Befindet sich Stella in einem Traum oder ist es Wirklichkeit, was ihr da passiert? Gerade war sie drauf und dran, nicht nur dem Auktionshaus ihres Schwiegervaters den Rücken zu kehren, sondern auch ihren Ehemann Peter zu verlassen, dem es nicht gelungen will, sich von seinem „Geld“-fixierten Vater loszusagen. Und jetzt öffnet sich eine neue Tür für die Auktionatorin: Stella wird zu einer Testamentseröffnung eingeladen – und über Nacht wird sie zur „Countess of Willoughby“ und Miterbin eines beeindruckenden Anwesens. Sie erinnert sich, als kleines Kind schon einmal hier gewesen zu sein. Der Lord hatte seinen Sohn verstoßen, weil dieser nicht davon abzubringen war, eine Bürgerliche zu heiraten. Stella würde das Erbe ihres Großvaters gern in Ehren halten – sprich, das Schloss und die Ländereien nicht verkaufen. June, die berechnende zweite Ehefrau des Lords, sieht die Sache ganz anders. Trotz Reichtums sind Konflikte vorprogrammiert. Auch mit Stellas Mann, der sich eine zweite Chance erhofft. Denn da ist noch Architekt David, in den sich Stella kopfüber verliebt hat.
„Ich hab mich verfahren, ich weiß einfach nicht mehr, wo’s lang geht.“ So sind sie, die jungen Frauen bei Rosamunde Pilcher. Auch wenn der zwischenzeitlich vom Schicksal übermannten Heldin immer wieder einmal Männer den richtigen Weg weisen müssen, so weiß sie am Ende ihres existenziellen Abenteuers dann doch, was sie will. Streit, Habgier und Missgunst sind ihr zuwider. Und ein Mann, der ihr sagt, „du bist die schönste Frau der Welt“, ist ihr sehr viel lieber als einer, der davon schwärmt, dass sie einmal „das perfekte Paar in einer perfekten Beziehung“ waren. Die Handlungsmuster werden erfüllt, die Dunkelhaarigen zum Teufel gejagt und die Blonden dürfen sich paaren. Die Täubchen gurren dazu, der Butler grinst sein mehrwissend zufriedenes Lächeln und der Zuschauer weiß: die Treulosen und die Unsympathen werden nichts ausrichten können. Alles wird gut. Pilcher sei Dank!
„Das Geheimnis der weißen Taube“ ist ein Konglomerat verschiedenster Bilder, Motive, Topoi und Handlungsstereotypen. Die Rollenverteilung und die Variante des Gut-böse-Schemas sind dem Märchen entlehnt. Inszenierter Spuk, treue Butler, ein Schloss ohne Licht oder der Besuch in einer Gruft kommen nicht nur in britischen Gespenstergeschichten gut – hierzulande fällt jedem Zuschauer dazu Edgar Wallace ein. Tradition vs. Neureichtum, ein beliebtes Motiv, seit „Das Gespenst von Canterville“ durch die Literatur zu spuken begann. Dass sich sogar noch ein ausgespieltes Hitchcock-Zitat eingeschlichen hat, betont den spielerischen Grundton. Zwar bedient „Das Geheimnis der weißen Taube“ das Regelwerk des Trivialen ebenso überdeutlich, wie das Paar aus dem Bilderbuch der Kitsch-Romanze (hell, strahlend, blond, naiv) abgepaust zu sein scheint, doch diese Pilcher-Adaption ist offen für ein Augenzwinkern, wie es denn auch die Büste der Großmutter am Ende vormacht. Mit dieser Einstellung kann sich diese ganze amouröse, lächerliche Schnitzeljagd auch als eine lustvolle Trash-Revue goutieren lassen. Ein Hauch Postmoderne weht also durch dieses Pilcher-Abenteuer, das ein bisschen auch ein Fernsehen aus einer Zeit zitiert, in der seine Geschichten ihre Unschuld noch nicht verloren hatten und in der die erste Fernseh-Generation sich am gepflegten Kitsch von Hedwig Courths-Mahler erfreute. (Text-Stand: 9.4.2012)