Was haben Ärzte und Lehrer gemeinsam? Sie sind in erster Linie Sozialarbeiter, vernichten eine Menge Alkohol und lernen dauernd schöne Frauen kennen; zumindest in der Serienwelt von RTL. Aber so lange das so abwechslungs- und einfallsreich abläuft wie in „Der Lehrer“ und jetzt in der Sitcom „Schmidt – Chaos auf Rezept“, ist das völlig in Ordnung.
Wie schon „Der Lehrer“ mit Hendrik Duryn, so ist auch die neue zunächst achtteilige Produktion mit Lucas Gregorowicz im Vergleich zur schon nach einer Staffel wieder eingestellten Serie „Doc meets Dorf“ (die den „neuen Weg“ leider nicht gut genug ging) ein Schritt zurück: frisch, frech und flott, aber nicht gerade experimentierfreudig. Dafür sind die einzelnen Episoden ungemein kurzweilig. Die Geschichten mögen jede für sich nicht sonderlich originell sein, aber das fällt nicht weiter auf, weil die Autoren ihren Helden auf gleich mehreren Handlungsebenen agieren lassen. Die Umsetzung ist dank der stilistischen Vielfalt erfolgreich um Liebe zum Detail bemüht, ohne aus dem Rahmen zu fallen. Unterm Strich jedoch lebt „Schmidt“ wie „Der Lehrer“ vor allem vom Hauptdarsteller.
Natürlich wäre es unfair, Lukas Gregorowicz auf „Lammbock“ (2001) zu reduzieren, doch in der Kifferkomödie war er einfach richtig gut. Auch die Titelfigur der neuen RTL-Serie ist wie geschaffen für den 37-jährigen Schauspieler: Als Kreuzberger Kiez-Doktor bringt er ebenso wie Hendrik Duryn die nötige Glaubwürdigkeit (neudeutsch: „street-credibility“) mit. Davon abgesehen beherrscht Schmidt zwar sein Handwerk, ist im Herzen aber in den Teenagerjahren stecken geblieben. Ähnlich wie Lehrer Stefan Vollmer oder auch Kommissar Mick Brisgau („Der letzte Bulle“) könnte Schmidt, aus anderer Perspektive erzählt, auch tragische Züge haben. Das komödiantische Potenzial ergibt sich aus den unvermeidlichen Kollisionen, weil sich diese unorthodoxen Männer nicht außerhalb, sondern innerhalb eines Systems mit festen Regeln (Schule, Polizei, Medizin) bewegen. Dass Adam Schmidt so chaotisch wirkt, liegt wie bei den beiden anderen Serien vor allem am Kontrast zur zweiten Hauptfigur. In der RTL-Comedy ist das die attraktive Namensvetterin Eva Schmidt (Julia Hartmann), eine Hausärztin wie aus dem Bilderbuch, die Schmidt in ihre Praxis aufgenommen hat.
Die Chefin ist ausgerechnet mit einem systemkonformen Sportarzt (Florian Jahr) liiert, auf den Schmidt schon mal eine teure Prostituierte (Sophia Thomalla) ansetzt, damit Eva die beiden in flagranti erwischt: Er hasst den Nebenbuhler, weil er mal für dessen Schlamperei den Kopf hinhalten musste und gefeuert wurde; außerdem ist er heimlich in Eva verknallt. Die Kollegin hält ihn zwar auf Distanz, aber ihr imponiert, dass Adams unkonventionelle Ideen oft verblüffend gut funktionieren; ganz gleich, ob ein junger Deutschtürke unter Erektionsstörungen leidet, ein dicker Metzger seine Frau am Abspecken hindert, ein Junge mit Halluzinationen ohne sein Wissen von der Mutter mit Cannabis ruhiggestellt wird oder eine Lehrerin unter aufdringlichem Köpergeruch leidet. Und zwischendurch muss sich Schmidt noch mit seinem frisch verliebten Vater (Michael Hanemann) herumärgern.
Schon der Vorspann, eine Kombination aus Realfilm und Zeichentrick, ist liebevoll gestaltet. Die visuellen Effekte – Split-Screen, insertierte SMS-Botschaften, Zeitraffer, Jump Cuts oder einfrierende Bilder – sind zwar ausnahmslos schon anderswo ausprobiert worden, passen aber zur Geschichte: Bei der hoffnungslos für Schmidt schwärmenden Sprechstundenhilfe Britta (Jil Funke) werden die Augen schon mal durch zwei Herzen ersetzt, und hin und wieder sorgen Balken an den Bildrändern dafür, dass die Serie wie ein Cinemascope-Film aussieht.
Zu den akustischen Akzenten gehören ein dezentes „Wusch“ bei Gesten oder Wischblenden, und wenn Schmidt den boxenden Deutschtürken freundschaftlich in den Magen knufft, klingt das wie ein Schwinger aus einer Western-Komödie mit Terence Hill und Bud Spencer. Die Musikauswahl macht ebenfalls Spaß, weil Ironie im Spiel ist: „Bicycle Race“ von Queen ertönt, wenn ein Patient auf dem Fahrrad-Ergometer strampelt; das berühmte Motiv aus „Rocky“, als ein Mädchen verkündet, sein Baby solle Rocky heißen; Türkenpop von Tarkan zur türkischen Hochzeit. Auch die von der Platte kratzende Nadel, wenn eine romantische Stimmung abrupt beendet wird, kommt regelmäßig zum Einsatz. Aus Zuschauersicht dürfte jedoch der Handlungsreichtum das beste Argument für die Serie sein: weil die Autoren in jeder Episode gleich mehrere Geschichten erzählen, die anderswo einzeln für eine komplette Folge reichen würden. Bei den Schmidts ist einfach immer was los. (Text-Stand: 22.1.2014)