In der Potsdamer Zeit war der „Polizeiruf“ des RBB ein Garant für Entschleunigung. Dafür stand stets und nicht zuletzt der gemütliche Polizeihauptmeister Horst Krause, selbst wenn Maria Simon als vergleichsweise junge Chefin Olga Lenski ein bisschen frischen Wind in die Filme brachte. Mit der Versetzung der Hauptkommissarin nach Świecko an die deutsch-polnische Grenze (2015) änderte sich nach und nach auch die Ausrichtung der Krimis. Das Tempo wurde zwar nicht schneller, aber die Themen wurden größer. Exemplarisch dafür: „Demokratie stirbt in Finsternis“ (2018), ein ungewöhnlicher Thriller mit Jürgen Vogel als „Prepper“, der sich auf die Apokalypse einstellt, und zuletzt „Heimatliebe“ (2019) über Ewiggestrige, die einen Weg gefunden haben, die Oder-Neiße-Grenze rückgängig zu machen.
„Tod einer Journalistin“ setzt diese noch junge Tradition auf hohem Niveau fort. Das Buch (Silja Clemens, Stephan Rick, Thorsten Wettcke) ist eine gelungene Mischung aus Krimi und Politthriller. Der Film beginnt mit einem kleinen Knüller, als eine potenzielle Haupt-Darstellerin (Antje Traue) bereits nach wenigen Szenen aus der Geschichte verschwindet: Nach einem Rendezvous mit ihrem Geliebten fährt eine Frau zu einem konspirativen Treffen; kurz drauf ist sie tot. Weil Regisseur Stephan Rick ihren Tod zeigt, wissen die Zuschauer mehr als die Polizei: Die Ermittler gehen davon aus, dass das Auto von der Straße abgekommen und die Frau bei dem Aufprall gestorben ist; tatsächlich hat ihr jemand das Genick gebrochen. Der Mörder hatte sie zuvor im Visier seines Zielfernrohrs, der Unfall machte die Sache für ihn leichter. Zufall war es jedoch nicht: Am Auto sind sämtliche Radmuttern gelockert.
Foto: RBB / Oliver Feist
Alte Krimihasen ahnen nun selbstredend, dass hier zwei Täter am Werk gewesen sein müssen, und prompt stellt sich die Befürchtung ein, dass ein großes Thema wieder mal bloß zum Vorwand verkommt, weil sich der Mord, der die Ermittlungen ausgelöst hat, als schnöde Beziehungstat entpuppt. Diese Furcht ist zwar nicht völlig unangebracht, aber die große Geschichte erzählt der Film trotzdem: Anne Gerling, das Mordopfer, war eine renommierte investigative Journalistin, die bereits einige Skandale aufgedeckt hat. Ihre aktuelle Recherche galt dem geplanten Bau eines Atomkraftwerks gleich hinter der deutsch-polnischen Grenze. Bei der Suche nach dem Standort ist offenbar nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Das deutsch-französische Betreiberkonsortium hat ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben, Korruption war wohl auch im Spiel. Während eines Prozesses, der die Wahrheit ans Licht bringen soll, lassen die Drahtzieher nichts unversucht, damit Lukasz Franczak (Maciej Stuhr) das richtige Urteil fällt. Für den Richter steht viel auf dem Spiel, ihm winkt eine Berufung an den Obersten Gerichtshof in Warschau, ein Karrieresprung, den seine deutschstämmige Frau (Dagmar Leesch) regelrecht herbeisehnt. Zusätzlich kompliziert wird die Sache durch den Umstand, dass es sich bei dem Mann, von dem sich Anne Gerling zu Beginn verabschiedet hat, um eben diesen Richter handelte; und dass sie schwanger war.
Auch die weiteren Figuren sind interessant. Annes Vater Eric (Max Herbrechter), ebenfalls Journalist, will natürlich herausfinden, warum seine Tochter sterben musste. Weil er weiß, wo sie ihre Rechercheergebnisse versteckt, müssen Lenski und ihr Partner Raczek (Lucas Gregorowicz) auf seine Bedingung „Quid pro quo“ eingehen: Gerling sagt ihnen, was er weiß; im Gegenzug beteiligen sie ihn an den Ermittlungen. Für zusätzliche Spannung sorgen seine Versuche, das Passwort für einen Messenger-Dienst rauszufinden, über den Anne mit ihrem Informanten kommuniziert hat. Die Person muss aus dem innersten Kreis stammen, und zwischenzeitlich mutmaßt Lenski, es könne sich um eine Frau handeln, die sie in ihrer Jugend sehr bewundert hat: Regine Arnim (Julika Jenkins) war einst eine Ikone der Kernkraftgegner, hat nun jedoch anscheinend die Seite gewechselt und berät das Konsortium in Umweltfragen.
Foto: RBB / Oliver Feist
Nicht nur die Geschichte, auch die Umsetzung fesselt. Dabei hat Rick, der gemeinsam mit Koautorin Silja Clemens die packende Kika-Serie „Allein gegen die Zeit“ (2010) entwickelt und inszeniert hat, bislang im Rahmen des „Polizeiruf“ keine größeren Spuren hinterlassen; „Eine mörderische Idee“ (MDR, 2014) und „Der Preis der Freiheit“ (RBB, 2016) waren guter Krimi-Durchschnitt. Dass er auch anders kann, hat er mit „Unter Nachbarn“ (2012) gezeigt; das Regiedebüt war ein subtiles Psychodrama mit Charly Hübner und Maxim Mehmet. Sehenswert war auch die Kinoverfilmung des Martin-Suter-Romans „Die Dunkle Seite des Mondes“ (2016, mit Moritz Bleibtreu), eine faszinierende Reise in seelische Abgründe. Ricks mit Abstand bester Sonntagskrimi war kürzlich „Querschläger“, ein „Tatort“ mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz: In dem packenden Krimi jagen die Bundespolizisten einen Mann (Milan Peschel), der aus Verzweiflung zum Verbrecher geworden ist.
„Tod einer Journalistin“ beeindruckt nicht zuletzt durch die Detailarbeit mit den Schauspielern. In vielen Szenen sind es tatsächlich gerade die Kleinigkeiten, die große Nähe vor allem zu Lenski herstellen: wenn sie beispielsweise amüsiert beobachtet, wie der Kollege seinen Charme spielen lässt, um eine Rezeptionistin zur Preisgabe einer Information zu bewegen; oder wie sie den aufgebrachten Raczek mit einer Geste beruhigt, als der zu Recht außer sich ist, weil der gedungene Mörder (Markus Gertken) quasi vor seiner Nase zugeschlagen hat. Diese emotionalen Momente sind gelungene Kontrapunkte zu den spannend inszenierten Thriller-Szenen, in denen der Killer immer wieder kaltblütig seine Verbrechen begeht. Und noch eins spricht für diesen Krimi, aber das gilt für die „Polizeiruf“-Beiträge aus Świecko ohnehin: Die Polen sprechen polnisch, weshalb die Zuschauer während des Prozesses gemeinsam mit Lenski einer Simultandolmetscherin lauschen müssen. (Text-Stand: 1.12.2019)