Raubüberfälle, Diebstahl, Körperverletzung… Ben ist auf die schiefe Bahn geraten und kommt sich cool dabei vor – bis er eines Tages im Knast landet. Zwar hat er diesen ganzen „Sozialarbeiterscheiß“ gefressen, als er aber in einer Einrichtung des freien Vollzugs die einmalige Chance für einen Neuanfang bekommt, ergreift er sie, anfangs widerwillig und trotzig, aber bald aus der Einsicht, doch noch etwas aus seinem Leben machen zu wollen. Er ordnet sich den strengen Regeln, die im „Waldhaus“ herrschen, unter und will sich in der Hierarchie der sich selbst kontrollierenden Gruppe nach oben arbeiten. Doch dann steht er plötzlich einem seiner Opfer gegenüber: Eva ist die sogenannte „Hausmutter“. Nach einer Kur will sie wieder in den Alltag mit den jugendlichen Straftätern zurückfinden. Sozialarbeiter Niklas, der Ben aus dem Gefängnis geholt hat, ist ihr Ehemann. Das Trauma des brutalen Überfalls und – was ihr Peiniger jetzt erst erfährt – den Verlust ihres Babys hat sie noch längst nicht bewältigt. Sie war schwanger und seine Tritte haben das Kind getötet. Ben ist voller Panik, jeden Moment könnte er entdeckt werden. Und bald ahnt Eva tatsächlich etwas.
Foto: SWR / Laura Schleicher
Regisseur Lars-Gunnar Lotz über sein Anliegen:
„Mir war es wichtig, nicht von hoffnungslosen Fällen und gewalttätigen ‚Tieren’ zu erzählen, als die man jugendliche Straftäter häufig abstempelt. Vielmehr wollte ich zeigen, was es bedeutet, wenn man sich für sie einsetzt und dabei intensiv mit ihren Taten konfrontiert. Ich wollte eine Geschichte erzählen, die solche Jungs nicht aufgibt, sondern an sie glaubt.“
„Schuld sind immer die Anderen“ – Was wie ein engagiertes Sozialdrama beginnt, entwickelt sich zu einer Art filmischem Täter/Opfer-Ausgleich, bei dem es zunehmend ans psychologisch Eingemachte geht. Schläger Ben wird unmittelbar konfrontiert mit den Folgen seiner brutalen Tat. Hatte er bei seinem ersten „Heißen Stuhl“ noch aggressiv getönt, eine Frau betreffend, der er den Kiefer gebrochen hat: „diese Frau geht mir am Arsch vorbei“, wird der einst so (Laut-)Starke plötzlich ganz klein(laut). In die Angst um sich selbst mischen sich plötzlich auch Scham und Mitleid. Edin Hasanovic wechselt nahtlos vom Welt- und Selbsthass zerrissenen Wut-Jugendlichen zum empathiefähigen jungen Mann. Wuchtig und physisch beginnt sein Spiel, kommt dann in der Folge allerdings immer mehr aus dem Innenleben seines Charakters: empfindsam, aber deshalb nicht weniger sinnlich, agiert Hasanovic am Ende des Reifungsprozesses seines Protagonisten. Da ist dann auch bei seinem Ben keine kopflose Wut mehr, sondern plötzlich das schmerzhafte Gefühl der eigenen Schuld spürbar.
Foto: SWR / Laura Schleicher
„Eine starke Parabel über Schuld und Erneuerung, die dicht erzählt wird und gleichzeitig die Komplexität von Moral ausführlich zeigt. Der Film schafft es, unseren Glauben an die Möglichkeit von Veränderung zu stärken ohne auf feel-good-Handlungen auszuweichen.“ (Hollywood Reporter)
„Die Komplexität von Schuld und Vergebung wird hier sorgfältig ausgelotet und gleichzeitig der allzu oft mit Stereotypen belegte Berufsstand des Sozialarbeiters gründlich rehabilitiert.“ (Tagesspiegel)
Das besonders Intensive an diesem Akt der Gewissensbildung ist die dramaturgische Doppelstruktur: denn auch Eva, das Opfer, ist Akteurin. Auch sie stößt an eine bisher ungekannte Grenze. Sie merkt nicht nur, wie schwer es ist, nach ihrer Erfahrung mit einer Gewalttat wieder im Täter-Milieu zu arbeiten, sondern sie merkt auch, wie schwer sie – dem selbst propagierten Ideal vom Täter/Opfer-Ausgleich zum Trotz – bereit ist zu verzeihen. Für Julia Brendler ist diese Rolle ein Wechselbad der Gefühle: zwischen unbändiger Wut, tragischer Ahnung und pragmatischer Freundlichkeit. Wunderbar warm und tief gibt sie ihre Sozialarbeiterin. Die unmittelbare Betroffenheit eines „Erziehers“ ist die ideale dramaturgische Lösung – weil so die Rolle des Sozialarbeiters kritisch reflektiert wird und der Berufsstand hier einmal mehr ist als der nützliche „Helfer“, der „Klugscheißer“ oder „Gutmensch“.
„Schuld sind immer die Anderen“ von Lars-Gunnar Lotz, Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, ist ein Debüt von großer Klasse. Ein Film, der Gesellschaft und Psyche gleichermaßen ins Zentrum der Erzählung rückt, der die Geschichte aus starken Figuren entwickelt, der die üblichen dramaturgischen Sozialdrama-Klischees vermeidet, der die Gewalt-Kommunikation dialektisch auflöst und so für den Zuschauer geradezu physisch spürbar macht. Ein Film, der ruhig und beobachtend erzählt ist und dessen gelegentliche emotionale Ausbrüche umso eindringlicher sind. Ein Film, der lange nachwirkt.