Sat 1 hätte diese Liebesgeschichte vermutlich unter dem Titel „Bodyguards küsst man nicht“ ausgestrahlt. Das ZDF und die Pilcher-Film-Produzenten haben sich für „Das Gespenst von Cassley“ entschieden und auf diese Weise vermieden, dass die Parallelen zum romantischen Thriller „Bodyguard“ mit Kevin Costner und Whitney Houston schon auf den ersten Blick offenbar werden: Weil sich Lady Anjali von einem Geist bedroht fühlt, soll Leibwächter Riley Owen (Martin Gruber) im altehrwürdigen Cassley Castle nach dem Rechten sehen. Alsbald findet er heraus, dass die verwitwete Lady selbst hinter den Ereignissen steckt: Ihre indische Mutter Gita (Sima Bürgin), die die Tochter neu verheiraten will, soll annehmen, dass Anjalis ertrunkener Ehemann ruhelos durch die Geheimgänge geistert, um die Hochzeit zu verhindern; mit Hilfe ihrer Kammerdienerin hat die junge Frau dafür gesorgt, dass unter anderem ein schwerer Kronleuchter von der Decke kracht. Gita ist jedoch längst nicht so leichtgläubig, wie ihre Tochter vermutet. Sie hat Riley, ehemals Mitglied der königlichen Leibgarde, aus anderen Gründen engagiert: Die Inderin ist überzeugt, dass die gute Laune ihrer Tochter nur gespielt ist und eine tiefe Schwermut verbirgt. Der Leibwächter soll aufpassen, dass sich Anjali nichts antut, und natürlich verliebt er sich in die schöne Witwe. Als er sie im letzten Moment vor dem erneut herabstürzenden Kronleuchter rettet, wandelt sich „Das Gespenst von Cassley“ zum Krimi: Offenbar treibt noch jemand sein Unwesen in den Geheimgängen des Schlosses; aber das wahre Rätsel, das Riley lösen muss, ist ein völlig anderes.
Foto: ZDF / Jon Ailes
Das ist eine durchaus hübsche Geschichte, charmant altmodisch, sympathisch und mit dem nötigen Schuss Ironie durchsetzt. Das Drehbuch stammt von Marcus Hertneck, dessen Arbeiten für die ARD-Tochter-Degeto („Reiff für die Insel“) nicht zuletzt dank der spritzigen Dialoge immer wieder beweisen, dass leichte Filme nicht automatisch auch seicht sein müssen. Das funktioniert jedoch nur mit den richtigen Darstellern, und in dieser Hinsicht hat „Das Gespenst von Cassley“ einen echten Knüller zu bieten: Wenn nicht alles täuscht, wird Patricia Meeden in die Fußstapfen einiger populärer Kolleginnen treten, die ebenfalls im ZDF-„Herzkino“ ihre erste Hauptrolle spielen durften. Die ausgesprochen attraktive Berlinerin mit den kubanischen Wurzeln war bislang nur in verschiedenen Serienepisoden zu sehen, weil ihr Hauptberuf die Bühne ist: Nach ihrer Ausbildung zur Bühnentänzerin hat sie in diversen Musicals mitgewirkt und unter anderem in Köln fast zwei Jahre lang die weibliche Hauptrolle in „Bodyguard“ gespielt; das ist womöglich die Erklärung dafür, warum die ebenfalls in Köln ansässige Produktionsfirma FFP New Media sie für den Gespenster-Film engagiert hat.
Die Übereinstimmungen der beiden Geschichten beschränken sich jedoch im Wesentlichen auf die Konstellation des potenziellen Liebespaars. Die wildgelockte Anjali träumt von einer Karriere im Bollywood-Film, was Autor Hertneck mit einer witzigen Szene offenbart: Die junge Frau lässt sich von Riley, der ihr nicht von der Seite weicht, in einem Club absetzen, wo sie kurz darauf von einem finsteren Typen bedroht wird. Prompt macht der Leibwächter kurzen Prozess mit dem Mann, nicht ahnend, dass er Anjali damit einen Casting-Auftritt kaputt gemacht hat. Umso besser klappt wenig später die Tanzeinlage, die eine Schauspielerin ohne entsprechende Ausbildung wohl kaum so gut hinbekommen hätte.
Foto: ZDF / Jon Ailes
Während Meeden, die selbstredend auch Anjalis Gesang übernommen hat, die Herzen im Sturm erobern dürfte, hat Ex-„Bergretter“ Martin Gruber naturgemäß weniger Spielraum in seiner Rolle, aber den füllt er nach Kräften aus. Ein biografisches Detail sorgt dafür, dass Riley diesen Auftrag besonders ernst nimmt: Seine Frau ist nach einer Fehlgeburt in tiefe Depression verfallen und hat sich das Leben genommen; deshalb ist er äußerst empfänglich für Gitas Befürchtungen. Wie alle filmischen Leibwächter macht auch Riley nicht mehr Worte als nötig, und selbstredend verzieht er nie eine Miene, ganz egal, was passiert. Der unvermeidliche Zwiespalt zwischen Attraktion und Distanz führt dazu, dass er innerlich ganz wuschig wird, als er Anjali, umwerfend sexy, beim Tanzen beobachtet, äußerlich aber Haltung bewahrt; so etwas kann man kaum spielen, das lässt sich nur subkutan vermitteln.
Auch der Rest des Ensembles ist durchweg interessant; im Unterschied zu manch’ anderem Pilcher-Film gibt es keine Ausfälle oder langweiligen Besetzungen. Sima Bürgin mag als Anjalis Mutter Gita nicht unbedingt aussehen, wie man sich landläufig eine Inderin vorstellt, aber viel wichtiger ist, dass sie gut zu Michael Roll passt. Anjalis Schwiegervater ist ein unverbesserlicher Romantiker und sorgt mit seinem sanften Spott für allerlei Kurzweil. Weil in diesem Film sämtliche Hauptfiguren verwitwet sind, liegt es nahe, dass er ein Auge auf die distinguierte Inderin geworfen hat. Die ziert sich jedoch, allerdings nicht, weil sie nichts für Lord Cassley empfindet, im Gegenteil; aber sie hat sich nun mal in den Kopf gesetzt, dass ihre familiäre Zukunft von einer Hochzeit zwischen ihrer Tochter und dem vermögendem John Jennings (Jadran Malkovich) abhängt. Der Mann wirkt etwas vierschrötig, und da der Schein in den Pilcher-Filmen nur selten trügt, ist früh klar, dass Jennings Dreck am Stecken hat; die Frage ist nur, welchen. Sehr hübsch ist auch die Rolle für André Eisermann als bedingungslos loyaler Butler, dem Hertneck gegen Ende mit der gleichfalls alleinstehenden Schwester des Lords (Claudia Wenzel) die Schlussszene aus „Dinner for One“ gönnt.
Einem anspruchsvolleren Publikum als der „Herzkino“-Zielgruppe wird die Inszenierung von Sonntagsfilm-Routinier Marco Serafini mit ihren üblichen Drohnenflügen zu einfallslos sein, und gerade zu Beginn haben einige Dialoge ausschließlichen Informations-Charakter. So muss beispielsweise Rileys Chefin dessen Lebenslauf herunterbeten, damit von vornherein klar wird, dass er nicht einfach bloß irgendein Leibwächter ist, und Lord Cassley nennt seine Schwester „Schwesterchen“, damit man sie nicht für seine Gattin hält. Die typisch schnulzige Pilcher-Musik ist ein weiterer Umschaltfaktor; aber das wäre wirklich schade um diese charmante romantische Komödie. (Text-Stand: 30.9.2017)