Ibsens „Peer Gynt“ gilt als der „Faust des Nordens“. Ein leidenschaftlich nach Liebe Dürstender, ein Muttersöhnchen, Prahlhans und Don Juan, voller Sehnsucht nach der ganzheitlichen Heimat. Leben = Wahnsinn geteilt durch Liebe, so lautet die Maxime jener ruhelosen Seele, die zeitlos durch die Welt irrt. Der Regisseur Uwe Janson hat den Stoff filmisch adaptiert und ihn weitgehend unter freiem Himmel inszeniert. Es ist ein Experiment, nach „Baal“ und „Lulu“ das dritte von Arte und ZDF-Theaterkanal. „Eine ungeplante Trilogie“, nennt Theaterkanal-Leiter Wolfgang Bergmann die drei Arbeiten Jansons, „weil niemand die Gewissheit hatte, dass die Vision einer Theaterverfilmung in einer zeitgenössischen Bildersprache in der heutigen Fernsehwirklichkeit Erfolg und Bestand haben würde.“
Wie der sich hemmungslos am Leben besaufende Anti-Held aus Brechts ungehobelten Erstlingswerk und wie Wedekinds nur auf den ersten Blick als Femme fatale erscheinende Lulu so interpretiert Uwe Janson auch Peer Gynt als einen nach Liebe Suchenden, der das Leben begreift als eine Reise zu den Frauen und sich selbst. Die beiden weiblichen Bezugspunkte seiner dramatischen Existenz sind seine Mutter und seine große Liebe Solveig. Wie Faust ist die Urangst des Todes, symbolisiert durch den mephistophelischen „Knopfgießer“, sein ständiger Begleiter. Der höhnt ihm, der sich immer wieder großspurig seiner eigene Genialität versichert, kalt ins Gesicht: „Du bist kein König, du bist eine Zwiebel.“ Schalenreich, viele Schichten, aber kernlos.
Diesen Vorwurf wird gewiss manch ein Theater-Liebhaber an den Regisseur weitergeben. Es ist sicher nicht jedermanns Sache, die dramatische Lebensreise eines Träumers, der „sich selbst genug“ ist, ohne jemals wirklich „er selbst“ zu sein, mit den realistischen Mitteln des Films erzählt zu sehen. Uwe Janson ergeht sich im Rausch der schönen Bilder. Das macht „Peer Gynt“ leichter goutierbar als „Baal“ und „Lulu“. Wahrheit, Wahn, Wunsch und Wirklichkeit verschwimmen zu einem filmischen Gedicht über die (Un-)Möglichkeit der Liebe und über die vergebliche Hoffnung auf Unsterblichkeit. Ästhetisch ist der Film, der im Sommer 2005 auf der Ostseeinsel Usedom entstanden ist, grandios. Janson tobt sich aus, zieht alle Register der Filmsprache.
Mittelpunkt bei aller visueller Opulenz bleiben aber die Figuren und Schauspieler. Robert Stadlober, der sich nach Kinoerfolgen wie „Sonnenallee“ oder „Crazy“ gern das Postpunk-Rebellen-Image gibt, spielt den Peer Gynt als liebenswerten Leichtfuß, der vor allem geliebt werden möchte. Nicht mit allen Frauen weiß der Held etwas anzufangen. Einmal entführt er eine Braut, wenig später lässt er sie sitzen. Zu Füßen liegen ihm bis zu ihrem Tod die Mutter und jene engelsgleiche Solveig. Karoline Herfurth, die erste Schönheit in Tom Tykwers „Das Parfum“, die Jean-Baptiste Grenouille auf den Geschmack des Tötens bringt, tänzelt als eine Art Sehnsuchtsbild durch den wunderbaren Film. (Text-Stand: 13.12.2006)