Spreewaldkrimi – Die siebte Person

Redl, Becht, Merten, Osburg, Lotz. Seelenversteher trifft multiple Persönlichkeit

Foto: ZDF / Armin Thomaß
Foto Rainer Tittelbach

Im Mittelpunkt des fünfzehnten „Spreewaldkrimis – Die siebte Person“ (ZDF / Network Movie) steht eine gespaltene Personlichkeit. Bei der schwer traumatisierten jungen Frau schlagen allerdings nicht zwei, sondern sechs, vielleicht sogar sieben Herzen in ihrer Brust. Der filmische Clou: Man sieht nicht nur die in ihrer Rolle mit ihren Ichs kämpfende Friederike Becht, sondern jede Person dieses „Patchworkmenschen“ wird gelegentlich von anderen Schauspieler*innen verkörpert. Dass das Phänomen dissoziative Identitätsstörung früh beim Namen genannt wird und somit als Kernmotiv die Handlung offen mitbestimmt, ist die besondere Stärke dieses Krimi-Dramas. Und doch resultiert die Spannung nie allein aus dieser seltsam bizarren, vielschichtigen Persönlichkeitsstruktur. Die Narration wirkt vielmehr wie ein magisches psychologisches Kraftfeld, in dem Emotionen, insbesondere das Mitgefühl für das Opfer, mit Bechts Physiognomie und den offenen kriminalistischen Fragen verschmelzen. Filmisch ist „Die siebte Person“ im Vergleich mit früheren Episoden der Reihe eher zurückhaltend inszeniert. Dies ist jedoch kein Makel. Regisseur Lars-Gunnar Lotz gibt so den Figuren und ihren Abspaltungen mehr Raum und sorgt nicht auch noch für zusätzlich verwirrende ästhetische Reize. Der Plot bietet ja schon genug Futter zum Mitdenken.

Eine junge Frau stakt nachts durchs Fließ. Sie wirkt angespannt, gehemmt, innerlich zerrissen. Die Mitfahrenden scheinen etwas von ihr zu erwarten. „Ich muss da jetzt hin“, beschließt sie. Minuten später brennt ein Ferienhaus. Dieselbe Frau taucht wenig später bei Krüger (Christian Redl) auf, dem pensionierten Kommissar, der noch immer mitten im Spreewald wohnt, und prophezeit einen Mord. Der Mann, ein Lokalpolitiker, wird tatsächlich wenig später erwürgt aufgefunden. Für Fichte (Thorsten Merten) und Luise Bohn (Alina Stiegler) ergibt sich zunächst kein Zusammenhang zwischen Brandstiftung und Mord. Erst als Krüger auf die psychisch kranke Maya Wiechmann (Friederike Becht) stößt, ergibt sich eine Verbindung zwischen den Fällen. Doch die Befragungen der schwer traumatisierten jungen Frau erfordert äußerstes Fingerspitzengefühl. Die Psychologin Jenny Trumaschek (Birge Schade) erklärt warum: Maya ist eine gespaltene Persönlichkeit, bei der nicht zwei, sondern sechs Personen im Widerstreit stehen, alte, junge, männliche, weibliche. Die Persönlichkeitsaufspaltung sei ein seelischer Schutz vor der in der Kindheit erfahrenen Gewalt. Offenbar sei eine siebte Persönlichkeit im Begriff, von Maya Besitz zu ergreifen. Möglicherweise ist diese das Täter-Ich. Ist sie in Gestalt des aggressiven Micha Zander (Oleg Tikhomirov) heimgekehrt?

Spreewaldkrimi – Die siebte PersonFoto: ZDF / Armin Thomaß
Fichte (Thorsten Merten), Ex-Kommissar Krüger (Christian Redl) und Luise Bohn (Alina Stiegler) ergänzen sich, haben jedoch weniger zu tun als gewöhnlich. Die Handlung wird nicht von den Ermittlern, sondern von der Episodenhauptfigur bestimmt. Das ist nicht die einzige gute Variation eines klassischen Krimimusters.

