Benjamin, ein querschnittsgelähmter junger Mann, und sein Zivi Christian haben dasselbe Objekt des Begehrens: die Cellistin Annika. Der Zufall führt die drei zusammen. Ben, der sich sein Leben zynisch erträglich redet, hat mal wieder einen Zivi verschlissen. Christian, der neue, lässt sich nicht tyrannisieren. Das imponiert dem Rollifahrer. Die beiden freunden sich an. Dann bringt der Zivi Annika mit, die leicht verhuschte Radfahrerin mit Cello auf dem Rücken, auf die Ben schon lange ein Auge geworfen hat. Mit seinem Fernrohr hat er nicht nur die Hochhaussiedlung im Blick. Zu dritt verbringen sie entspannte Stunden. Sie sitzen in einer Hollywoodschaukel auf dem Balkon und träumen sich fort aus der Betonstadt Duisburg, sie kurven mit einem Straßenkreuzer durch die Gegend, sie gehen auf Entdeckungsfahrt, sie schlafen nebeneinander – und verlieben sich. Schmerzlich für Rollifahrer Ben. „Ich bin nicht auf der Welt, um Frauen zu mögen, ich bin auf der Welt, um Frauen auf den Hintern zu gucken“, sagt er. Doch dann legt sich auf einmal die schöne Cellistin zu ihm ins Bett.
Foto: SWR / Tom Trambow
Dietrich Brüggemann über seinen Film:
„Der Rollstuhl ist ein wahnsinnig uncooles Requisit – im Film wie im Leben. Man kommt keine Treppe hoch, er macht Falten im Teppich und man wird mitleidig angeguckt. Und Rollstuhlfahrer im Film gelten ohnehin als Kassengift.“
Zu Beginn von „Renn, wenn du kannst“ fliegen die Blätter von Bens Magisterarbeit durch die offene Balkontür und werden in alle Winde zerstreut. Auch dorthin, wo sich die beiden anderen Hauptfiguren gerade befinden. Diese ersten Bilder machen deutlich: dieser Film von Dietrich Brüggemann, der das Drehbuch mit seiner Schwester und Hauptdarstellerin Anna Brüggemann gemeinsam geschrieben hat, ist kein Sozialdrama alter Schule. Drei Figuren, ein Rollstuhl, ein Cello, eine Plattenbauwohnung, ein Ami-Schlitten, eine menschenlose Stadt, lange Autofahrten durch die Nacht, ein atmosphärischer Soundtrack – das ist frisches, junges Kino, physisch realistisch, irreal und imaginär zugleich, auf den Spuren von Truffauts „Jules und Jim“ und dann doch wieder ganz anders. Ein Behinderter als Ekelpaket, eine junge Frau als Realität gewordene Wunschprojektion: zu schön um wahr zu sein, sagt sich der boshaft eloquente Rollstuhlfahrer – und stößt das moderne Märchenwesen vor den Kopf. Poesie legt sich über Geschichte, durchzieht die Bilder. Drei Menschen versuchen kurze Zeit, „besonders“ zu leben – intensiv, feinfühlig, schonungslos ehrlich. Sie suchen Freiheit – und holen sich etwas Romantik in den gleichförmigen Alltag. Eine bezaubernde Utopie.