Schule am Meer – Frischer Wind

Anja Kling, Oliver Mommsen, Kossmann/Hoffmann, Wolfgang Eißler. Erst ma’ gucken

Foto: Degeto / Uwe Ernst
Foto Tilmann P. Gangloff

Eigentlich seltsam, dass Anja Kling und Oliver Mommsen nicht schon viel öfter zusammen vor der Kamera standen; der Auftakt zur ARD-Reihe „Schule am Meer“ (Degeto / Nordfilm) ist erst ihr zweiter gemeinsamer Film. Die Rollenverteilung ist erwartbar: Sie spielt die Leiterin einer Flensburger Berufsschule, die alles im Griff hat, er einen Koch und Welten-Bummler, der als Gastdozent für einigen Trubel sorgt. Das klingt nach romantischer Komödie, aber die Beziehungsebene ist offen: Die Direktorin ist verheiratet. Weniger überraschend ist die bis hin zum Detail einer Ohrfeige vorhersehbare Herausforderung, mit der das ungleiche Duo konfrontiert wird: Die Chefin eines Schülers fürchtet um das seelische Gleichgewicht ihrer Tochter, die sich in den jungen Mann verliebt hat. Die Bildgestaltung entspricht mit ihren malerischen Aufnahmen der Flensburger Förde der üblichen Optik solcher Filme.

Weil die TV-Sender schon seit geraumer Zeit kein Zutrauen mehr zum eigenen Gespür haben, warten sie bei potenziellen Reihen erst mal ab, wie gut ein Film beim Publikum ankommt. Sind die Zahlen zufriedenstellend, wird eine Fortsetzung in Auftrag gegeben. Bei „Schule am Meer“ ist das anders: Die ARD-Tochter Degeto spricht noch vor der Ausstrahlung von einer „neuen Reihe“, ein zweites Drehbuch wird bereits entwickelt. Die Prognose, dass der Auftakt-Film ein Erfolg wird, ist ohnehin nicht allzu gewagt, und auch das Potenzial für weitere Geschichten ist offenkundig. Dafür stehen nicht nur Anja Kling und Oliver Mommsen, auch der Rahmen ist interessant: Handlungsort ist eine Flensburger Berufsschule. Das ist mal was Anderes und ermöglicht Ausflüge in die Welt außerhalb der Lehranstalt, denn dank des dualen Ausbildungskonzepts sind die Azubis bereits in Betrieben beschäftigt; anstelle der Eltern-Gespräche in einer klassischen Schulserie muss sich Direktorin Katharina Henriks (Kling) hier mit Chefs und Chefinnen auseinandersetzen. Somit bieten sich mehrere Beziehungsebenen an, denn das Kollegium spielt natürlich auch eine Rolle, vom Privatleben ganz zu schweigen.

Unterm Strich bleibt daher als einziges originelles Element die Schule, ansonsten orientiert sich das Erzählschema am Konzept von Freitagsreihen wie „Die Eifelpraxis“ oder „Praxis mit Meerblick“; und das nicht nur, weil Katharina selbstredend rund um die Uhr für ihre Schutzbefohlenen zu sprechen ist. Abgesehen von lästigen Details wie etwa einer defekten Kaffeemaschine hat sie ihren Laden im Griff; bis ein neuer Gastdozent auftaucht. Erik Olsen (Mommsen) ist ein YouTube-Star, dessen Auftritte eine Mischung aus Kochvideo und Abenteuer sind. Unter normalen Umständen würde sich so jemand kaum in eine Kleinstadt verirren, aber Stadtratmitglied Bernd Olsen (Oliver Sauer) hofft, von der Prominenz seines Bruders im Wahlkampf zu profitieren. Selbstverständlich ist Katharina alles andere als begeistert über den Neuzugang, den sie schon zu gemeinsamen Schulzeiten für eingebildet hielt. Das Kollegium bereitet ihm gleichfalls einen kühlen Empfang, weil die Damen und Herren vermutlich ahnen, was auch prompt eintritt: Erik, der nie eine pädagogische Ausbildung genossen hat, bringt die gewohnten Abläufe durcheinander. Es wäre geradezu fahrlässig vom Drehbuchduo Uwe Kossmann und Markus Hoffmann gewesen, wenn sich der Gastdozent nicht durch höchst unkonventionelle Lehrmethoden auszeichnen würde; die Herzen seiner Kochklasse gewinnt er dagegen im Sturm.