Es ist eine faszinierende Geschichte, die sich Autor Nils-Morten Osburg für den fünfzehnten „Spreewaldkrimi“ ausgedacht hat, den zweiten der nicht mehr auf das Konto seines Erfinders Thomas Kirchner geht. Aber auch für die Umsetzung haben er und Regisseur Lars-Gunnar Lotz, die bereits bei „Tage des letzten Schnees“ und „Das Licht in einem dunklen Haus“ hervorragend zusammengearbeitet haben, sich Ungewöhnliches ausgedacht: So sieht man als Zuschauer nicht nur die gespaltene Persönlichkeit mit ihren Ichs in Gestalt von Episodenhauptdarstellerin Friederike Becht kämpfen, sondern jedes Ich wird auch gelegentlich von anderen Schauspieler*innen verkörpert: Da ist das Kind, das mit einem Puppenhaus spielt und von Nutella träumt, da ist die freizügige, sexbetonte junge Frau (Anna Herrmann), das brave, schuldbewusste Mädchen (Lovisa Hamann), die forsche Kämpferin (Yun Huang) oder „der Flüsterer“ (Philipp Hochmair), offenbar das Täter-Ich, der Trauma-Verantwortliche, den Maya als Teil ihrer Identität nicht loswird. Es ist die große Stärke von „Die siebte Person“, dass das Phänomen dissoziative Identitätsstörung bereits im ersten Drittel des Films beim Namen genannt wird und somit als narratives und thematisches Kernmotiv die Handlung offen mitbestimmt. So wird das Krankheitsbild nicht wie in anderen Krimis dem Whodunit geopfert und nicht als Mittel zum Spannungszweck missbraucht. Apropos: Dass das Trauma mit einem „Missbrauchskomplex“ im Zusammenhang steht, wird ebenfalls früh angedeutet.

Spreewaldkrimi – Die siebte PersonFoto: ZDF / Armin Thomaß
Kein leichtes Leben: Fast immer hat Maya (Friederike Becht) ihre abgespaltenen Persönlichkeiten im Schlepptau – und jede hat andere Ansichten und Antriebe. Sibil Limird, Frida-Lovisa Hamann, Philipp Hochmair, Yun Huang und Anna Herrmann

Und doch resultiert die Spannung nie allein aus dieser seltsam bizarren, vielschichtigen Persönlichkeitsstruktur. Die Narration wirkt vielmehr wie ein magisches psychologisches Kraftfeld, in dem Emotionen, insbesondere das Mitgefühl für das Opfer Maya, mit den offenen kriminalistischen Fragen verschmelzen. Anzunehmen, dass in der jungen Frau möglicherweise eine Mörderin steckt, klärt ja noch nicht das Rätsel, wer von den sechs oder gar sieben Persönlichkeiten die Tat begangen hat. Der Whodunit wird in „Die siebte Person“ also durchaus am Leben gehalten. Ein essenzieller Bestandteil dieses magischen Kraftfelds ist Friederike Becht. Spezialisiert auf traumatisierte oder zumindest nachdenklich leidende, schmerzlich auf ungute Erfahrungen zurückgeworfene Frauen, wies ihr Spiel in Top-Produktionen wie der Serie „Parfum“, „Plötzlich so still“, „Schneller als die Angst“ oder „So laut du kannst“ bisher keine große Variationsbreite auf, was in erster Linie an den ähnlichen Rollenprofilen lag. In diesem „Spreewaldkrimi“ schlagen nun nicht nur ein oder zwei, sondern, ach, sechs oder sieben Herzen in der Brust ihrer Figur, was sie immer wieder eindrucksvoll zeigen darf. Es ist ein bewegendes Wechselspiel aus Sanft- und Schwermut, aus Momenten der Ruhe und des Kampfes, ja sogar ein Lächeln huscht ihr mitunter über das Gesicht („Ich freu’ mich, dass der Herr Kommissar heute kommt“). Ihre Maya kann aber auch ganz anders („Ja, ich hab‘ Lust, mal so wieder richtig hart durchgefickt zu werden“). Und Bechts Physiognomie, ihre Zartheit, Schönheit, ihr Hang zur Entrücktheit, beleben dieses Kraftfeld, anstatt es in deutschem Tiefsinn erstarren zu lassen.

