Nord bei Nordwest – Sandy

Schönemann, Reents, Lohse, Gerschke, Schmidt, Zähle. Einfach rundum stimmig

Foto: Degeto / Georges Pauly
Foto Rainer Tittelbach

Die Dorfpolizistin & die Tierarzthelferin sind in Aufruhr. Werden sie Hauke Jacobs verlieren, wird er mit seiner großen Liebe davonschippern? Der Zuschauer darf dem Ganzen gelassener entgegensehen. Der Tierarzt mit der Lizenz zum Ermitteln wird nicht mit der Titel gebenden „Sandy“ (NDR, Degeto / Aspekt Telefilm) auf Weltreise gehen; denn schon nächste Woche gibt es die sechste „Nord bei Nordwest“-Episode. Film 5 hat nicht nur Beziehungskomödie zu bieten, sondern ist auch ein richtig cooler, Ironie geschwängerter Krimi mit einem furiosen Schlussdrittel. Autor Holger Karsten Schmidt ist mal wieder in seinem Element. Das Trio funktioniert bestens, Gerschke passt sich gut ein und Zähle findet den richtigen Ton.

Zwei falsche Polizisten, zwei sadistische Dealer & die Liebe des Lebens
Viel los in Schwanitz. Zwei Betrüger in Polizeiuniform verschaffen sich zutritt in Häuser unbedarfter Bürger, in denen sie sich unbemerkt und in Windeseile ein paar Kostbarkeiten krallen. Auch Tierarzt Hauke Jacobs (Hinnerk Schönemann) gehört zu den Ausgeraubten; seine Mitarbeiterin Jule Christiansen (Marleen Lohse) war zu perplex, um sich viel dabei zu denken, und so ist das Förderverein-Preisgeld für den geplanten Gnadenhof futsch. Besonders dreist: Die Männer suchen nicht das Weite, sondern bleiben in der Gegend, steigen vom gefakten Polizeiauto auf Fahrräder um und wollen voraussichtlich am nächsten Tag noch einmal zuschlagen, wie Dorfpolizistin Lona Vogt (Henny Reents) recherchiert hat: Die beiden Brüder, ehemalige Kollegen, sind Serientäter. Die gestohlenen 5000 Euro hat Jacobs dann aber schnell vergessen, denn wie aus heiterem Himmel steht seine große Liebe, Sandy (Isabell Gerschke), vor ihm und will offenbar da wieder anknüpfen, wo die Beziehung einst aufgehört hat. Auch der Tierarzt mit der ehemaligen Lizenz zum Ermitteln ist bald wieder Feuer und Flamme. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Zwei Dealer aus Hamburg machen Station beim Biobauern Arno Frank (Tom Lass), der sich als Drogenkurier was dazu verdient, um die neue Lieferung zu inspizieren. Franks Haus haben sich auch die falschen Polizisten als neues Zielobjekt auf ihrem Raubzug ausgeguckt. Und dummerweise steht auch Sandy auf Bio.

Vier ist mindestens eine zu viel: Wird der Tierarzt Schwanitz treu bleiben?
„Ich glaub’, wir verlieren ihn“, mutmaßt Tierfreundin Jule. Und auch Polizistin Lona „arbeitet“ nicht ganz zufällig nächtens am Hafen, vis-à-vis von Jacobs Schiff, während dieser und die Namensgeberin seines Kahns, Sandy de Man, zur Nachspeise übergehen. Die Frauen sind in Aufruhr. Die eine äußerlich, die andere mehr von innen. Der Zuschauer darf dem Ganzen gelassener entgegensehen. Hauke Jacobs wird nicht mit seiner großen Liebe auf Weltreise gehen, denn nach „Sandy“, dem fünften Film aus der Reihe „Nord bei Nordwest“, steht bereits nächste Woche die sechste Episode auf dem Programm und die siebte ist bereits abgedreht. Aber auch im Film mehren sich die Zeichen, die darauf schließen lassen, dass der nette Tierarzt viel zu sehr seiner kriminalistischen Vergangenheit nachhängt, um sich der Liebe wegen aus dem Staub zu machen. Bereits vor dem Abendessen in der kuscheligen Kajüte schlagen zwei Herzen in Haukes Brust: Draußen beredet er mit Lona den aktuellen Stand der Ermittlungen, von drinnen tönt ein herzliches „Essen ist gleich fertig“. Eine solche innere Zerrissenheit heiter darzustellen, ist im Übrigen eine von Breaks- und Pausen-Akrobat Hinnerk Schönemanns Spezialitäten. Am nächsten Morgen laufen sich die beiden vorm Bäcker über den Weg. Und schon wieder führt der Fall Hauke in Versuchung („Soll ich mitkommen?“), sodass Lona ihn daran erinnern muss, dass er mit den Brötchen und den Croissants doch wohl etwas anderes vorhabe. Und als Jule ihm ins Gesicht sagt, dass ihm der Schal, Sandys Mitbringsel, nicht stehen würde, und er ihn wenig später ablegt, ahnt man als Zuschauer, dass es nicht mal einen maritimen Kurztrip mit der Blondine geben wird. Denn so wie man den Helden dieser ARD-Donnerstagskrimi-Reihe kennengelernt hat, bietet der Alltag in Schwanitz genau die richtige Mischung für ein Leben so ganz nach dessen Geschmack: ruhig, entspannt, viel Natur, wenig Menschen; ein Leben ganz im Dienste der Tierwelt und zugleich – mit seiner Erfahrung als ehemaliger Polizist – die Welt der Menschen ein bisschen besser machend.

