Kein Scherz, „Katzenzustand“ ist ein physikalischer Fachbegriff. Dies wissenschaftlich angemessen zu erörtern, würde den Autor dieses Textes leider überfordern. Der Zustand von Pandora, der rötlich gestreiften Katze von Johanna Schrödinger (Ilse Neubauer), ist etwas leichter zu fassen: Weil sie aus dem hübschen Häuschen der alten Dame ausbüxt, setzt sie in der dritten „Polizeiruf 110“-Folge mit Verena Altenberger als Polizistin Elisabeth Eyckhoff eine Kette von Ereignissen in Gang, die gleich mehrere Opfer fordern wird. Weshalb der Name der Katze, der der griechischen Mythologie entnommen ist, sicher auch nicht von ungefähr kommt. Allerdings befindet sich Pandora zu keiner Zeit in einer Büchse, aber zwischenzeitlich in einem Karton – wie in Erwin Schrödingers Gedankenexperiment von 1935, wenn auch ohne radioaktives Material, Geigerzähler, Hämmerchen und Giftkolben. Bei diesem Experiment stirbt die Katze in der Kiste schon beim Zerfall eines einzigen Atomteilchens (natürlich nicht wirklich, ist ja ein Gedankenexperiment). Was das mit der Quantentheorie zu tun hat? „Solange wir nicht in die Kiste schauen, ist die Katze sozusagen tot und lebendig zur gleichen Zeit. Erst wenn wir in die Kiste schauen, zwingen wir quasi das Universum zu einer Entscheidung“, erläutert Physiker Adam Millner (Camill Jammal) bei einem Rendezvous mit der Kommissarin. Womit man immerhin eine ganz, ganz leise Ahnung davon bekommt, was mit „Katzenzuständen“ gemeint sein könnte, die wiederum bei der Entwicklung von Quantencomputern eine wichtige Rolle spielen.
Foto: BR / Hendrik Heiden
„Bessie“ Eyckhoff überrascht jedenfalls mit Kenntnissen aus der theoretischen Teilchen-Physik, aber auch in praktischen Dingen ist sie ihren rein männlichen Kollegen auf der Wache in München-Sendlingen himmelweit voraus. Sie wimmelt Johanna Schrödinger, die auf der Wache wegen Pandoras Verschwinden eine Vermisstenanzeige aufgeben will, nicht einfach ab wie ihr Kollege Dennis Eden (Stephan Zinner), der niemals einen Schritt zu viel tun würde. Eyckhoff fährt die alte Dame nach Hause, hinterlässt ihre Telefonnummer und hängt im Viertel „Vermisst“-Zettel mit dem Foto Pandoras auf. Bei der Gelegenheit begegnen ihr sowohl der nette Physiker als auch eine junge Skaterin namens Vicky Neumann (Luna Jordan). Eyckhoffs engagiertes Handeln hat nun in verschiedener Hinsicht Folgen. Zum einen vertiefen Adam und „Bessie“ ihre charmante Zufallsbekanntschaft bei weiteren Begegnungen. Zum anderen erinnert sich Vicky, als ihr später Pandora über den Weg läuft, an den „Vermisst“-Zettel – was Vicky schließlich das Leben kostet, weil sie unter der angegebenen Telefonnummer an die Falschen gerät. Eyckhoff stellt am Ende die philosophische Gretchenfrage des Films: „Wie soll man jemals etwas Richtiges entscheiden, wenn alles immer gut und schlecht gleichzeitig sein kann?“
Trotz gelegentlicher Ausflüge in die Physik und auf die Meta-Ebene ist „Frau Schrödingers Katze“ jedoch alles andere als ein verkopfter, dröger Film. Eher eine turbulente und tragikomische Farce, in der sich gierige Möchtegern-Ganoven aus der Vorstadt mit allen Mitteln ihren Traum von Reichtum und Glück erfüllen wollen. Treibende Kraft ist Karin Meyer (Lilly Forgách), die Frau Schrödinger als Haushaltshilfe zur Hand geht und sich gemeinsam mit ihrem Mann Michael (Ferdinand Dörfler) das Haus der herzkranken alten Dame unter den Nagel reißen will. Mit einer gefälschten Schenkungsurkunde taucht das Paar bei Notar Leopold Gaigern (Florian Karlheim) auf. Dass Frau Schrödinger möglichst bald das Zeitliche segnet, dafür will Karin Meyer schon sorgen. Die „bösen“ Charaktere sind etwas einfach und holzschnittartig gestrickt (die böse Hexe, der tumbe Ehemann), dennoch funktioniert der Film zuverlässig als schwarze Komödie, in der auf eine Katastrophe wegen der Unzulänglichkeit der handelnden Personen zwangsläufig eine weitere folgt. Das Publikum weiß dabei stets mehr als die Polizei und sieht manches Verhängnis lustvoll kommen.
Foto: BR / Hendrik Heiden
Clemens Maria Schönborn (Drehbuch) und Oliver Haffner (Regie) entwickeln die Figur der Kommissarin unterhaltsam und ganz im Sinne feministischer Kritik weiter. „Bessie“ Eyckhoff ist vor allem dank Verena Altenbergers empathischem Spiel die Sympathieträgerin, deren kluge, selbstbewusste Art die männlichen Kollegen herausfordert und verunsichert. Immerhin ist ihr bisweilen grober Chef (Heinz-Josef Braun) auch mal in der Lage, die eigenen Vorurteile in Frage zu stellen, aber wie schwer es eine Frau auf einer Polizeiwache allein unter Männern hat, wird hier überzeugend in einigen Details erzählt. Für positive Gefühle sorgt nicht nur die ohne jeden Kitsch und auf Augenhöhe aufkeimende Freundschaft mit dem Physiker, sondern auch der respektvolle, generationenübergreifende Umgang zwischen „Bessie“ Eyckhoff und Johanna Schrödinger. Die freundliche, eigentlich als Opfer vorgesehene Dame aus Sendlingen erweist sich als widerstandsfähiger als gedacht. (Text-Stand: 31.5.2021)