Die Geschichte: Eine Familie kommt zusammen – und alles bleibt sehr privat
1976 war ein Jahrhundertsommer. Die sieben Erwachsenen und vier Kinder, die nach dem Tod der Großmutter im Gemeinschaftsgarten der Familie zusammenkommen, haben allerdings davon noch kein Bewusstsein. Die drei Generationen leben im Hier und Jetzt, kultivieren die Langweile und schlagen sich mit den Banalitäten des Alltags herum: Sie kämpfen mit der Hitze, mit Sonnenbrand und Wespenplage. Politik und Weltanschauung spielt in den Sommerhäusern rund um die idyllische Grünanlage kaum eine Rolle. Dabei ist es doch das Jahr, in dem bei der Bundestagswahl Helmut Kohl erstmals Kanzler Helmut Schmidt herausforderte (was ein verstecktes Wahlplakat andeutet), und es ist der Sommer, in dem die DDR bei den Olympischen Spielen die Bundesrepublik deklassierte (was über eine Zeitungsmeldung in den Dialog einfließt). Beunruhigt sind die Erwachsenen dagegen von einem anderen Ereignis, über das die Medien ausführlich berichten: Ein verschwundenes Kind ist offenbar Opfer eines „Menschenfressers“ geworden. Auch den Kindern läuft ein Schauder über den Rücken, spätestens als der Nachbar, in dessen verwildertem Garten dämonische Puppenköpfe an den Bäumen hängen, als der Kannibale verdächtigt wird. Aber dann ist der Fall aufgeklärt, eines der Kinder hat Geburtstag, die Stimmung aber wird nicht besser.
Sonja Maria Kröner über ihr Spielfilm-Debüt:
„Die Sommerhäuser-Familie gehört einer bürgerlichen Welt an, mit bürgerlichen Wertvorstellungen. Besitz zählt und gesellschaftliches Ansehen. Umgangsformen, manifestiert in sich wiederholenden Floskeln und Phrasen. Innerhalb dieser Kultiviertheit blitzen immer wieder die heimlichen Sehnsüchte und Wünsche auf. Der Ort, an dem die Familie sich trifft, ist ein Garten. Ein Soziotop, in dem sie sich lieben und hassen, gegeneinander intrigieren, sich miteinander freuen und gegenseitig verwünschen … Der Garten sollte etwas Hermetisches haben. Man fährt dorthin, ist für die Außenwelt nicht mehr erreichbar. Das Zusammentreffen hat eine Unbedingtheit, die es heute in Familien so nicht mehr gibt.“
Die Machart: Die Protagonisten, die Kamera und ein sterbendes „Idyll“
Wie eine zurückhaltende Person mischt sich die Kamera unter die Leute: Sie sieht vieles, hält sich allerdings mit Bewertungen zurück. So entsteht der Eindruck, als ob die Figuren absichtslos belauscht und wohlwollend begleitet würden, sodass es letztlich im Auge des Betrachters liegt, wem er wie viel Sympathie entgegenbringt. Die Frauen sind insgesamt die Aktiveren, sie haben das Sagen, die Männer dagegen sind mundfaul („Du kannst auch irgendwann mal was sagen“) und ein wenig ungelenk. Trotz dieser archetypischen Verhaltensweisen wirken die Charaktere wie beiläufig hingetuscht. Damit verbunden sind ständige Perspektivwechsel. Verglichen mit anderen Filmen, in denen Menschen beim So-Sein zugeschaut wird, laufen die Alltagshandlungen von „Sommerhäuser“ weder auf ein klassisches Thema zu, noch übernehmen Sprache und Kommunikation in dem bemerkenswerten Debütfilm von Sonja Maria Kröner eine sinnstiftende Hauptrolle. Man lebt hier sein Leben. So richtig zufrieden ist keiner. Und geredet wird wenig, mal schleudert man dem Partner einen Vorwurf entgegen, mal feuert man eine Spitze in Richtung Schwägerin. Allerdings scheint es eine stille Übereinkunft zu geben: Sind die Beziehungen auch noch so porös – die Fassade muss halten. Das wird allerdings schwierig. Denn der Garten bleibt kein Sehnsuchtsort. Nicht, weil er womöglich verkauft wird, sondern weil Kröner mit dem zweiten Gewitter (das erste fällte den Lieblingsbaum der Toten) einen tragischen Schlusspunkt setzt. Das passt nicht schlecht zum gesellschaftspolitischen Kontext. Der sogenannte Deutsche Herbst wird ein Jahr später das kleinbürgerliche Idyll zertrümmern – und zehn Jahre später wird es im Zuge der Kommerzialisierung der Medien endgültig vorbei sein mit einem solchen vorgestrigen Ritual vertrödelter Zeit im Schoße der Familie. So wenig also auch passiert: „Sommerhäuser“ erzählt eine ganze Menge zwischen den Bildern. (Text-Stand: 10.5.2019)
„Kröners Ensemble … agiert so eingespielt, als seien sie tatsächlich miteinander verwandt und würden jeden Sommer miteinander verbringen. Das Familiengebilde, das sie verkörpern, ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch so lebensnah, dass man sich immer wieder dabei ertappt, in den Schauspielern die eigene schrullig-liebenswerte Verwandtschaft zu erkennen… „Sommerhäuser“ ist ein solch facettenreicher und dennoch in sich stimmiger Film, man mag kaum glauben, dass es Sonja Maria Kröners erster großer Spielfilm ist. Die Stilsicherheit dieses Films, seine subtilen Untertöne und roten Sonnenbrand-Obertöne sind derart gekonnt miteinander verbunden, dass es unglaublich Spaß macht, sich diese kurze anderthalbstündige Parabel aufs Familienleben anzuschauen.“ (Die Welt)