Seltene Vorkommnisse an der Stuttgarter Uni. Massive Glasfronten bekommen tausende von Rissen, ein Hakenkreuz zeichnet sich im Zentrum ab. Dann zerspringen sämtliche Fenster, sie zersplittern in einem gigantischen Glasregen. Eine Augenzeugin steht unter Schock. Kommissar Bernau wird zurückgepfiffen. „Es gibt keinen Fall. Ansage von oben“, teilt ihm sein Chef mit und schickt den Jungbullen in den Urlaub. Der ermittelt auf eigene Faust weiter und gerät dabei an das Forschungsprojekt einer Gruppe von Parapsychologen. Anfangs belächelt er die Untersuchung sogenannter „Identitäten“ – bis er mittendrin steckt in seinem „Erstkontakt“ mit einer übernatürlichen Erscheinung. Ein kleines Mädchen gibt sich ihm zu erkennen. Es zeigt mit dem Finger auf Bernau, greift in ihn hinein und holt Verdrängtes aus seinem Unterbewussten, eine tragische Geschichte aus seiner Kindheit. Auch Marion hat sich dem Parapsychologie-Professor Angerer angeschlossen, weil sie in Kontakt mit ihrer Mutter treten möchte, die einst Selbstmord begangen hat. Zu dritt enträtseln sie das Geheimnis um den „Anschlag“. Sie stoßen auf einen ähnlichen Fall von 1998, an derselben Medizinischen Fakultät. Der Schlüssel zu den seltsamen Ereignissen scheint eine ehemalige Ärztin zu sein, die offenbar beteiligt war an grausamen Zwillingsexperimenten im Dritten Reich.
Foto: Pro Sieben / Björn Hahn
Marion: „Infrarot-Kameras sind der einzige Weg, Entitäten sichtbar zu machen.“
Bernau: „Entitäten – klingt ja auch gleich viel wissenschaftlicher als Geister. Sorry, ich glaube nur an das, was ich sehen und anfassen kann.“
Marion: „Glaubst du an die Liebe? Die kannst du auch nicht sehen oder anfassen.“
Die Story ist krude, der Genre-Mix gewagt. Man muss sich einlassen wollen auf diesen bizarren Versuch, Mystery und Krimi mit Mengeles Zwillingsstudien thematisch aufzuladen. Das fällt umso leichter, je deutlicher sich drei positive Leitfiguren abzeichnen. Diese Reduktion der Charaktere, gepaart mit einer perfekten Besetzung, die Konzentration der Handlung auf EINE Frage macht aus der „verrückten“ Geschichte ein parapsychologisches Kammerspiel, das als deutsche TV-Produktion seines Gleichen sucht. Welcher Sender außer Pro Sieben würde so etwas zur Prime-Time wagen?! Auch wenn Vinzenz Kiefer gelegentlich sehr auf „Twilight“ geschminkt ist – diesen kleinen Film von Lars Henning Jung (larshenningjung.com) darf man nicht an dem messen, was man für das 50- bis 100fache Budget aus Hollywood kennt. „Schreie der Vergessenen“ ist ein TV-Experiment. Das Gute an diesem Film ist zunächst, dass nicht vornehmlich ein kommerzielles Kalkül dieses Projekt geboren hat, sondern das Konzept, „junge Leute“ der Filmakademie Ludwigsburg einfach mal machen zu lassen. Das Ergebnis kann sich tricktechnisch sehen lassen. Da wurde mit viel Phantasie und filmsprachlichem Geschick gearbeitet. Und während einen die Figuren emotional mitnehmen auf die Reise in die Vergangenheit, gehen einen die mysteriösen „Action“-Szenen geradezu physisch an. Vorausgesetzt: man ist kein Mystery-Hardcore-Fan.