Polizeiruf 110 – Smoke on the Water

Brandt, Duken, Bohle, Schütter, Graf. Machtspiele, Körperbilder & ein EU-Politiker

Foto: BR / Julia von Vietinghoff
Foto Rainer Tittelbach

Hanns von Meuffels bekommt es im „Polizeiruf 110 – Smoke on the Water“ mit einem blaublütigen Überflieger zu tun, der sich gebärdet wie ein Provinzkönig. Hat dieser einen anderen bezahlt, damit der sein Todschlagdelikt absitzt? Oder walten in und um Cadenbach globalere Kräfte, für die ein, zwei Morde Peanuts sind? Das Wechselspiel von Macht und Ohnmacht treibt diesen Film an, der in einem wahnwitzig brutalen 15minütigen Totentanz sein verzweifeltes Ende findet. Dominik Graf quält mit diesem Thriller Sonntagskrimi-Fans weniger als zuletzt. Das liegt auch an der großen Sinnlichkeit, mit der er Schütters komplexes Drehbuch umsetzt. Atmosphärisch, cool, schräg, politisch & ein bisschen sexistisch.

„Das Blut ist durch den ganzen Raum gespritzt.“ Die Spurensicherung kann das zwar bestätigen – dennoch glaubt Hanns von Meuffels nicht, dass der mittellose Musiker Mischa Eigner die Journalistin Anne ten Hoff ermordet hat. Offenbar hat der Mann ein Alibi, macht davon aber keinen Gebrauch. Erschlagen mit einer Lampe? Sieht so ein Mord aus Leidenschaft aus? Die Zweifel des Kommissars bestätigen sich, als er von der Freundin der Ermordeten erfährt, dass die Tote lesbisch war. Deckt Eigner den Mörder? Hat er sich bezahlen lassen? Vielleicht von Joachim von Cadenbach, jenem EU-Politiker, der von der Provinz des Freistaats aus mit Hilfe der EU-Subventionspolitik höhere Ziele verfolgt? Doch selbst in Bayern ist der Adel nicht mehr das, was er mal war. Längst walten andere Kräfte, die Jäger & Gejagten, von Meuffels & von Cadenbach, gleichsam in Lebensgefahr bringen.

Polizeiruf 110 – Smoke on the WaterFoto: BR / Julia von Vietinghoff
Noch hat der Adel gut lachen. Das soll sich bald ändern. Und dann kommen solche Sprüche: „Wer meiner Familie hilft, der gehört dazu – und ich sorge für die Sicherheit meiner Familie.“ Klingt nach Tony Soprano. Anja Schiffel, Ken Duken, Matthias Brandt

Adel verpflichtet. Hanns von Meuffels ist in seinem achten Fall „Smoke on the Water“ wieder ganz der Alte. Distanz prägt sein Auftreten und seinen Ermittlungsstil. Das süffisante Lächeln wird ihm aber bald vergehen… Adel verbindet. Der, dem der Kommissar aus München in der kleinen Ortschaft Cadenbach auf den Zahn fühlt, dieser kleine Provinzkönig, macht ihn sofort zum Duz-Freund. Der preußische Adelsspross weiß, was sich gehört, macht brav Honneurs in Richtung der Dame des Hauses; doch bald hat es ein Ende mit den feinen Sitten. Die Neuzeit kennt andere Werte. Wer mit einem Satellitenleitsystem die Weltmarktführerschaft im Auge hat, der pflegt einen rüderen Umgangston und fährt andere Kaliber auf. Und so bleibt die Journalistin nicht das einzige Opfer in diesem Verschwörungskrimi aus der globalisierten Welt aus Geschäft & Korruption, in dem die Fäden einmal mehr „ganz oben“ zusammenlaufen.

