Ein Abend im Club. Zwei Freundinnen sind gut drauf; sie werfen Pillen ein, sie tanzen, sie trinken, „I’m sexy and I know it“… Am nächsten Morgen hat die eine der beiden einen Filmriss, die andere wird auf einem Schrottplatz gefunden – sie wurde erschlagen. Ihr wurden K.o.-Tropfen verabreicht und sie wurde vermutlich von zwei Tätern vergewaltigt. Außerdem war das Mädchen im zweiten Monat schwanger. Für die Kommissarin und junge Mutter Olga Lenski, die gerade erst wieder im Dienst ist, ein emotional schwieriger Fall. Unter dringendem Tatverdacht stehen zwei Klassenkameraden der beiden Mädchen. Die Hauptbelastungszeugen sind ein Mitschüler, der nicht zur Clique gehört, und ein Illegaler, der die beiden jungen Männer in der Nacht auf dem Schrottplatz gesehen hat. Für Lenski ist der Fall klar, doch der Vater einer der Verdächtigen, ein Star-Anwalt, führt die Kommissarin beim Haftprüfungstermin regelrecht vor. Sie war sich so sicher, dass die jungen Männer die Tat begangen haben. Dadurch sind ihr bei der Ermittlung gravierende Fehler unterlaufen.
Junge Erwachsene, die nicht wissen, was sie tun, Eltern, die noch viel weniger wissen, was ihre Kinder so treiben, Familien, in denen offenbar nicht mehr miteinander geredet wird. Der dritte „Polizeiruf 110“ mit Maria Simon malt Titel gebend „Eine andere Welt“ aus – was besonders zutreffend ist, wenn man diese zeitgeistigen Ausgeburten seelischer Verkrüppelung mit dem liebenswerten Potsdam-Ambiente der Ermittler vergleicht. Auch wenn Horst Krause sich in diesem Fall, geschrieben von Clemens Murath, zurücknehmen muss, mit seiner Haltung hält er nicht hinterm Berg: „Die haben keine Ahnung, was sie sich damit antun“, kommentiert er kopfschüttelnd das Treiben auf der videoüberwachten Disko-Toilette. Auch seine Chefin versteht die Welt nicht mehr und sinniert laut über jene vermeintlichen „Mädchenabende“, von denen die Teenager ihren Eltern vorlügen, „um aus dieser Enge herauszukommen“. Die etwas aufgesetzte Pädagogik und der kulturpessimistische Unterton einiger Dialoge werden von Simon und Krause wunderbar ins Beiläufige gezogen und weggespielt, sodass man sich als Zuschauer auf die spannende Handlung konzentrieren kann.
Filmisch ist dieser „Polizeiruf“ insgesamt sehr flüssig erzählt, im Detail mal sinnlich süffig, mal emotional intensiv, ohne dabei aus Leidens- oder Rauschmomenten Effekte zu ziehen. Trotz der Vielzahl an Figuren zerfasert der Film nicht, sondern besitzt große Geschlossenheit. Das ist vor allem die Leistung von Regisseur Nicolai Rohde, aber auch Bildgestaltung und Schnitt haben einen maßgeblichen Anteil daran. Die Kamera setzt auf moderne Bildsprache, rückt immer wieder nah an die Gesichter heran – da erkennt man die große Klasse von Maria Simon, Herbert Knaup oder auch von Jungtalent Lotte Flack. Schmerz liegt auf vielen Szenen: Teenager – haltlos, hilflos, Eltern – ratlos… Die Spannung, die man bei „Eine andere Welt“ empfindet, hängt sicher auch mit dem „Verständnis“ zusammen, das man den meisten Figuren entgegenbringt – selbst wenn man sie nicht mag. Der Film bringt sie einem nahe: selbst den Anwalt, über den Herbert Knaup sagt: „ein harter, unzugänglicher Mann, der keine Gefühle für andere Menschen mehr empfindet und zulässt. Ein Asozialer.“ Knaup spielt ihn dennoch als Mensch. Auch die vermeintlichen Vergewaltiger werden mehrdimensional gezeichnet.
Allein das Drehbuch, die Dramaturgie der Krimigeschichte, hält nicht ganz den hohen Standard von Spiel und Regie. Der Krimiplot ist weniger gebaut, er folgt vielmehr dem aktuellen Stand der Ermittlungen. Daraus ergibt sich ein dramaturgischer Realismus, dessen authentische Geradlinigkeit mit zum guten Flow des Films beiträgt. Umso auffälliger die Überkonstruktion des Krimi-Plots. Im letzten Drittel wird der Zuschauer mit zu vielen Zufälligkeiten überrascht: zwei Falschaussagen, um das Krimi-Finale „hinzudrehen“ und den „Täter“ quasi aus dem Hut zu zaubern – das wirkt überkonstruiert. Und damit der Zuschauer beruhigt sein kann, was die Bestrafung angeht, fragt Krause und die Kommissarin antwortet. Das ist wenig elegant. Auch der Subtext der Figuren deutet Dinge an (des Anwalts Ehefrau fuhr nach einem Streit mit dem Auto gegen einen Baum), die unzulänglich ausgespielt werden… „Eine andere Welt“ ist deshalb nur ein guter, kein sehr guter „Polizeiruf 110“.