Schule am Meer – Frischer WindFoto: Degeto / Uwe Ernst
Gegensätze ziehen sich in Unterhaltungsfilmen nach der üblichen Fremdelphase für gewöhnlich an: Berufsschuldirektorin Henriks und Erik Olsen, Koch & leidenschaftlicher Weltenbummler, kommen sich näher. Trotz Anja Kling und Oliver Mommsen hält sich der „Frische Wind“ für den ARD-Freitagsfilm in Grenzen. Dramaturgie und Bildgestaltung halten sich ans Regelwerk.

Mommsen und Kling wirken wie eine naheliegende Besetzungskonstellation, dabei war das vor allem darstellerisch interessante Sat-1-Drama „Aus Haut und Knochen“ vor zwei Jahren ihr erster gemeinsamer Film: er als Vater, der die Probleme der magersüchtigen Tochter herunterspielt, sie als Mutter, die die Schuld bei sich sucht. Diesem Entwurf entsprechen zumindest im Ansatz auch Erik und Katharina: Er lebt sein Leben nach der Devise „erst ma’ gucken“, sie hat die Dinge gern unter Kontrolle. Dass die beiden ständig aneinandergeraten, liegt in der Natur der Sache, doch die Hoffnung auf eine romantische Komödie bleibt zunächst unerfüllt: Katharina ist verheiratet. Der dänische Gatte (Carsten Bjørnlund) übersieht zwar, dass sie eine neue Frisur hat, aber sonst deutet nichts darauf hin, dass es in der Ehe kriseln könnte. Potenzial hat auch der familiäre Hintergrund Eriks: Der Abenteurer ist einst im Streit von seinen Eltern geschieden; das Wiedersehen nach vielen Jahren beschert Monika Lennartz einen zwar winzigen, aber sehr berührenden Gastauftritt.

Während sich Kossmann und Hoffmann, die gemeinsam unter anderem mehrere Episoden für die SWR-Krimikomödien „Der Bulle und das Landei“ geschrieben haben, die weitere Entwicklung der Beziehung offen halten, ist die Episodenherausforderung bis hin zum Detail einer erwartbaren Ohrfeige vorhersehbar: Die Chefin (Johanna Gastdorf) von Kochschüler Jonas (Junis Marlon) will das Ausbildungsverhältnis beenden, weil ihre aus Thailand stammende Adoptivtochter Cathleen (Andrea Guo) den Kontakt abgebrochen hat, seit sie zu Jonas gezogen ist. Zumindest die Krimifans im Publikum werden früh ahnen, was wirklich hinter Cathleens angeblicher Persönlichkeitsstörung steckt. Obwohl gerade Junis Marlon seine Sache gut macht, ist dieser Teil des Films längst nicht so fesselnd wie die regelmäßigen Auseinandersetzungen zwischen Schulleiterin und Gastdozent, zumal die beiden selbstverständlich auch beim Umgang mit Jonas unterschiedlicher Meinung sind. Wenig überraschend ist auch die Umsetzung durch Wolfgang Eißler, der für sein ARD-Märchen „Die kluge Bauerntochter“ (2010) immerhin mit dem Robert-Geisendörfer-Preis ausgezeichnet worden ist; für die Degeto hat er bereits eine Episode der zumeist sehenswerten Freitagsreihe „Praxis mit Meerblick („Familienbande“, 2020) und zuvor das sympathische Gesangsmärchen „Wenn’s um Liebe geht“ (2019) gedreht. Gegen seine Arbeit mit dem Ensemble ist nichts einzuwenden, auch wenn Victoria Fleer das Klischee der Assistentin, Sekretärin oder Praxishilfe mit auffälligem Erscheinungsbild erfüllt, aber die Bildgestaltung entspricht bis hin zu den malerischen Aufnahmen der Flensburger Förde der üblichen Optik solcher Filme.

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Reihe

ARD Degeto

Mit Anja Kling, Oliver Mommsen, Johanna Gastdorf, Junis Marlon, Andrea Guo, Victoria Fleer, Oliver Sauer, Yasmina Djaballah, Amira Demirkiran, Carsten Bjørnlund, Achim Buch, Monika Lennartz

Kamera: Pascal Schmit

Szenenbild: Uwe Berthold

Kostüm: Petra Fichtner

Schnitt: Ann-Sophie Schweizer

Musik: Daniel Hoffknecht

Soundtrack: Andreya Triana („Dance The Pain Away“), Green Day („Meet Me On the Roof”), Nouela („Sounds Od Silence”), Jessie J („Price Tag”)

Redaktion: Stephan Kruppa, Christoph Pellander

Produktionsfirma: Nordfilm

Produktion: Nadine Lewerenz, Kerstin Ramcke

Drehbuch: Uwe Kossmann, Markus Hoffmann

Regie: Wolfgang Eißler

Quote: 3,69 Mio. Zuschauer (14,6% MA)

EA: 18.05.2022 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

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