Nord bei Nordwest – SandyFoto: Degeto / Georges Pauly
„Essen is‘ fertig.“ Fall oder Liebe? Hinnerk Schönemann, Isabell Gerschke & Henny Reents. Drei Frauen könnten für Hauke Jacobs möglicherweise doch zu viel sein.

Das immer traumhafter agierende Trio muss nicht viele Worte machen
Diese tiefe Stimmigkeit, die die Psychologie der Hauptfigur auszeichnet, zieht sich seit der dritten Episode durch jeden der Filme der Reihe, von „Estonia“ über „Der Transport“ bis zu „Sandy“ und „Waidmannsheil“. Diese Stimmigkeit überträgt sich trotz unterschiedlicher Regisseure auch auf die filmische Erzählweise, und sie steckt in vielen anderen Momenten der in ihren Genre-Tönen abwechslungsreich nuancierten Geschichten. Da sind die zwei Frauen mit ihrem zunehmend deutlicher werdenden Interesse an diesem ungewöhnlichen Mann. Dieses Dreieck ist das Herzstück der Reihe. Die Besetzung mit Henny Reents und Marleen Lohse neben Schönemann veredeln die mal norddeutsch distanzierten, mal erfrischend direkten Beziehungsspielchen, die sich der Grimme-dekorierte Autor Holger Karsten Schmidt ausgedacht hat. Auch wenn man sich noch immer siezt, mittlerweile weiß jeder Zuschauer, wer hier welche Begehrlichkeiten weckt. Der positive Nebeneffekt: Die Interaktionen sind immer feiner gesponnen, die gegenseitige Anziehung findet neue Ausdrucksformen und auch im Spiel kann sich das Trio – insbesondere von Lohse – noch mehr zurücknehmen. Da trifft es sich auch gut, dass Schmidt ein Drehbuchautor ist, der seine Figuren nicht viele Worte machen lässt. In „Sandy“ stört nun eine dritte attraktive Frau diese doppelte Buhlschaft. Keine leichte Aufgabe für Isabell Gerschke, gegen das eingeführte sympathische Frauenduo anzuspielen. Es gelingt ihr, nicht zuletzt deshalb, weil die Figur nicht als Zicke, die die Schwanitzer Harmonie stört, eingeführt wird, sondern als eine Frau, die es mit ihrer Romantik offenbar ernst meint. Gerschke harmoniert überdies gut mit Schönemann, der seinerseits auf die Überfallsituation in seinem Spiel ungemein glaubwürdig reagiert. Dieses Nicht-Wissen, was er von Sandys Auftauchen und ihren Worten („aber dann hast du mir gefehlt“) halten soll, diese gewissermaßen positive Verunsicherung meistert er mimisch sehr überzeugend.

Zwischen Krimi & (Beziehungs-)Komödie stimmig-stimmungsvoll austariert
„Sandy“ hat aber natürlich nicht nur Beziehungskomödiantisches zu bieten, sondern ist auch ein sehr aktionsreicher Krimi, der sich wohltuend von den üblichen Ermittler-TV-Formaten abhebt. Kein Mord zu Beginn, ja selbst nach 60 Minuten wartet man noch vergeblich auf eine Leiche. Das wird sich ändern. So milieugerecht entspannt Holger Karsten Schmidt den Krimifall auch entwickelt, im Schlussdrittel dreht der Autor geschickt an der Spannungs-Schraube, indem er alle Handlungsfäden und alle krimirelevanten Charaktere zusammenführt, bevor den Zuschauer auf der Zielgeraden mal wieder ein für Schmidt typisches bleihaltiges Western-Finale erwartet. Das Miteinander von Ernst und Unernst funktioniert in Schmidts Geschichte(n) so gut, weil ein Hauch von Ironie auf ihr/ihnen liegt. Dieser Mikrokosmos Schwanitz ist nicht die Wirklichkeit. Das merkt (fast) jeder Zuschauer und selbst der, der bei Krimis eine realistische Darstellung der Polizeiarbeit fordert, nimmt den Filmen aus der „Nord-bei-Nord-west“-Reihe „Unglaubwürdigkeiten“ nicht übel, die er beispielsweise Krimis der knallharten Sorte nie durchgehen lassen würde. Damit schließt sich der Kreis – und wir sind wieder bei der stimmigen Tonlage der Reihe, in der im Übrigen auch nichts beliebig, kein Handlungselement (kommt es einem auch noch so bekannt vor) austauschbar erscheint, weil es in ein eigenes narratives System eingepasst ist. Auch dadurch bekommen die Filme ihren großen Wiedererkennungswert. Dass außerdem immer wider Regisseure gefunden werden, die dieses „System“ und die norddeutsche Wesens- und Lebensart verstehen, macht „Nord-bei-Nordwest“ zur derzeit besten ARD-Donnerstagskrimi-Reihe. (Text-Stand: 12.12.2017)

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Reihe

ARD Degeto, NDR

Mit Hinnerk Schönemann, Henny Reents, Marleen Lohse, Isabell Gerschke, Cem-Ali Gültekin, Tom Lass, Adreas Grötzinger, Yorck Dippe, Sebastian Fräsdorf, Bernhard Conrad, Timo Mewes

Kamera: Andreas Doub

Szenenbild: Marion Strohschein

Schnitt: Ingo Ehrlich

Musik: Stefan Hansen

Redaktion: Donald Kraemer (NDR), Katja Kirchen (ARD Degeto)

Produktionsfirma: Aspekt Telefilm

Produktion: Claudia Schröder

Drehbuch: Holger Karsten Schmidt

Regie: Max Zähle

Quote: 5,85 Mio. Zuschauer; Wh. (2019): 5,19 Mio. (18,8% MA)

EA: 11.01.2018 20:15 Uhr | ARD

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