Thriller dieser Art spielen mit der Psychologie von Macht und Ohnmacht. Der „Polizeiruf 110 – Smoke on the Water“ von Dominik Graf, für den Günter Schütter ein sehr komplexes Drehbuch vorlegte, das nah am Wahnsinn gebaut ist, gelingt es, diese gesellschaftlichen Mechanismen auf einen überschaubaren Mikrokosmos herunterzubrechen. Die Arroganz der Macht, von der Standesdünkel noch die harmloseste Ausprägung ist, spiegelt sich in vielen Szenen ebenso wie die moralische Gegenposition, die einer wie von Meuffels einnimmt – charmant lächelnd, mit gesundem Rechtsempfinden und einem Anflug selbstbewusster Demut. Körperliche Blessuren haben sie alle. „Wenn ich nicht mindestens ein Mal am Tag Sex habe, kriege ich Rückenschmerzen“, klagt von Cadenbach, den Ken Duken als einen erfrischend extrovertierten Mann mit vielen unangenehmen Gesichtern verkörpert. Beim ersten Gespräch mit von Meuffels hatte jener offenbar schon länger keinen Sex mehr, denn er erbittet vom Kommissar eine Rückenmassage mit dessen Füßen. Zuvor schon hatten sich von Meuffels und die Freundin der Toten, die unbedingt bei den Ermittlungen helfen will, in einer Art Wettbewerb die Narben auf ihren Körpern gezeigt. Eine sehr intime, erotisch konnotierte Szene. Durchschuss, Schlangenbiss, Polizeihund, beide protzen mit ihrer Lebenserfahrung. Wunden im Einsatz für Recht und Ordnung beim Mann, Wunden der Leidenschaft bei der Frau. Theaterschauspielerin Judith Bohle, die als fiktive Fernseh-Ansagerin in Grafs Dokumentarfilm „Es werde Stadt! 50 Jahre Grimme-Preis in Marl“ ein erstes Versprechen gab, kann nicht nur in dieser Szene dem großen Kollegen standhalten. Eine Situation mit Augenzwinkern und mit starker Leuchtkraft, ein magisches Moment, aber auch eine Szene, die den (psychologischen) Gang der Handlung antizipiert. Wunden werden hinzukommen.

Polizeiruf 110 – Smoke on the WaterFoto: BR / Julia von Vietinghoff
Erinnerungen an die Jugendjahre. Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) hat dasselbe Internat besucht, wie einige der Herrschaften, die in seinen aktuellen Mordfall verwickelt sind. Politik ist ein Scheißgeschäft und Bulle sein auch nicht viel besser in einem Freistaat, der eine Bananenrepublik sein könnte.

Kleines zu suchen, das für Großes steht; Körpermetaphern, die Sinnbilder für eine Haltung sind; sinnliche Entsprechungen, die das Macht-Ohnmacht-Szenario, das schwer Vorstellbare (was riesige Verschwörungsszenarien nun mal sind) spiegeln. All das ins Spiel zu bringen ist eine der Qualitäten des langjährig erprobten Duos Schütter/Graf. Dass beide auch in diesem „Polizeiruf 110“ den Fernsehkrimi und das sonntägliche Krimi-Ritual in Grenzbereiche treiben, versteht sich von selbst. Und doch ist „Smoke on the Water“ weniger „anstrengend“ als die etwas selbstverliebte letzte Grafsche „Tatort“-Dekonstruktionsorgie „Aus der Tiefe der Zeit“ (2013). Das liegt vor allem auch daran, dass eben gerade jene Versinnlichung der Buchideen hier besser funktioniert, dass die Geschichte und die Charaktere klarer und nachvollziehbarer (auch weil weniger zerstückelt) sind. Neben der das raumzeitliche Kontinuum aufspaltenden Montage, den vielen Rückblenden oder Erinnerungsflashs, die die Hauptursache für den hohen Irritationswert einiger Krimis von Dominik Graf sind, gibt es in diesem Film auch etliche lange, ausgespielte Szenen, Ruhemomente wie jene Körpernarbenschau, das Gespräch im Wirtshaus zwischen den beiden Adelssprossen oder das artige Vorsprechen im Schloss. Bei „Smoke on the Water“ kommt einem die szenische Orientierung nur selten abhanden.

