Sonderlage – ein Hamburg-Krimi: Das Kind wird sterben

Henny Reents, Norbert Eberlein, Andreas Senn. Von Bombenlegern und Entführern

Foto: RTL / Nadja Klier
Foto Tilmann P. Gangloff

Als ob der Druck nicht schon groß genug wäre: Die Leiterin der polizeilichen Befehlsstelle muss nicht nur in kürzester Zeit enorme Mengen an Informationen verarbeiten und Entscheidungen und über Leben und Tod treffen, sie hat auch noch interne Gegenspieler, die bloß auf einen Fehler warten. Der mühsame Kampf der von Henny Reents besonnen verkörperten Frau gegen verkrustete patriarchale Strukturen ist mindestens so interessant wie das eigentliche Thema dieses Auftakts einer möglichen neuen RTL-Filmreihe über besondere Einsätze der Hamburger Polizei: „Sonderlage“ (ConradFilm & Bavaria Fiction) beleuchtet die Hintergrundarbeit bei Anschlägen oder Entführungen. Im ersten Film verlangt ein Attentäter 200 Millionen Euro, ansonsten werde es zum „großen Knall“ kommen, im zweiten wird der kleine Sohn eines der reichsten Deutschen entführt. Angesichts des Thriller-Stoffs ist Andreas Senns Umsetzung des komplexen Drehbuchs von Norbert Eberlein angenehm zurückhaltend; fesselnd ist der erste Film nicht zuletzt wegen seiner aufwändigen Bildgestaltung. Die zweite Episode „Das Kind wird sterben“ wirkt sparsamer, ist weniger Action-geladen und wiederholt einige dramaturgische Aspekte, gewinnt dafür allerdings in seinen Drama-Momenten.

Ohne den Zauber des Anfangs. „Das Kind wird sterben“
Ein zweiter Film hat gegenüber dem ersten einen zwangsläufigen Nachteil: Ihm fehlt der Zauber, der jedem Anfang innewohnt. Hollywood pflegt dieses Manko durch deutlich höhere Produktionsbudgets zu kompensieren. Deutsches Fernsehen hat diese Möglichkeit meist nicht. Der zweite „Sonderlage“-Krimi wirkt im Gegenteil, als habe Senn deutlich weniger Geld zur Verfügung gestanden. Durch die vielen Außenaufnahmen im Hamburger Hafen hatte Teil eins ohnehin eine sehr aufwändige Anmutung. „Das Kind wird sterben“ trägt sich dagegen größtenteils an drei Schauplätzen zu. Die Szenen im Präsidium sind höchstwahrscheinlich zusammen mit den entsprechenden Gesprächen aus dem ersten Film gedreht worden. Und die Fronten sind die gleichen geblieben: Nach wie vor muss sich Polizeiführerin nach wie vor gegen ihren internen, äußerst unangenehmen Gegenspieler Busskamp behaupten.

Sonderlage – ein Hamburg-Krimi: Das Kind wird sterbenFoto: RTL / Nadja Klier
Männerbündelei, mal mehr, mal weniger toxisch, ist auch im zweiten Film, „Das Kind wird sterben“, ein dramaturgischer Antrieb der Geschichte. Psychologisch ist das alles andere als die feine Klinge, aber auf der Affekt-Ebene funktionieren solche narrativen Gegensätze dann eben doch… Busskamp (Lasse Myhr), Runge (Frederik Schmid) und Dilling (Sven Gerhardt). Klausen (Henny Reents) bleibt da oft nur ein Kopfschütteln.

