Einsatz im Kindergarten. Ein Junkie richtet die Waffe auf ein Mädchen. Hektik, Geschrei, kein SEK in Sicht. Anna Burnhauser wagt den Alleingang. Ihr Chef von Meuffels folgt ihr, den Finger am Abzug. „Waffe runter!“ Es fällt ein Schuss. Hanns von Meuffels hat es erwischt. Sein Herz schlägt noch. Im OP tritt er aus seinem Körper und beobachtet aufmerksam seine Not-Operation. Neben ihm der Junkie, der ihm das alles eingebrockt hat. Der Kommissar schaut bei seiner eigenen Reanimation zu. „Wir verlieren ihn.“ Sorge? Tatsache? Kann der Himmel noch warten? „I’m in heaven“, singt Fred Astaire beim Flug über weiße Berggipfel.
Foto: BR / Krause-Burberg
Es wird keine Reise in den Himmel für Matthias Brandts „Polizeiruf“-Kommissar, eher in den Vorhof zur Hölle. In einem Krankenhaus am Rande der Alpen kommt er wieder zu sich. Doch das Titel gebende „Fieber“ wird noch lange sein Begleiter bleiben – wie Junkie Jürgen, der sich immer wieder in von Meuffels‘ (Halbwach-)Träume schleicht. Nachts kann der Herr Baron nicht schlafen, er geistert durch die Gänge. Und dann verschwinden plötzlich „d’Leit“ über Nacht aus ihren Krankenzimmern. Krankenscheine werden manipuliert, in Toten-Akten fehlen Seiten. „Hier stimmt was nicht“, flüstert er seiner Mitarbeiterin Anna zu – und die Neugierde obsiegt zwischenzeitlich über sein Fieber: Hanns von Meuffels kann auch ohne Mandat und Dienstwaffe ermitteln – im Flügelhemd, im Pyjama, den Infusionsständer in der Hand. Als die tablettensüchtige Ärztin, die „auspacken“ wollte, der Exitus ereilt, ist von Meuffels gewarnt. Sein Fieber steigt wieder. Muss er abermals um sein Leben bangen?
In „Fieber“ von Hendrik Handloegten verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Wahnvorstellungen. Ein kranker Mann beobachtet das bedrohliche Treiben um sich herum. Anfangs weiß der Zuschauer nicht, ob hier das Fieber eine Verschwörungstheorie hervorbringt oder ob tatsächlich seltsame Dinge vorgehen in dieser Voralpenklinik, bei der bereits die Chinesen einen Fuß in der Tür haben. Im Buch von Alex Buresch und Matthias Pacht funktioniert dieses Grenzgängerische ausgezeichnet, weil fast jede Szene von der Warte der Hauptfigur aus erzählt wird. Filmisch geht die Rechnung mit der Einheit von Zeit, Ort und Handlung auf durch die Präsenz von Matthias Brandt als Beobachter, die feinmotorische Kamera, die bei Gegenschnitten oft dessen Position einnimmt, und durch einen wunderbar akzentuierten Erzählrhythmus, mal gleitend, mal drängend, durch den Fluss der Bilder, in denen der ganz normale Krankenhausalltag nahtlos in irreale, halluzinatorische Szenen übergeht. Wesentliche Informationen für den Krimi, Futter für die grauen Zellen des Zuschauers, vermischen sich mit Atmosphärischem, bei dem die Phantasie des Betrachters gefordert ist. Der Handlungsfluss entspricht dem Bewusstseinsstrom des Helden.
Foto: BR / Krause-Burberg
Diese Subjektivierung, diese Identifikation, dieses „Mitgefühl“ mit dem niedergeschossenen Kommissar, braucht man auch bei diesem Film, der mit den Konventionen des TV-Krimis bricht wie kaum ein anderer. Wann entwickelt sich schon mal ein Krimi so leise, so schleichend zu einem filmischen Alptraum, aus dem sich auch noch ganz nebenbei ein Thema herausschält: der finanzielle Druck der Krankenhäuser und die Gefahren der Privatisierung! In welchem Krimi dringt man schon mal ins Unterbewusstsein des Kommissars ein, wird Ohrenzeuge seiner Ängste? Und wann unterläuft man schon mal so intelligent und spielerisch die Sehgewohnheiten der Zuschauer? Die Theater erfahrenen Schauspieler Brandt und der die gemeinsamen Halluzinationsszenen „führende“ Georg Friedrich – sein Junkie lockt, provoziert, desillusioniert – liefern hier hoch konzentrierte theatrale Zwischenspiele, absurde Miniaturen, die einen Staunen machen: es sind Dialoge mit einem Toten. Im Krimi gibt es ständig Tote. Auf die Idee, dass man mit ihnen in einem Zwischenreich Kontakt aufnimmt, ist hierzulande noch niemand gekommen. Dieser einzigartige „Polizeiruf 110“ erinnert in seinen Stimmungen an Lars von Triers Grimme-Preis-gekrönte Mini-Serie „Geister“ (1994/97).
„Ich bin das Vieh, das du wegsperrst tief in dir drinnen jeden Tag“, wütet der Junkie im dramatischsten jener Fieberträume von Hanns von Meuffels. Der dem Tod Geweihte will den Kommissar hinüberziehen in sein Reich. Wieder wird dieser Augenzeuge seiner eigenen Not-Operation. Eine einzige Schneelandschaft, der Gipfel ruft, der Himmel kann nicht mehr warten. Von Meuffels reißt sich los. Wir verlieren ihn nicht. Er wird wiederkommen. Das ist er dem Zuschauer, das ist er dem Fernsehen schuldig! (Text-Stand: 6.10.2012)