Polizeiruf 110 – …und raus bist du!

Anneke Kim Sarnau & Charly Hübner ermitteln zwischen Schrottplatz & Mülldeponie

Foto: NDR / Christine Schröder
Foto Rainer Tittelbach

Der vierte „Polizeiruf“ aus Rostock rührt im Bodensatz der Gesellschaft – dort, wo man von Hartz IV nur träumen kann, bei Müllsammlern und bei Obdachlosen, die in leer stehenden Plattenbauten hausen. Trotz Armenhaus Ost mit den abstrusen Überlebensstrategien, die die Menschen sich zurechtzimmern, ist von Castelbergs Film kein Trauerkloß-Krimi. Das Ganze ist nicht nur realistisch spannend, sondern bisweilen auch schön schräg und absurd, heutig sozialkritisch – und vor allem die Charaktere sind immer für eine Überraschung gut.

„Wie viele Wochen hab ich noch?“ Alexander Bukow ist unruhig. Wird Katrin König ihr Wissen in ihren Bericht über ihn schreiben? Das wäre das Aus als Polizeibeamter. Die Kollegin lässt ihn zappeln. Und überhaupt, es gibt einen neuen Fall. Ein verwahrloster, alter Mann wird im Kofferraum eines Schrottwagens gefunden. Er war ein leidenschaftlicher Schrottsammler. In seiner Wohnung finden die Kommissare Hinweise darauf, dass er jemanden erpresst haben muss. Was die Polizei nicht weiß: der Erpresste ist der Betreiber der Rostocker Mülldeponie. Ein Notizbuch mit der privaten Buchführung ist auf dem Müll gelandet. Der Ermordete muss es bei seinen täglichen Wühlaktionen gefunden haben. König und Bukow stoßen bei ihren Ermittlungen auf eine Architektin, die in den letzten Jahren eine soziale Talfahrt durchmachen musste. Wieder etwas im Aufwind kämpft sie nun um das Sorgerecht für ihr Kind. Dabei soll der hoch verschuldeten Frau, die im Besitz des ominösen Büchleins ist, eine Erpressung helfen. Doch sie bekommt es mit einem Gegner zu tun, der notfalls auch Menschen entsorgt.

Polizeiruf 110 – …und raus bist du!Foto: NDR / Christine Schröder
Während andere träumen vom Auswandern in den Süden: eine Architektin im freien gesellschaftlichen Fall. Eindringliches Spiel: Ursina Lardi

Der vierte „Polizeiruf“ aus Rostock rührt im Bodensatz der Gesellschaft – dort, wo man von Hartz IV nur träumen kann, bei Müll- und Schrottsammlern, bei Obdachlosen, die in leer stehenden Plattenbauten hausen und sich für etwas Metall und unnütze Utensilien ein paar Cents beim Schrotthändler abholen. „Der Krimi erzählt sich ja meistens von selbst – da kann man die Energie auf die Figuren legen“, sagt Regisseur Christian von Castelberg. Und die sind in der Tat hoch spannend – sowohl in ihren schrägen Biographien als auch den nicht minder schrägen Darstellungen ihrer Schauspieler. Da ist die von Ursina Lardi eindringlich und ein wenig verrätselt gespielte Architektin im freien sozialen Fall, da ist das alte Ehepaar, dem das eigene Häuschen unter dem Hintern wegzuschimmeln droht und das zwischen zwei Wein aus der Tetrapack davon träumt, auszuwandern. Christine Schorn und Jan Peter Heyne geben der Verzweiflung einen tragikomischen Anstrich. Da ist die von Jan Georg Schütte psychotisch gespielte Schrott-Ich-AG, ein ewig zu kurz Gekommener, der an den großen Coup glaubt.

In diese Parallelwelt dringen die Kommissare, die auch nicht auf Rosen gebettet sind. Bukow zählt die Tage bis Hartz IV und König lässt einen irritierenden Satz fallen: „Ich habe erwähnt, dass ich adoptiert wurde“, sagt sie zur verzweifelten Mutter, die wieder als „erziehungsfähig“ eingestuft werden möchte und der die Kommissarin auffallend zur Seite steht. Ungewöhnlich für die taffe Profilerin. An der „Beziehung“ des Duos wurde von Autor Wolfgang Stauch weiter gearbeitet. Sie foppen und sie mögen sich – ohne dass sie sich in die Karten schauen lassen. Bukow, den Charly Hübner nach wie vor als etwas polterigen Sprücheklopfer gibt hat eine Leiche im Keller – das weiß der Zuschauer. König hält sich weiter bedeckt. Aber Anneke Kim Sarnau spielt sie so, als ob es noch viel zu entdecken gäbe bei dieser eigenwilligen Figur.

Bemerkenswert an „…und raus bist du!“ ist die Tonlage. Trotz Armenhaus Ost mit den abstrusen Überlebensstrategien, die die Menschen sich zurechtzimmern, ist von Castelbergs Film kein Trauerkloß-Krimi. Die Konstruktion des Verbrechens, die man in einem mittelmäßigen Whodunit vielleicht mit „überkonstruiert“ abtun würde, diese unglückliche Kettenreaktion, die dem abstrusen Krimiplot zugrunde liegt, sie passt zu den Geschichten. Und dazu wiederum passen die sprunghaften Figuren, bei denen man nie so genau weiß, woran man bei ihnen ist. Der Film ist sozialkritisch, aber weil er zugleich physisch spannend ist, weil er schnell ist, dennoch psychologisch genau, weil er realistisch wirkt und doch seltsam überhöht und stets für eine Überraschung gut ist, ist er nicht sozialkritisch nach Altvätersitte.

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Reihe

NDR

Mit Anneke Kim Sarnau, Charly Hübner, Ursina Lardi, Jan Georg Schütte, Andreas Guenther, Josef Heynert, Christine Schorn, Jan Peter Heyne, Rudolf Danielewicz

Kamera: Martin Farkas

Schnitt: Antje Zynga

Musik: Ralf Wienrich, Eckhart Gadow

Produktionsfirma: Filmpool

Drehbuch: Wolfgang Stauch

Regie: Christian von Castelberg

Quote: 7,29 Mio. Zuschauer (21,4% MA)

EA: 22.05.2011 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
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