„Wenn man was nicht mag, dann ist einem weniger davon lieber.“ Und drum ist denn auch der Ex-Bulle Hauke Jacobs, der aus eigenen Stücken den Dienst quittiert hat, an die Ostsee gezogen, weit raus, an den am dünnsten besiedelten Ort der Gegend, die Halbinsel Priwall. Dort, auf einem Fischerboot wohnend und in der Tierpraxis des sich selbst absichtlich tot gefahrenen Veterinärs arbeitend, will der offensichtlich von den Menschen enttäuschte Tierfreund einen Neuanfang wagen. Zwei Frauen kreuzen seine Wege. Die eine ist die Tierpraxisassistentin Jule, die andere Dorfpolizistin Lona. Die hat bald zwei Leichen vor der Brust: zwei Fischer, die sich mit den falschen Leuten eingelassen haben. Und was steckt dahinter? Schmuggel? Menschenhandel? Stoisch macht die Gesetzeshüterin ihre Arbeit, wobei ihr Jacobs‘ beiläufig dahingesagte Hinweise zum Fall den Weg bei dessen Aufklärung weisen. Auf einem abgelegenen Hof kommt es am Ende zum Showdown. Die weiteren Protagonisten sind zwei freundliche Männer, die auch ganz anders können, zwei Teenager, die ängstlich, aber genauso mutig sind, und ein Bauer, der gut mit seiner Schrotflinte umgehen kann.
Foto: NDR / Degeto / Gordon Timpen
Was auf den ersten Blick wie eine den typischen Schmidt-Schönemann-Stil à la „Mörder auf Amrum“ oder „Mord in Aschberg“ ins sichere Fahrwasser der Degeto schipperndes Krimi-Vehikel erscheinen mag, entpuppt sich bald als eine vielleicht weniger spröde, weniger gewalthaltige, weniger brutale, aber keineswegs weniger schräge Erzählvariante als diese, mit der Autor Holger Karsten Schmidt und Hauptdarsteller Hinnerk Schönemann in den letzten Jahren im ZDF für so viel Abwechslung im Fernsehkrimi sorgten. „Nord bei Nordwest – Käpt’n Hook“ setzt anfangs mehr auf die norddeutsche Weite, die Landschaft, das Meer, auf das Freiheitsgefühl, die freiwillig gesuchte Einsamkeit. Das Böse schleicht sich langsam an. Weil alles so leise beginnt, ergeben sich letztendlich sogar vielfältigere Möglichkeiten zur Nuancierung. Und so oder so, das reinigende Gewitter im Kugelhagel wird kommen. Das sich da etwas zusammenbraut, spürt man als Zuschauer spätestens zu Halbzeit. Auch ohne explizite Coen-Coolness ist genügend Spannung im Spiel. Die Charaktere besitzen insgesamt einen Tick weniger Genre-Touch, ihre Bedürfnisse erscheinen lebensnaher. Die Glückssuche am Arsch der Welt ist quasi der Ausgangspunkt für die Geschichte. Unangenehm Menschelndes aber besitzt der Film in keiner Sekunde. Vielleicht geben sich vor dem Auffinden der beiden Toten der Ex-Bulle und die Polizistin etwas zu kontemplativ der Ostseestimmung hin, außerdem folgt die Musik, die leider so gar nichts hat von den dissonanten Country-Klängen jener ZDF-Filme von Markus Imboden, etwas zu offensichtlich dem Ostseewellen-Schlag. Doch mit dieser Wellness-Tonart ist es dann schnell vorbei. Es beginnt ein Krimi, der ganz ohne „auf Pointe komm raus“ erzählt und der durch seine große Ruhe und anfangs gedrosselte Dramatik weitgehend den Protagonisten das Feld überlässt.
Qualität & Kontinuität: „Nord bei Nordwest“ ist bereits der 9. Provinzkrimi, den Produzentin Claudia Schröder mit dem doppelten Grimme-Preisträger Holger Karsten Schmidt (Buch) entwickelt hat. Los ging es mit „Der Mörder ist unter uns“ (2003), ein Film noch ohne Augenzwinkern, dafür mit Christoph Waltz. 7 Mal war Hinnerk Schönemann mit von der Partie, 8 Mal Regisseur Imboden. Der erfolgreichste Film bei Publikum wie Kritik war „Mörder auf Amrum“ (2010).
Foto: NDR / Degeto / Gordon Timpen
Hinnerk Schönemann verschiebt hier seinen unverkennbaren Stil der abgebrochenen Sätze, des verzögernden Sprechens, des fragenden Blicks, der zwischen Männlichkeit und Verunsicherung schwankenden Ausstrahlung ein Stück weit in Richtung ernsthafte Wehmut. Und so erspielt sich das bekennende Nordlicht in dieser Rolle mehr Zwischentöne. Daraus ergibt sich ein Laid-Back-Krimi, der großen Spaß macht und in dem es viel zu entdecken gibt. Grandios wie klein und fein Schmidt Schwanitz(!) als sexuelles Notstandsgebiet zeichnet. Bei der sonst so straighten Polizistin setzt das Bullenhirn aus, sobald sie einen Mann in Unterhose sieht. Und bei der Tierfreundin hat man den Eindruck, sie würde den Zugereisten, den sie mit ihren Augen aufzufressen scheint (oder ist es nur ihre unbekümmerte Art?) am liebsten gleich umkuscheln. Ob ihr das selber alles so klar ist? Auf jeden Fall redet sie ohne Punkt und Komma – auch eine Art, mit der eigenen Unsicherheit umzugehen. Vom Naturell der Figuren her sind sich Polizistin und Doc deutlich näher. Die Vorliebe für melancholische Momente spannt zumindest filmisch ein Band zwischen den beiden. Mehr is’ nicht – und wird wohl bei den (hoffentlich bald zu erwartenden) Fortsetzungen auch nicht sein. Diese Sehnsucht inklusive einer leicht erotisch aufgeladenen Stimmung braucht dieses an Landschaft und Atmosphäre gebundene Krimi-Konzept, für das Kamerafrau Eeva Fleig markante Bilder fand.
Diese verhinderte Dreiecksgeschichte ist schon eine höchst (beziehungs)spannungsgeladene, auch die Zuschauerphantasie anregende Setzung von Grimme-Preisträger Schmidt. Männer sind ein rares Gut auf der Halbinsel. Die, die im Auftaktfilm der ARD-Reihe auftauchen, sind ein Pantoffelheld, ein kauziger Hundefreund, ein Bauer, der sich krankhaft die Hütte voll stellt, und zwei Killer. Und kommt mal einer aus Hamburg, ein gut aussehender, sensibler noch dazu, dann will der ausgerechnet von Frauen nichts wissen, will nur seine Ruhe (und weiß nur zu gut, dass Frauen nie Ruhe bedeuten). Dass „Nord bei Nordwest – Käpt’n Hook“ so gut funktioniert, liegt nicht zuletzt auch an dem hinreißenden Rotschopf- und wilden-Mähnen-Duo Henny Reents und Marleen Lohse. Sie und ihre Charaktere laden die Lehrstellen von Hinnerk Schönemanns oft doppeldeutigen Spiel quasi auf – mit Temperament und einem Lächeln, mit weiblicher Intuition, nordischer Frische, mit Charme und einer nicht zu leugnenden erotischen Ausstrahlung. Und der Regisseur Marc Brummund hat das Ganze in einen stimmigen, lakonischen & realistischen Erzählstil verpackt. (Text-Stand: 7.10.2014)