Realität seltsam enthoben. Motive und Metaphern der deutschen Romantik beleben das Szenario von Autor Thomas Kirchner: das erwähnte „Überschreiten einer Schwelle“, der Wald, der durch den Traum zum Märchenwald mutiert, der starke Hang zur Innerlichkeit und zum Ominösen, das Verschwimmen von Realem und Einbildung. Die Inszenierung von Sherry Hormann fällt dementsprechend rätselhafter und etwas dunkler aus, sie ist getragener als beispielsweise die der letzten in hipper, amerikanischer Bildästhetik gestalteten Episode von Kai Wessel. Entscheidend für die Wirkung des Films – das ist ja das Alleinstellungsmerkmal der „Spreewaldkrimis“ – ist die verschachtelte (keineswegs zu chiffrierte) Dramaturgie mit ihren Sprüngen durch die Zeiten. In den Geschichten der ZDF-Reihe wird alles zu einer Frage der Wahrnehmung. Das unchronologische Erzählen ermöglicht neue „Verknüpfungen“ im Kopf des Zuschauers. Die Inhalte werden beim Sehen anders akzentuiert. Das Haupt-Augenmerk fällt hier nicht mehr auf das, was man Handlung nennt, sondern auf Stimmungen, auf Zwischentöne im Umgang der Menschen, auf filmsprachlich erzeugte Atmosphäre.
Die Aura des Fiktionalen schwingt ständig mit
Das, was Kirchner uns hier über den Zeitraum von fünf Jahren erzählt, würde im Rahmen der klassischen linearen Dramaturgie überaus konstruiert erscheinen. Auch wäre ihr krimitypisch starrer Blick auf den Ausgang kontraproduktiv in Bezug auf die (Seelen-)Tiefe der Figuren. Das Springen durch die Zeiten, diese „unrealistische“ Erzählstruktur, hat zudem den Vorteil, dass dem Zuschauer unterschwellig deutlich vermittelt wird, dass er sich hier in einem Film befindet, für den ein Autor eine erfundene Geschichte in eine künstlerische Form gebracht hat. Die Aura des Fiktionalen, die der Stoff deutlicher atmet als ein durchnittlicher TV-Krimi, wird dadurch noch verstärkt. So dürfte selbst der größte Realitätsfetischist nicht mit dem Vorwurf „unglaubwürdig“ oder eben „überkonstruiert“ gegen den Film argumentieren. Diese Durchdringung der Zeiten erzeugt außerdem Distanz zum Geschehen. Bei der emotionalen Story von der in eine Angstpsychose treibenden Mutter hilft das somit, die Berührung des Zuschauers nicht ins Rührselig-Dramatische abdriften zu lassen. Hormann und vor allem Episoden-Hauptdarstellerin Anna Maria Mühe setzen auf Emotion und Empathie, die kluge Dramaturgie sorgt dafür, dass die Geschichte nicht in einem Meer der Tränen untergeht.
Fazit: „Die Tote im Weiher“ ist ein dramaturgisch komplexes, emotional berührendes, schaurig-schönes TV-Trauerspiel um Angst, Schuld, Vergebung, Liebe und den Verlust des Erinnerns. Ein Film der herbstlichen Gefühle, der vor allem dem Freund der deutschen Romantik Kopffutter bietet und durch seine halluzinogenen Bildmontagen besticht, die das Motiv der Erinnerung geradezu selbstreferentiell thematisieren. (Text-Stand: 26.10.2014)