St. Petersburg, Katherina Wagner will ihrem Sohn Nikolai die Heimat seines Vaters zeigen, der auf ungeklärte Weise ums Leben kam. Sie will das Grab ihres Mannes besuchen und einige Formalitäten regeln. Doch irgendwer ist offenbar aufgeschreckt von Katherinas Auftauchen im einstigen Leningrad. In der U-Bahn verschwindet Nikolai spurlos. Ist er entführt worden? Ist sie gestoßen worden, damit sie dem Jungen nicht folgen konnte? Ein freundlicher polnischer Schrotthändler ist ihr behilflich. Ein Menschenfreund – oder führt er etwas im Schilde? Auch die Ex-Kollegen des kleinen TV-Senders, bei dem der Verstorbene gearbeitet hat, legen sich bei der Suche nach dem Kind ins Zeug. Dann wird vor den Augen Katherinas der Einzige, der etwas zu wissen scheint über den Tod ihres Mannes und den Verbleib ihres Kindes, vor ihren Augen erschossen. Offenbar hat Alexej Romanowitsch, ein Oligarch, der in St. Petersburg das Sagen hat, seine schmutzigen Hände im Spiel. Katherinas Mann hat über ihn recherchiert. Musste er deshalb sterben? Und ist Nikolai deshalb entführt worden?
„Russisch Roulette“ variiert eine klassische Thriller-Situation: eine Mutter, die ihren Sohn sucht, allein in einer fremden Metropole, nicht wissend, wem sie trauen kann. „Sie können hier nicht bleiben – hier hat alles Ohren“, sagt der freundliche Pole Markowski und holt die Heldin aus dem Hotel zu sich aufs Land. Heinz Hoenig spielt das so, dass man als Zuschauer bald annimmt, dass dieser der Deutschen nichts Böses will. Andere sind da schon verdächtiger. Dennoch will Nervenkitzel nicht recht aufkommen. Die Konstruktion mit ihrer Gut-böse-Choreografie ist arg durchschaubar und einige Situationen sind zwar nicht unspannend, aber doch weder allzu prickelnd im Detail noch dramaturgisch bemerkenswert. Dass wichtige Informanten das entscheidende Treffen nicht überleben, ist älter als die Edgar-Wallace-Filme und hat schon bei den Reinecker-Dreiteilern in den späten 60er Jahren genervt. Dass Hoenigs Markowski in der einen Szene schimpft „Keine Alleingänge mehr“, um in der nächsten die Heldin wieder mutterseelenallein zu lassen und sie so prompt wieder in Todesgefahr gerät – das sind Uralt-Genremuster aus dem Handbuch des Trivialen.
Foto: Degeto / Vadim Grischko
Autor Rolf-René Schneider über die Idee zum Film:
„Die Idee kam mir beim Lesen einer Zeitungsmeldung: ‚Frau verliert Kind in der U-Bahn von St. Petersburg.’ Was muss das für ein Alptraum sein für eine Mutter. Die Türen schließen sich – und du weißt nicht, wo du suchen sollst. Meine Überlegung war: Was, wenn hinter diesem Verschwinden mehr steckt? Wenn jemand nicht will, dass das Kind gefunden wird. Und dann stieß ich auf eine andere Meldung: Innerhalb von nur sieben Jahren starben in Russland 21 Journalisten – meist unter mysteriösen Umständen, die nicht aufgeklärt wurden.“
In dem Drehbuch von Rolf-René Schneider ist alles so dick aufgetragen, dass selbst von der Authentizität der Locations kaum noch etwas übrig bleibt. „Authentizität“ ist aber ohnehin kein Ziel dieses Films. Die ganze Alte-Seilschaften-Geschichte um den KGB wirkt nicht weniger aufgesetzt wie Roman Knizka (trotz eines slowakischen Vaters) als wilder Russe. Kein Klischee wird ausgelassen: alle russischen Beamten sind kleine Stalins, die ermittelnde Polizistin ist ein monströses Mannweib, auf dem Polizeirevier geht es zu wie bei Sodom und Gomorra und der Pole säuft sich die Verzweiflung aus der Birne. Nichts gegen Klischees, wenn sie eine gut geölte Genre-Story antreiben. Bei „Russisch Roulette“ aber wird eine schwach entwickelte Geschichte auf 180 Minuten gedehnt, weil sich anders offenbar ein solcher Film, der zum großen Teil nicht einmal in St. Petersburg, sondern in Prag gedreht wurde, nicht finanzieren ließe. Dass Joseph Vilsmaier („Stalingrad“) ein überschätzter Regisseur ist und dass ihm sein Blick als ehemaliger Kameramann – dem Zusatz „Bildgestaltung“ zum Trotz – wenig bei seiner Inszenierung hilft, beweist einmal mehr „Russisch Roulette“. Wen alte sowjetische Seilschaften interessieren, wer’s gern realistisch mag und zugleich cooles Genrehandwerk bevorzugt – der sollte sich lieber Adolf Winkelmanns grandiosen Zweiteiler „Der letzte Kurier“ auf DVD besorgen, der nur ganze drei Mal innerhalb von 15 Jahren in einem Vollprogramm (ARD, BR, WDR) wiederholt wurde.