Schattenmoor

Caroline Hartig, Machalett/Zwanzig, Marc Schießer. Mehr als nur ein PR-Spektakel

Foto: Pro Sieben
Foto Tilmann P. Gangloff

Wenn ein Sender ein großes Geheimnis um einen eher kleinen Film macht und mit Formulierungen wie „Gänsehaut garantiert“ übersteigerte Erwartungen weckt, kann das Seh-Erlebnis auch mal eine Enttäuschung sein. Zum Glück ist der ProSieben-Mystery-Thriller „Schattenmoor“ (Talpa) dann doch besser als befürchtet, und die Auflösung des Rätsels ist in der Tat ein kleiner Knüller; aber so verblüffend nun auch wieder nicht. Sehenswert ist der erste Fernsehfilm von „Wishlist“-Regisseur Marc Schießer vor allem wegen Caroline Hartig, die sowohl die brave Heldin wie auch deren dunkle Doppelgängerin spielt.

Wenn ein Sender einen Fernsehfilm vorab nicht zur Verfügung stellt, ist das für gewöhnlich kein gutes Zeichen. Das ZDF zum Beispiel hat sich früher lange geweigert, Kritikern die Pilcher-Produktionen zur Verfügung zu stellen: weil der zuständige Redaktionsleiter ohnehin mit ausschließlich schlechter Presse rechnete. ProSieben hat nun aus seinem ersten eigenproduzierten Spielfilm seit vielen Jahren ein ähnliches Geheimnis gemacht; angeblich, um die Spannung aufrechtzuerhalten. Tatsächlich wäre es schade, wenn die Auflösung vorab durchgesickert wäre, aber so verblüffend ist sie nun auch wieder nicht. Deshalb mutet die ganze Aktion doch eher wie eine PR-Maßnahme an, zumal der Sender alles getan hat, um aus „Schattenmoor“ einen „Event“ zu machen: Zehn Tage vor der TV-Ausstrahlung des Films sind nach einem Spielfilm die ersten 17 Minuten gezeigt worden. Anschließend gab es täglich frische Online-Episoden, was Senderchef Daniel Rosemann tatsächlich als „neue Erzählform“ verkaufen möchte; als hätte es so etwas noch nie gegeben, übrigens sogar beim Sender selbst („Kill your Darling“, 2009). Rosemann sprach zudem von einem „einzigartigen Seherlebnis“, bei dem „Gänsehaut garantiert“ sei.

Natürlich weckt solches PR-Gerede Erwartungen, denen die Produktionen dann oft nicht standhalten. Tatsächlich ist „Schattenmoor“ ein grundsolider Mystery-Thriller. Der Film knüpft an eine alte ProSieben-Tradition an, als der Sender regelmäßig Schauergeschichten dieser Art erzählt hat, mal besser, mal schlechter („Gonger“, „Hepzibah“, „Schreie der Vergessenen“). Das Drehbuch (Marvin Machalett, Ben Zwanzig) basiert auf dem neuseeländischen TV-Drama „Rerservoir Hill“ (2009). „Schattenmoor“ ist nicht die erste Adaption; im schwedischen Fernsehen zum Beispiel ist die Vorlage als Miniserie adaptiert worden („Vikingshill“). Die Geschichte beginnt mit der Ankunft einer neuen Schülerin in einem Elite-Internat, das inmitten eines Waldes liegt. Das Erscheinen von Emma (Caroline Hartig) löst allerdings große Verwirrung aus: Ihre Ähnlichkeit mit einer wenige Wochen zuvor verschwundenen Schülerin ist erstaunlich. Vom ersten Tag an hat die junge Frau schockierende Erlebnisse. Anschließend sieht es allerdings oft so aus, als habe sie sich die Erscheinungen ebenso eingebildet wie die vermummte schwarze Gestalt, die außer ihr niemand sieht; deshalb gilt sie bald als „Psycho-Emma“. Weil bei den Vorfällen jedes Mal eine blutrote Zahl im Spiel war, erkennt sie schließlich, dass es sich um einen Countdown handelt, dessen Ende tatsächlich auch ihr Ende sein wird.