Allen Widrigkeiten zum Trotz hat Klausen erneut die Befehlsgewalt: Der achtjährige Sohn eines der reichsten Männer Deutschlands ist entführt worden. Klausen hat Frederik Thalfort (Moritz Führmann) in Sicherheitsfragen beraten, deshalb ist es sein ausdrücklicher Wunsch, dass sie die Einsatzleitung übernimmt. Einige Mitglieder ihres Stabs nisten sich in Thalforts luxuriöser Villa ein, sie selbst bleibt in der Zentrale, wo alle Fäden zusammenlaufen. Dritter Handlungsort ist ein verfallenes Haus irgendwo auf dem Land, wo der Junge gemeinsam mit dem portugiesischen Kindermädchen Mariana (Soma Pysall) gefangen gehalten wird. Die Spannung des Films resultiert aus der Frage, ob es gelingen wird, die beiden zu befreien, zumal sie zwischendurch vorübergehend fliehen können, aber davon abgesehen fesselt die Handlung vor allem durch die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Erneut ist es faszinierend, wie Klausen aus dem Wust an optischen Informationen die richtigen Schlüsse zieht und Verbindungen herstellt. Auf diese Weise findet sie heraus, dass es außer dem Pärchen, das Mariana und den kleinen Jasper beim Arztbesuch entführt hat, noch einen Mittäter gibt.

Sonderlage – ein Hamburg-Krimi: Das Kind wird sterbenFoto: RTL / Nadja Klier
Mit der Zeit bekommen – neben dem steinreichen Vater des entführten Kindes – auch die Entführer ein Gesicht. Die Motive unterscheiden sich. Soma Pysall & Julius Nitschkoff

Neben den an Mobbing grenzenden Sexismen der Männer gibt es eine weitere Parallele zum ersten Film: Auch diesmal wird Klausen von einem Mitglied ihres Stabs hintergangen. Beim letzten Mal hat LKA-Polizistin Schelinski den Chef der Mordkommission mit Informationen versorgt, nun verschweigt ein Kollege (Jan Andreesen), dass der Komplize (Campbell Caspary) des Pärchens einst V-Mann für den Staatsschutz war. Anders als der Mastermind und seine professionell geplante konzertierte Aktion aus „Der Angriff“ geht das Trio allerdings dilettantisch vor. Das wiederum gibt Eberlein, der auch das zweite Drehbuch geschrieben hat, die Gelegenheit für diverse Streitereien, denn die junge Frau hat im Unterschied zu den beiden Männern idealistische Motive: Dem einen geht’s nur ums Geld, der andere ist Teil eines finsteren Komplotts. Mit diesem Aspekt hievt Eberlein die Handlung doch noch auf eine Ebene, die weit über die bloße Entführung hinausgeht; wenn auch erst gegen Ende.

Unterm Strich bleibt dennoch der Eindruck, als habe RTL viel Geld in den Auftakt investieren lassen, sodass für Teil zwei bloß noch ein normales Fernsehfilmbudget übrig geblieben ist. Der ständige Wechsel der optischen Ebenen führte im ersten Teil fast automatisch zu einer gewissen Dynamik; diesmal sorgen allein gelegentliche flotte Drohnenflüge für Rasanz. Mag auch die Handlung des Thrillers in „Das Kind wird sterben“ weniger dicht sein, so gewinnen dafür fast zwangsläufig die Drama- und Interaktionsmomente an Bedeutung; das Beziehungsgeplänkel der LKA-Beamtin, die nun eine Affäre mit Busskamp hat, ist für die Wahrheitsfindung allerdings völlig irrelevant. Nach wie vor sehenswert ist die sorgfältige Bildgestaltung, auch die Mitwirkenden sind ausnahmslos überzeugend.

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Mit Henny Reents, Julius Nitschkoff, Soma Pysall, Lasse Myhr, Georg Bütow, Moritz Führmann, Annette Paulmann, Özgür Karadeniz, Zoe Valks, Banafshe Hourmazdi, Sven Gerhardt, Yasin Boynuince, Frederik Schmid

Kamera: Michal Grabowski

Szenenbild: Anke Osterloh

Kostüm: Monika Gebauer

Schnitt: Jan Henrik Pusch, Svenja Baumgärtner

Musik: Florian Tessloff, Raffael Seyfried

Redaktion: Nico Grein, Solveig Willkommen

Produktionsfirma: Conradfilm, Bavaria Fiction

Produktion: Marc Conrad, Lucia Staubach, Maren Knieling

Drehbuch: Norbert Eberlein

Regie: Andreas Senn

Quote: 2,60 Nio. (10,2% MA)

EA: 14.02.2023 10:00 Uhr | RTL+

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