Krüger (Christian Redl), dem ehemaligen Kommissar, der noch immer in einem Bauwagen mitten im Spreewald wohnt, kündigen sich die Vorboten einer Katastrophe an. Ein Wirbelwind erfasst das Fließ, lässt ein Boot unbeschädigt, doch der Fährmann (Lucas Lentes) zeigt sich ihm mit blutverschmiertem Gesicht. Später bei einem Polterabend am Fließ ist es eben jener Fährmann, der nach einer Explosion im Flammenmeer stirbt, andere sind schwer verletzt, und der Bräutigam liegt im Koma. Ob Unfall oder gezielter Anschlag – zum Ermitteln steht keinem der Sinn. Fichte (Thorsten Merten) hat sich nach einem Krankenhausaufenthalt Urlaub genommen, und die schwangere Luise Bohn (Alina Stiegler) sitzt noch die Beerdigung ihrer Mutter und das Wiedersehen mit ihrem Vater (Sascha Gersak), dem Ex-Polizist, den sie einst hinter Gitter gebracht hat, in den Gliedern. Dennoch macht sie sich pflichtbewusst an die Arbeit. „Viele Fragen, keine Antworten“, resümiert sie am Abend. Derweil kam es zu Begegnungen von Krüger und Fichte mit der Braut, die wenig Erinnerung an den Polterabend hat. Krüger findet jene Fina Jurisch (Mercedes Müller) bewusstlos in der Nähe seines Bauwagens. Fichte trifft auf die junge Frau, als sie bereits polizeilich gesucht wird. Weil er sie für unschuldig hält, versteckt er sie vor seiner eifrigen Kollegin.
Foto: ZDF / Arnim Thomaß
Winterlich nasskalt und wenig einladend wirkt im sechzehnten „Spreewaldkrimi“ (Buch & Regie: Jan Fehse) der titelgebende Landstrich. Das passt zum Subtext: Die Geschichte kreist um Einsamkeitsgefühle. Die Braut, eine Journalistik-Studentin, hat Krüger und Fichte bereits im Frühjahr getroffen. Sie wollte etwas schreiben über diese lebende Legende des Spreewalds, diesen ehemaligen Verbrecherjäger, der sich weitgehend von der Zivilisation zurückgezogen hat. „Einsamkeit entsteht in Menschen, nicht in Orten“, diktierte er ihr damals in den Notizblock. Sie rezitierte Rilke – und ein gutes halbes Jahr später ist die empfindsame junge Frau, die noch so überglücklich strahlte, als ihr Freund Marc (Max Krause) mit Gitarre und Gesang um ihre Hand anhielt, mindestens so einsam wie Krüger. Verloren und verlassen fühlte sie sich bereits nach einem heftigen Streit mit ihrem Zukünftigen am Polterabend. Offenbar wurde von ihrem Handy die Bombe gezündet. Sie habe es verloren. Die Männer wollen ihr glauben. Kann eine Liebhaberin schöngeistiger Lyrik eine Mörderin sein? Selbst Luise Bohn ermittelt verstärkt in die Richtung des „Aktionsbündnis nachhaltiger Spreewaldtourismus“. Denn im Frühjahr lernte Fina Jurisch nicht nur das Opfer kennen, sondern auch den Fährmann Heiko Lotz (Henning Flüsloh); und sie beeindruckte beide noch stärker als die alten Männer.
