Ein Mann sitzt tot in einem Linienbus – auf dem Schoß keine Bombe, wie die Fahrgäste in ihrer Panik vermutet haben, sondern nur eine Benzinpumpe. Ein Einstich am Kopf weist darauf hin, dass der Mann, ein Autohausbesitzer, nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Es war also doch nicht verkehrt, den Chef der Mordkommission Franz Germinger (Maximilian Brückner) auf diesen Fall anzusetzen und ihn von seiner privaten Spritztour in die Berge abzuhalten. Der ist entsprechend übel gelaunt – auch, weil er sich nun doch einer unangenehmen Situation stellen muss: Seine Mutter Erika (Gundi Ellert) hat einen Mann totgefahren; auch wenn dieser ein Mörder war, geht es gegen das Gerechtigkeitsempfinden von Franz, dass sie nun schon wieder aus der Haft entlassen wird. Zu verdanken hat sie das ihrem Göttergatten, dem Franz Senior (Friedrich von Thun), Hauptkommissar a.D. und nach Jahren der Trennung nun wieder ihr Herzblatt. Bei ihrer Entlassung aus der JVA kommt der Junior dann allerdings doch zu spät. Ein anderer hat seine Rolle bereits übernommen, hat die Mutter kurz begrüßt und sich dann wieder aus dem Staub gemacht – so wie es wohl auch Franz getan hätte. Der Mann heißt Maxim Adamov, sieht genauso aus wie Franz Germinger und hat sich eineinhalb Jahre auf diesen gewinnbringenden Rollentausch vorbereitet.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Der tote Autoverkäufer ist nur ein Kollateralschaden, zu dem es kommt, weil bei einem millionenschweren Drogendeal Probleme auftreten und die daran Beteiligten, Franzens Doppelgänger Adamov (in er Doppelrolle: Maximilian Brückner), die Strippenzieherin Liliana Janukova (Genija Rykova) und der Kompagnon des Ermordeten (Arnd Klawitter), nicht immer mit offenen Karten spielen. Es gibt in „Schwarzach 23 und das mörderische Ich“ hinter diesem großen Coup, der wie ein Hitchcockscher McGuffin durch den Plot geistert, aber noch ein weiteres ungeheuerliches Verbrechen – und das ist von einer enormen Tragweite: Mithilfe des Doppelgängers, der sich akribisch auf seine neue Rolle vorbereitet hat, will die ukrainische Drogenmafia die Münchner Kripo unterwandern. Dafür allerdings muss der echte Franz Germinger aus dem Weg geräumt werden. Das ist die eigentliche Geschichte hinter dem Fall, von der die Ermittler bis zum Ende so gut wie nichts mitbekommen. Der Zuschauer muss sich das alles selbst erschließen. Die Kommissare sind ihm keine große Hilfe. Wer rechnet schon mit solchen internationalen Verwicklungen James-Bondschen Ausmaßes. Und so bleibt dem Zuschauer nichts anderes übrig als um den Helden zu bangen – und zu hoffen, dass die Eröffnungsszene mit dem vermeintlich toten Franz noch ein Hintertürchen offenlässt.
Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Die Reihe „Schwarzach 23“ (2015 gestartet) setzte sich immer schon über die Grenzen der Glaubwürdigkeit hinweg und führte das Coen-Brothers-verdächtige schroffe Schräge in den ZDF-Samstagskrimi ein. Autor Christian Jeltsch („Die verlorene Tochter“ / „Kreutzer kommt“) überhöhte die Realität mit einem launigen, bisweilen grotesken Genre-Mix aus Krimi, Komödie und Familienfilm, dabei ließ er schon mal einen Toten vom Himmel fallen oder einen Menschenkopf auf eine Vogelscheuche aufspießen. Bei der dritten Episode, „Schwarzach 23 und der Schädel des Saatans“ (2018), wurde das anarchische Element in der Konstruktion der Geschichte zurückgenommen. Das setzt sich nun in „Schwarzach 23 und das mörderische Ich“ fort. Dass es zugleich der Abschluss der Reihe ist, bestärkt die Vermutung, dass es wohl vor allem der Sender war, der dem ZDF-Zuschauer nicht zu viel Genre-Raffinesse und systemische Ironie (im Gegensatz zur Charakter-Ironie eines Schallers in „München Mord“ oder den Ehe-Neckereien in „Herr und Frau Bulle“) „zumuten“ möchte. Dass man die Reihe auf den Montag geschoben hat, mag mit dem Grenzgängerischen zu tun haben und ist durchaus nachvollziehbar: Samstag ist nun mal der Familienfernsehtag.
Die unterschiedlichen filmischen Tonlagen zwischen kühlem Krimi-Ambiente & hellen Familienalltagsszenen sowie die volle Bandbreite menschlicher Stimmungen versteht Regisseur Matthias Tiefenbacher („Gestern waren wir Fremde“ / „Polizeiruf 110 – Einer für alle, alle für Rostock“) zu einem ausgewogenen Ganzen zu verbinden. Durch Franzens Alleingänge gibt es auch vom Drehbuch her in der zweiten Filmhälfte weniger Schnittstellen zwischen dem ernsthaften Hauptplot und dem lustvollen Beziehungsgeplänkel. So nimmt die Spannung beständig zu, ohne dass dem Zuschauer augenzwinkernde, entlastende Momente vorenthalten bleiben. Die Spannung gipfelt in einem ersten Showdown, bevor es zu einem Finale im Kugelhagel kommt. Das aber ist noch nicht das Ende. Und nach dem Abspann ist ja vielleicht auch noch nicht Schluss. Manch ein Zuschauer wird dann sicher noch weitergrübeln über diesen (gewollt?) doppelbödigen Doppelgänger-Krimi. (Text-Stand: 30.7.2020)