Ohne den Zauber des Anfangs. „Das Kind wird sterben“
Ein zweiter Film hat gegenüber dem ersten einen zwangsläufigen Nachteil: Ihm fehlt der Zauber, der jedem Anfang innewohnt. Hollywood pflegt dieses Manko durch deutlich höhere Produktionsbudgets zu kompensieren. Deutsches Fernsehen hat diese Möglichkeit meist nicht. Der zweite „Sonderlage“-Krimi wirkt im Gegenteil, als habe Senn deutlich weniger Geld zur Verfügung gestanden. Durch die vielen Außenaufnahmen im Hamburger Hafen hatte Teil eins ohnehin eine sehr aufwändige Anmutung. „Das Kind wird sterben“ trägt sich dagegen größtenteils an drei Schauplätzen zu. Die Szenen im Präsidium sind höchstwahrscheinlich zusammen mit den entsprechenden Gesprächen aus dem ersten Film gedreht worden. Und die Fronten sind die gleichen geblieben: Nach wie vor muss sich Polizeiführerin nach wie vor gegen ihren internen, äußerst unangenehmen Gegenspieler Busskamp behaupten.
Allen Widrigkeiten zum Trotz hat Klausen erneut die Befehlsgewalt: Der achtjährige Sohn eines der reichsten Männer Deutschlands ist entführt worden. Klausen hat Frederik Thalfort (Moritz Führmann) in Sicherheitsfragen beraten, deshalb ist es sein ausdrücklicher Wunsch, dass sie die Einsatzleitung übernimmt. Einige Mitglieder ihres Stabs nisten sich in Thalforts luxuriöser Villa ein, sie selbst bleibt in der Zentrale, wo alle Fäden zusammenlaufen. Dritter Handlungsort ist ein verfallenes Haus irgendwo auf dem Land, wo der Junge gemeinsam mit dem portugiesischen Kindermädchen Mariana (Soma Pysall) gefangen gehalten wird. Die Spannung des Films resultiert aus der Frage, ob es gelingen wird, die beiden zu befreien, zumal sie zwischendurch vorübergehend fliehen können, aber davon abgesehen fesselt die Handlung vor allem durch die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Erneut ist es faszinierend, wie Klausen aus dem Wust an optischen Informationen die richtigen Schlüsse zieht und Verbindungen herstellt. Auf diese Weise findet sie heraus, dass es außer dem Pärchen, das Mariana und den kleinen Jasper beim Arztbesuch entführt hat, noch einen Mittäter gibt.
Neben den an Mobbing grenzenden Sexismen der Männer gibt es eine weitere Parallele zum ersten Film: Auch diesmal wird Klausen von einem Mitglied ihres Stabs hintergangen. Beim letzten Mal hat LKA-Polizistin Schelinski den Chef der Mordkommission mit Informationen versorgt, nun verschweigt ein Kollege (Jan Andreesen), dass der Komplize (Campbell Caspary) des Pärchens einst V-Mann für den Staatsschutz war. Anders als der Mastermind und seine professionell geplante konzertierte Aktion aus „Der Angriff“ geht das Trio allerdings dilettantisch vor. Das wiederum gibt Eberlein, der auch das zweite Drehbuch geschrieben hat, die Gelegenheit für diverse Streitereien, denn die junge Frau hat im Unterschied zu den beiden Männern idealistische Motive: Dem einen geht’s nur ums Geld, der andere ist Teil eines finsteren Komplotts. Mit diesem Aspekt hievt Eberlein die Handlung doch noch auf eine Ebene, die weit über die bloße Entführung hinausgeht; wenn auch erst gegen Ende.
Unterm Strich bleibt dennoch der Eindruck, als habe RTL viel Geld in den Auftakt investieren lassen, sodass für Teil zwei bloß noch ein normales Fernsehfilmbudget übrig geblieben ist. Der ständige Wechsel der optischen Ebenen führte im ersten Teil fast automatisch zu einer gewissen Dynamik; diesmal sorgen allein gelegentliche flotte Drohnenflüge für Rasanz. Mag auch die Handlung des Thrillers in „Das Kind wird sterben“ weniger dicht sein, so gewinnen dafür fast zwangsläufig die Drama- und Interaktionsmomente an Bedeutung; das Beziehungsgeplänkel der LKA-Beamtin, die nun eine Affäre mit Busskamp hat, ist für die Wahrheitsfindung allerdings völlig irrelevant. Nach wie vor sehenswert ist die sorgfältige Bildgestaltung, auch die Mitwirkenden sind ausnahmslos überzeugend.