„Spreewaldkrimis“ sind selten spannend im Sinne von Krimi-Dramatik & Thrill. Bei Fichte & Co sind es die Beziehungen, die tragischen Verstrickungen und psychologischen Finessen, die fesseln. In „Bis der Tod euch scheidet“ ist es die vielschichtige Episodenhauptfigur, bei der alle Fäden zusammenlaufen; Fina Jurisch, die man zu Beginn des Filmes sieht, wie sie Gewalt gegen einen jungen Mann anwendet, ist schwer zu fassen und gerade deshalb so faszinierend. Die Spannung dieses „Spreewaldkrimis“ resultiert nicht aus der Frage „Wer war’s“, sondern eher aus dem Wunsch, dass diese verstörte und schon genug emotional gebeutelte Frau doch hoffentlich nicht die Person ist, die die Bombe gezündet hat. Dass Mercedes Müller die Figur verkörpert, trägt viel zu dieser Wirkung bei; auch wenn sie sich von der Rolle des Schönchen, das beschützt werden muss, schon früh freigespielt hat, und in „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“ (2023) Geschichte & Historie aktiv in die Hand genommen hat. In dieser Krimi-Reihe aber wirken andere Kräfte, die – egal, ob Mann oder Frau – schwer zu besiegen sind. Man kann es altmodisch Schicksal nennen oder Verkettung unglücklicher Zufälle, am Ende obsiegt die Tragödie. Doch es Lichtblicke in einer Welt, in der nicht jeder einsam sein muss.
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Das dramaturgische Herzstück von „Bis der Tod euch scheidet“ sind die intensiven Zwei-Personen-Szenen. Das mag auch produktionstechnische Gründe haben, vor allem aber vertiefen diese stillen Duette zwischen der jungen Frau und den alten sowie den jungen Männern das Drama und die Charaktere. In einem Gespräch wird sogar die typische Erzählweise dieser auch in der Nach-Thomas-Kirchner-Zeit außergewöhnlichen Krimi(drama)-Reihe reflektiert: „Was einen beeindruckt, sind oft die großen Geschichten, was einen dagegen berührt, ist die Wahrhaftigkeit in scheinbar kleinen Geschichten.“ Man kann es nicht besser sagen. Und dazu Mercedes Müller und Christian Redl, nur Wald, ein Lagerfeuer, das Fließ, Blicke, sensible Dialoge – mit dem Resultat einer inneren Spannung, die einen bewegt und wie die Figuren nachdenklich macht. Emotional und krimitechnisch packender sind die Szenen zwischen Müller und Thorsten Merten. Der Krimiplot befindet sich auf der Zielgeraden, und die persönlichen Lebensabschnittsthemen sind auf den Tisch gekommen. „Wer sich öffnet lässt oft das Ungebetene herein.“ Vielleicht übertreibt es Jan Fehse ein bisschen mit den Merksätzen und den ausgesprochenen Befindlichkeiten („Orte, an denen man spürt, dass man da nicht hingehört“), und auch die Rilke-Lyrik funktioniert im Bildmedium Fernsehen allenfalls als ein wohlfeiles kulturelles Signal, und die Liebe zu diesem Dichter ist eine Charakterisierungsmöglichkeit für die Episodenhauptfigur, eine echte literarische Wirkung hinterlassen die rezitierten Zeilen allerdings nicht.
Wie die meisten „Spreewaldkrimis“ besitzt auch Fehses Film eine große Schwere, aber es ist weniger die filmisch aufgesetzte Bedeutungsschwere, die hierzulande für Kunst gehalten wird, sondern eher die erzählte Schwere, die sich aus dem Ambiente, der unwirtlichen Landschaft und Jahreszeit, dem merkwürdigen Einzelgänger, den nachdenklich gestimmten Polizisten und der schwerblütigen verhinderten Braut resultiert. Einer bleiernen Schwere entgegenarbeitet auch das nicht klassisch chronologische Erzählen, sondern das Springen zwischen den Zeitebenen. Die Verzahnung von Vergangenheit & Gegenwart sind offensichtlich, die Narration ist klar strukturiert und stellt keine großen Anforderungen an den Zuschauer. Erzähltechnisch ist möglicherweise nach Kirchner, der die ersten dreizehn Drehbücher schrieb, etwas von der alten Magie, die die Regisseure kongenial umsetzten, verlorengegangen. Bei dieser Geschichte mit seinen zwischenmenschlichen Dramen vermisst man sie allerdings kaum. Die Kommunikations-Szenen und das Spiel der vier Hauptdarsteller sind brillant (mit Sascha Gersak gibt es leider nur eine Szene), neben Mercedes Müller ist es vor allem Thorsten Merten, der diesmal große ganz kleine Momente hat. (Text-Stand: 24.1.2024)