Zu den Klängen von Eliza Doolittles Song „Pack up“ versucht Dr. Sibel Aydin (Idil Üner), ungesehen aus dem Krankenhaus zu verschwinden. Sie hat Geburtstag und will ohne Umwege zu einem Stelldichein mit ihrem Liebhaber in ein Hotel. Da wird sie doch noch von den Kollegen abgefangen und bekommt eine Statue der indischen Gottheit Durga geschenkt. „Wir haben extra etwas Türkisches für Sie besorgt.“ So platt wie in diesem ersten missglückten Scherz werden die Anspielungen auf Sibels türkische Herkunft zum Glück nur selten aufgelöst. Und im Kern kratzt es Sibel auch nicht. Der erste Song bringt diese Haltung auf den Punkt: „I don’t care what the people may say, what the people may say about me.”
Der hanseatische Witwer, Dr. Max Walther (Marc Oliver Schulz) und die lebensfrohe Hamburgerin, Dr. Sibel Aydin, sehen sich plötzlich damit konfrontiert, dass Max‘ 16-jährige Tochter Jana (Katherina Unger) von Sibels 17-jährigem Sohn Yunus (Salah Massoud) schwanger ist. Max platzt in Sibels Geburtstagsfeier und konfrontiert sie mit der Neuigkeit. „Ich glaub‘, Sie sind hier falsch“, erwidert Sibel ungläubig. Die Großeltern in spe haben in letzter Zeit offensichtlich nicht allzu viel mitbekommen vom Leben ihrer Sprösslinge. Sie werden gezwungen, ihr Ängste und Vorurteile in den Griff zu bekommen und ihre Einstellungen zu hinterfragen. Wenn Yunus und Jana durchbrennen, müssen Sibel und Max an einem Strang ziehen und lernen, einander zu akzeptieren. „Familie ist Fleisch”, sagt Berkan, Sibels jüngerer Bruder, zu seinem 17-jährigen Neffen Yunus. Darin steckt eine umfassende Wahrheit, die diese Vorabendserie in den nächsten Folgen mit Inhalt füllen soll.
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Die Schwangerschaft lässt zwei unterschiedliche Familien zusammen wachsen, und so interpretiert „Sibel & Max“ die Geschichte einer Patchworkfamilie einmal andersherum: nämlich von den Kindern ausgehend. Trotz der Stärken, die sich in der ersten, temporeich und humorvoll erzählten Folge abzeichnen, merkt man dem Ensemble an, dass noch nicht alles rund läuft. So wirkt beispielsweise die Partyszene in Sibels Wohnung etwas gestelzt. Das Szenenbild von Uwe Berthold dafür ist bis in die Details des Jugendzimmers von Jana liebevoll gestaltet und hebt sich damit von den schablonenhaften Settings anderer Arzt- oder Vorabendserien positiv ab. Auch der Mischung von Außen- und Innenaufnahmen kann man durch den Spielort der Serie im Hamburger Kiez St. Georg einiges abgewinnen. Hier spiegelt sich die kulturelle Vielfalt, die mit dieser urbanen Vorabendserie erzählt werden soll.
Idil Üner („Evet, ich will“) und Marc Oliver Schulze („Unter Verdacht“) verkörpern mit großer Spielfreude die Rollen zweier Eltern mit unterschiedlichen Erziehungsstilen und Kulturen. Dabei ist es nicht ausschlaggebend, dass Sibel türkische Wurzeln hat. Das ist so bemerkenswert, weil sich hier endlich etwas zeigt, was neue Deutsche (ehemals „Menschen mit Migrationshintergrund“) für die Darstellung unserer multikulturellen Gesellschaft schon lange einfordern: Selbstverständlichkeit. Hier findet offenbar ein Wandel statt, der lobend erwähnt werden muss. Bei „Sibel & Max“ wird eben nicht allem ein slapstickhafter Stempel „Achtung Migrant!“ aufgedrückt. Sibel und Max haben unterschiedliche Temperamente, wie sie zwischen Menschen eben vorkommen. Während Max bisweilen verzweifelt autoritär wirkt, wenn er versucht, seine beiden Töchter mit klaren Ansagen im Zaum zu halten, nimmt Sibel ihrem Sohn auch mal einen Joint aus der Hand und macht selbst einen tiefen Zug.
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Vom Seriendauerbrenner „In aller Freundschaft“ (ARD, seit 1998), das in diesen Tagen mit einem „jungen“ Spin-off aufwartet, bis „Doctor’s Diary“ (RTL, 2007-2010), von „Der Bergdoktor“ (ZDF, seit 2008) bis zum jüngsten Neuzugang am Vorabend, „Dating Daisy“ (ARD, 2014) – Arztserien sind nicht gerade Mangelware. Es ist demnach nicht einfach, im Bereich der Serien im medizinischen Milieu etwas Neu(artig)es auf die Beine zu stellen. Doch genau das könnte dem ZDF mit ihrer ersten interkulturellen Familien-Arztserie gelingen.
Solange sich interkulturell ambitionierte Produktionen darauf beschränken, nur ein paar Figuren mit Migrationsgeschichte zu konzipieren und diesen Hintergrund auch stets explizit zu thematisieren, ist es noch nicht geschafft mit der Inklusion. Hier gehen das ZDF (Redaktion: Berit Techner) und die produzierende ndF– Neue Deutsche Filmgesellschaft (Produzent: Rudi Pitzl) zum Glück an mehreren Punkten einen Schritt weiter und besetzen nicht nur eine Hauptrolle mit einer neuen Deutschen türkischer Herkunft. Auch das Autorenteam (Verena S. Freytag, Bülent Aladag, Astrid Ruppert, Michel Birbæk und Hagen Moscherosch) setzt sich aus einem Dänen, Deutschen und türkischstämmigen Deutschen zusammen… Wir sind sehr gespannt, ob die Serie ihr Potenzial über die gesamte 12-Folgen-Staffel ausspielen kann.