Spreewaldkrimi – Die siebte PersonFoto: ZDF / Armin Thomaß
Das Drama wird nicht dem Krimi geopfert. Und trotzdem bleibt das Prinzip des Whodunit auf ungewöhnliche Art bestehen. Eine der Abspaltungen, um das Trauma aus der Kindheit zu verdängen, ist „der Flüsterer“ (Philipp Hochmair). Er versucht ständig, das „Mädchen“ Maya (Becht) zu manipulieren. Er scheint das Täter-Ich zu sein, das die junge Frau nicht aus ihrem Unterbewusstsein bekommt. Dass es sich bei der Tat um Kindesmissbrauch handelt, wird auf der Handlungsebene früh angedeutet.

Filmisch ist „Die siebte Person“ im Vergleich mit früheren „Spreewaldkrimis“ eher zurückhaltend inszeniert. Dies ist allerdings kein Makel. Im Gegenteil. Regisseur Lars-Gunnar Lotz gibt so den Figuren und ihren merkwürdigen Abspaltungen mehr Raum und sorgt nicht auch noch für zusätzliche verwirrende ästhetische Reize. Auch das Spiel mit den Zeitebenen, das Thomas Kirchner in seiner Komplexität zum Alleinstellungsmerkmal der ZDF-Reihe machte, hat Autor Osburg auf ein leicht verständliches Maß zurückgefahren. Bei dieser psychologisch elaborierten Geschichte sicherlich die richtige Entscheidung. Ohnehin hält der Plot auf der Zielgeraden noch eine schicksalsträchtige Wendung parat, die einen Großteil der bisherigen Handlung deutlich in Frage stellt. Das Mehrwissen des Zuschauers gegenüber den Figuren, ein wesentlicher Baustein der Erzählstrategie, wird zum Teil als Fake entlarvt. Das wirkt hier allerdings nicht wie ein dramaturgischer Trick eines Autoren-Gotts, da diese Umkehrung der Dinge, mit dem narrativen Zentrum des Films, der multiplen Persönlichkeit, wie man es früher nannte, (psycho)logisch korrespondiert. Ein gewisses Maß an geistiger Flexibilität ist für den vollen Genuss der Geschichte allerdings durchaus hilfreich. Bei einem Film, in dem die Hauptfigur ständig ihre Identitäten wechselt, darf man ein solches Mitdenken durchaus verlangen. Wer sich allerdings am Ende nicht retrospektiv in die entscheidende Wendung der Geschichte reinfuchsen möchte, dem bleibt eine wunderbare Schlusseinstellung, die Mut macht und in der Seelen(pein)versteher Krüger eine bestimmende Rolle zukommt.

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Reihe

ZDF

Mit Christian Redl, Friederike Becht, Thorsten Merten, Alina Stiegler, Birge Schade, Oleg Tikhomirov, Philipp Hochmair, Yun Huang, Lovisa Hamann, Anna Herrmann, Thomas Lawinky, Ludwig Blochberger

Kamera: Julia Daschner

Szenenbild: Heike Wolf-Aury

Kostüm: Petra Fichtner

Schnitt: Stefan Stabenow

Musik: Matthias Weber

Redaktion: Pit Rampelt

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Wolfgang Esser

Drehbuch: Nils-Morten Osburg – Mitarbeit: Wolfgang Esser

Regie: Lars-Gunnar Lotz

Quote: 5,30 Mio. Zuschauer (18,5% MA)

EA: 21.01.2023 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

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