SchattenmoorFoto: Pro Sieben
Bisschen trashig, aber auch nach allen Regeln der Mystery-Thriller-Kunst gemacht. Caroline Hartig glänzt in einer Doppelrolle

Soundtrack: Frittenbude („Zucker“), Billie Ellish („Bad Guy“, „Ocean Eyes“), DJ Shadow feat. Run the Jewels („Nobody Speak“), Bilderbuch („Spliff“)

Einige der jungen Mitwirkenden machen ihre Sache richtig gut, allen voran Farina Flebbe als Emmas flippige Zimmernachbarin; sie ist schon als trotziger Teenager in der Sat-1-Komödie „Sechs Richtige und ich“ (2017) positiv aufgefallen. Andere schießen in ihrem jugendlichen Eifer mitunter übers Ziel hinaus und scheinen die Anweisungen von Regisseur Marc Schießer allzu wörtlich genommen zu haben („Tu’ so, als hättest du einen Geist gesehen“). Mitunter scheitern sie auch an der einfallslosen Klischeehaftigkeit ihrer Nebenfiguren (hier vor allem Timur Bartels). Kinder reicher Eltern zum Beispiel sind in solchen Filmen und Serien immer dumm wie Brot, aber dafür boshaft; in dieser Hinsicht erinnert „Schattenmoor“ unangenehm an die RTL-2-Serie „Falkenberg – Mord im Internat?“ (2019).

Ohne Einschränkung sehenswert ist allerdings Caroline Hartig. Sie hat ihr großes Talent bereits als Nebendarstellerin in Krimireihen  wie „Helen Dorn“ („Gnadenlos“) und „Neben der Spur“ („Sag, es tut dir leid“) sowie in den Degeto-Produktionen „Weingut Wader“ und „Kilimandscharo – Reise ins Leben“ bewiesen. In „Schattenmoor“ ist sie quasi konkurrenzlos, weil sie beide Hauptrollen spielen darf. Der Reiz liegt in der Diskrepanz zwischen den Figuren: hier Heldin Emma, ein braves Mädchen und daher auf Anhieb Sympathieträgerin; dort ihre Doppelgängerin, die wie Schneewittchens böse Zwillingsschwester aussieht. Natürlich tun Kleidung, Make-up und die geglätteten Haare ein Übriges, aber die junge Schauspielerin hatte offenkundig große Freude daran, die verschwundene Ann-Sophie als zynische „Bitch“ zu verkörpern, die eine Affäre mit dem Kunstlehrer (Max von Thun) hat und ihre Mitschüler erpresst. Sie ist Narzisstin durch und durch und hat die Kontrolle über ihre dunkle Seite verloren, als sie nicht erneut zur Schulsprecherin gewählt worden ist.

Der Film trägt in zunächst reizvoll rätselhaften Rückblenden nach, was sich Ann-Sophie alles hat zu Schulden kommen lassen; kein Wunder, dass die junge Frau bei einigen Mitschülern regelrecht verhasst war. Diese zweite Ebene ist sehr geschickt integriert; viele Übergänge sind ziemlich clever, mit großer Sorgfalt und geradezu liebevoll umgesetzt. Bildgestaltung (Daniel Ernst, Tobias Lohf), Schnitt (William James) und vor allem die Musik (Marcel Becker-Neu) haben ohnehin großen Anteil daran, dass der Film durchgängig spannend ist. Marc Schießer ist der Regisseur des Funk-Knüllers „Wishlist“ (Grimme-Preis, Deutscher Fernsehpreis), seine Handschrift ist auch bei „Schattenmoor“ zu erkennen; dazu passt auch, dass ihm das Finale mit einem bizarren Zweikampf im nächtlichen Wald ein bisschen aus dem Ruder gelaufen ist

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Fernsehfilm

Pro Sieben

Mit Caroline Hartig, Farina Flebbe, David Hugo Schmitz, Timur Bartels, Max von Thun, Andreas Warmbrunn, Emre Aksizoglu

Kamera: Daniel Ernst, Tobias Lohf

Szenenbild: Klaus R. Weinrich

Kostüm: Ingalill Knorr

Schnitt: William James

Musik: Marcel Becker-Neu

Redaktion: Daisy Rosemeyer-Elber

Produktionsfirma: Talpa Germany

Produktion: Carsten Kelber, Karsten Roeder

Drehbuch: Marvin Machalett, Ben Zwanzig

Regie: Marc Schießer

EA: 11.12.2019 20:15 Uhr | Pro Sieben

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