Elisabeth Eyckhoff baumelt über dem Abgrund, hält sich nur noch mit einer Hand am Baugerüst fest. Und so nahe am eigenen Tod zieht ein absurdes Bild vor ihren (und unseren) Augen vorbei: ein hellgrüner Toaster, aus dem im freien Fall zwei Toastscheiben stürzen. „Wie erbärmlich ist das, bitte“, schimpft die Kommissarin später darüber, dass sie keine originellere letzte Eingebung vorzuweisen hat. Über die Bedeutung der skurrilen, pardon, Nahtoasterfahrung darf das Publikum nun ausgiebig rätseln. Vielleicht findet sich irgendwo eine Filmmetapher, die hier zitiert wird. Jedenfalls steht fest: „Bessie“ hat eine etwas sonderbare Phantasie – und Höhenangst. Kommissar Dennis Eden (Stephan Zinner), der seiner Kollegin eigentlich helfen will, übrigens auch. Statt einer formvollendeten, Krimi-tauglichen Verfolgungsjagd können sich beide auf dem Gerüst nicht mehr von der Stelle rühren und müssen von der Feuerwehr gerettet werden.
Trockenen Humor, und zwar nicht zu knapp, hat der sechste und letzte Film mit Verena Altenberger als Münchener „Polizeiruf“-Kommissarin also auch zu bieten. Der unterhaltsame Genre-Mix des Drehbuchs von Martin Maurer nach einer Vorlage des im Dezember 2020 an Corona verstorbenen Claus Cornelius Fischer macht den Abschied nicht leichter. Etwas dick aufgetragen ist nur, dass der mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete Mähroboter namens Akki rot wird und beinahe durchdreht, als „Bessie“ ihn streichelt. In der letzten Szene sieht Elisabeth Eyckhoff dann keine fliegende Toastscheiben, sondern tatsächlich ein helles Licht, aber ob dies eine Nahtoderfahrung ist und wie diese kluge und sympathische Polizistin überhaupt und viel zu früh aus dem Fernseh-Polizeidienst scheidet, darf hier natürlich nicht verraten werden. Nur soviel: Es geschieht auf eine der Figur angemessene Weise, mit einem ziemlich genialen Schluss, der Schock-Moment und offenes Ende gleichermaßen bietet, einen prägnanten Auftritt von Produzent Francis Fulton-Smith eingeschlossen.
Während Eyckhoff und Eden zu Beginn den Tatort inspizieren, wo der 41jährige Umut Kanoglu getötet wurde, geht es in der Einführung parallel ausführlich um einen Rettungs-Einsatz. Die Sanitäterin Sarah Kant (Martha Kizyma) und ihr Kollege Carlo Melchior (Timocin Ziegler) werden nach einem anonymen Anruf zu einem Wohnhaus geschickt. Warum nicht gleichzeitig die Polizei alarmiert wird, obwohl der Anrufer (Olaf Becker) mit ängstlicher Stimme sprach und von einem Messer berichtete, wie später zu hören ist, gehört zu den kleinen Ungereimtheiten des Falls. Aber ein Verschwörungsthriller, in dem die Grenzen zwischen Realität und Wahn verschwimmen, darf sich Freiheiten nehmen. Und so baut der Film mit einer klassischen Finte Spannung auf, sät Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Sanitäterin, die da plötzlich mit einem blutigen Messer in der Hand an der Seite der schwer verletzten Kerstin Schnabel (Maria Lüthi) sitzt. Und was sehen wir da? Den tatsächlichen Ablauf oder nur das Geschehen, das sich Sarah einbildet? Das Krankenhaus kann am nächsten Tag die Einlieferung der von Messerstichen übersäten Frau nicht bestätigen, auch im Protokoll der Notrufzentrale steht nur das Wort „Fehlalarm“. Kerstin Schnabel bleibt verschwunden.
Stattdessen wird kurz darauf Carlo Melchior in seiner Wohnung getötet – nach einem Besuch von Sarah, die offenkundig die private Trennung von ihrem Kollegen nicht so gut verkraftet hat. Auf der Straße vor Carlos Wohnung spricht sie bereitwillig mit Kommissarin Eyckhoff, bis sie durch ein Paar dunkler Polizisten-Stiefel mit roten Schnürsenkeln in die Flucht geschlagen wird. Sarah fühlt sich verfolgt und ist zugleich dringend tatverdächtig. Als ein Nachbar (Christian Heiner Wolf) von Kerstin Schnabel den Rettungseinsatz bestätigt, liegt es nahe anzunehmen, dass die Paranoia der Sanitäterin begründet sein könnte. Ruhelos geistert sie von da an durch den Film, der schließlich um eine brisante politische Dimension erweitert wird. Die 1994 in der Ukraine geborene, in Wien ausgebildete und zeitweise am Schauspiel Frankfurt engagierte Darstellerin Martha Kizyma hinterlässt dabei einigen Eindruck.
In dem sowohl bildgestalterisch (Michael Saxer) als auch musikalisch (Marius Ruhland) stimmig und stimmungsvoll komponierten Film wird die scheidende Kommissarin noch einmal an ihre Grenzen geführt. Man wird sie mit ihrem besonderen Gefühl für die „Unebenheiten“ (Eyckhoff) nicht nur auf Münchens Straßen vermissen. Immerhin: Zu ihrer Nachfolgerin wurde mit Johanna Wokalek eine Schauspielerin ähnlichen Kalibers gekürt.