Gewöhnungsbedürftig, aber große Klasse sind die oft nur Sekunden dauernden Moment-Aufnahmen. Da werkelt eine Frau in der Gaststube, als sie von Cadenbach, dieses Objekt ihrer Begierde, am Nebentisch erblickt, geil an ihrer Scham. Später überrascht von Meuffels den blaublütigen Duz-Freund, wie er im Auto mit seiner Assistentin seinen Kreuzschmerzen vorzubeugen versucht. In einem mittelmäßigen Krimi hätte irgendein Zeuge dem Kommissar gesteckt: „Dieser von Cadenbach – die Weiber stehen einfach auf ihn und er ist auch kein Kostverächter.“ Unkonventionell ist auch der Filmeinstieg. Der Saxofonist, der sich später in Patricia-Highsmith-Manier zum Mörder macht, bläst sich freejazzig die Kehle aus dem Leib. Gewinner sehen anders aus. Und Graf etabliert so nicht nur die nötige Coolness, sondern bekommt so die perfekte musikalische Vorlage für den (saxofongeschwängerten) Score des Films. Den Bildern aus einem halbleeren Club schließen sich Verhörszenen an, die verschnitten werden mit blutigen Tatort-Szenen nach der Mordnacht. Acht Minuten dauert der Prolog. Danach könnte der Fall zu den Akten gelegt werden. Aber von Meuffels ermittelt weiter.

Polizeiruf 110 – Smoke on the WaterFoto: BR / Julia von Vietinghoff
Der Mantel ist schon abgelegt. Das Narben-Schaulaufen kann beginnen. In der ersten Hälfte punktet der „Polizeiruf 110 – Smoke on the Water“ mit einer dezenten Form von Humor. Hinreißende Szene, wunderbare Chemie: Matthias Brandt, Judith Bohle

Man hat oft den Eindruck, Grafs Lust an einer durch die Zeit wirbelnden Montage resultiere aus den Vorbehalten einer klassischen Filmpsychologie gegenüber, die die Motivationslagen gern an Gesichtern abliest und somit immer offen ist für Befindlichkeitsschmonzes und Krimiklischees. „Sie hat mit Ihnen gespielt, sie hat Ihnen Hoffnung gemacht und sie ausgenutzt… und da ist dann die Wut in einem drin – die ist so groß, dass man irgendwann zuschlagen muss“, lässt Autor Günter Schütter Matthias Brandts Hanns von Meuffels sagen. Ein Satz, der in braver, raumzeitlich geordneter Erzählweise aus dem Mund eines jener  deutschen Betroffenheitsermittler das Erbe des „Wo waren Sie gestern…“ antreten könnte – innerhalb der wilden narrativen Schütter-Graf-Textur kriegt ein solcher Satz (bei dem auch eine Rolle spielt, wer ihn spricht) eine andere Färbung. Später kommt die Montage zur Ruhe. Das furiose Finale spielt 15 Minuten lang fast ausschließlich in einem Raum: vier Männer, zwei Frauen, ein Kind und ein toter Hund. Ein Bedrohungsszenario, das sich wie ein absurder Totentanz gebärdet. Höllisch entfesselt die Aggressoren. Es ist ein Nerven aufreibendes Warten auf das Ende. Ein gnadenlos überhöhtes Krimi-Konversationsstück voller Gewalt, Blut und Verzweiflung. Der Kommissar ein Häufchen Elend, sein Körper offen dafür, dass neue Wunden in ihn geschlagen werden. Dann wie im siebten BR-„Polizeiruf“ graut der Morgen und den Zuschauern, die, die sich gern ein bisschen fordern lassen und es nicht mögen, wenn ihnen Helden, Täter und gesellschaftliche Relevanz auf dem goldenen Tablett serviert werden, denen dürfte es am Ende vor dem Gesehenen ähnlich grauen. (Text-Stand: 29.9.2014)

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Reihe

BR

Mit Matthias Brandt, Ken Duken, Judith Bohle, Marek Harloff, Anja Schiffel, Torben Liebrecht, Lena Baader, Berivan Kaya

Kamera: Hendrik A. Kley

Szenenbild: Gabi Pohl

Schnitt: Susanne Hartmann

Produktionsfirma: Andreas Bareiss Pictures, TV60 Filmproduktion

Produktion: Andreas Bareiss, Sven Burgemeister

Drehbuch: Günter Schütter

Regie: Dominik Graf

Quote: 7,29 Mio. Zuschauer (21,1% MA)

EA: 19.10.2014 20:15 Uhr | ARD

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