Was die RAF kann, das können wir schon lange – sagen sich im Herbst ’77 zwei frustrierte Gymnasiasten in der DDR. Weil die „gesellschaftlichen Erfordernisse“ nicht mit ihren Berufswnüschen übereinstimmen, kidnappen sie in Schleyer-Manier kurzerhand ihren Schuldirektor und sperren ihn eine Woche lang in einen Keller. Andreas Dresen, einer der vielversprechendsten ostdeutschen Jungregisseure, und Autor Thorsten Schulz haben sich diese absurd klingende Geschichte ausgedacht und mit dem Gespür sowohl für die damalige Zeitstimmung in der DDR als auch für die kleinen großen Film-Gefühle umgesetzt.
Die Helden von „Raus aus der Haut“, dessen Arbeitstitel „Liebe, RAF und Rock ’n‘ Roll“ den sozialen Gehalt der Story ebenso treffend auf den Punkt bringt, sind Anna-Maria (Susanne Bormann) und Marcus (Fabian Busch). Sie stehen auf Deep Purple; sie will Ärztin werden, er Lateinamerikaforscher. Der Staat will es anders. Und so müssen beide „das Unmögliche versuchen“, in Anlehnung an ein ziemlich falsch verstandenes Che-Guevara-Zitat. Das Girlie aus einem postpubertären Oppositiongeist heraus, der schchüterne Junge, weil er so seiner geheimen Liebe nahe sein kann. Eine tragikomische Ménage-a-trois beginnt, die sich zu einer Reflexion über das Leben(sgefühl) in der DDR der siebziger Jahre entwickelt.
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Hinterm Ohr kratzt sich bisweilen auch der Regisseur, wenn er elegante Übergänge vom Krimi zur Groteske und zurück ins Melodram sucht und dabei manchmal haarscharf die Klamotte streift. Den kurzatmigen Schlingerkurs zwischen den Genres sieht aber man gerne nach, angesichts der atmosphärischen Qualitäten, mit der jedes muffige Detail von den kornblauen FDJ-Hemden über ausgebleichte Plastik-Funiere bis hin zur kleinbürgerlichen Unterwürfigkeit liebevoll ausgeleuchtet wird. (Kino.de)
„Eine tragikomische Liebesgeschichte mit autobiografischen Erinnerungen an die DDR-Jugend des Regisseurs, zugleich eine Reflexion über den „Deutschen Herbst“ vor 20 Jahren. Zwar schlägt der Film einige unfreiwillige Kapriolen, entlarvt Kleingeisterei und Borniertheit aber pointiert als (gesamt-)deutsche Eigenschaften, die in beiden Erziehungssystemen schon immer hoch angesehen waren.“ (Lexikon des internationalen Films)
„Wir wollten sichtbar machen, dass sich der Wirklichkeit nicht mit gängigen Ost-West-Klischees beikommen lässt“, betont Dresen. Vergangenheitsbewältigung ohne Muff der Geschichte und ohne erhobenen Zeigefinger, „sondern als merkwürdiger Genremix: Melodram, Komödie bis hin zu Screwball, auch Tragödie ist drin.“ Der im Jahr der Handlung gerade 14-jährige Dresen, dem es um „die Widersprüche, unter denen die Menschen damals zu leiden hatten“, geht, holte sich mit Thorsten Schulz einen Autor, der die Jahre bewusst als Unangespasster erlebt hat. Die späten 70er waren auch in der DDR eine schwierige Zeit für Oppositionelle. „Wir waren keine Blumenkinder mehr, und der abgeklärte Punk-Zynismus war für uns noch nicht angebrochen“, so Schulz. Der Widerstand beschränkte sich einmal mehr auf Kopfgeburten, „abenteuerliche Geschichten, Stoffe für Filme“. Doch erst 20 Jahre danach sollte es soweit sein. Jetzt mit Distanz und „jener Gerechtigkeit, die allen Figuren zusteht“.
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„Raus aus der Haut“, angelehnt an eine verbotene Pop-Hymne aus den Siebzigern, ist ein Schauspielerfilm. Die 18-jährige Grimme-Preisträgerin Susanne Bormann („Abgefahren“) als verwöhntes Ossi-Girlie und Fabian Busch („Kinder ohne Gnade“) als der schüchterne Junge von nebenan tragen diesen ORB-Beitrag zur „Wilde Herzen“-Reihe. Dass man sich keine Sekunde an der Absurdität dieser Geschichte stößt, sondern den wilden Kopfgeburten der Autoren uneingeschränkt folgt, ist nicht zuletzt der physischen Präsenz und dem überzeugenden Zusammenspiel der Hauptdarsteller zu verdanken. (Text-Stand: 1997)