Neuer Wind im alten Land – Erntezeit + Stolz und Vorurteil

Felicitas Woll, Steve Windolf, Kirsten Peters, Dirk Pientka. Was für ein Kuddelmuddel!

21.04.2025 10:00 ZDF-Mediathek beide Episoden Mediathek-Premiere
27.04.2025 20:15 ZDF Erntezeit TV-Premiere
04.05.2025 20:15 ZDF Stolz und Vorurteil TV-Premiere
Foto: ZDF / Boris Laewen
Foto Tilmann P. Gangloff

Roter Faden der Episoden drei und vier aus der ZDF-Reihe mit Felicitas Woll als abgestürzte Star-Journalistin, die nun im einstigen Kinderzimmer ihres Elternhauses lebt, ist die Beziehung zur Jugendliebe (Steve Windolf): Die alten Gefühle sind noch da, aber auch Bekes zukünftiger Ex-Mann meldet Ansprüche an. Deutlich mehr Relevanz hat die zentrale Handlung des zweiten neuen Films, als sich die Lokalreporterin einer Lotsin annimmt, die sich zwischen lauter Männern behaupten muss. Die Umsetzung ist ebenso unaufgeregt wie die sympathisch, aber harmlos vor sich hin plätschernde Musik; sehenswert ist „Neuer Wind im Alten“ (Real Film) vor allem wegen des guten Ensembles.

Gefallener Stern landet unsanft auf dem Boden der norddeutschen Realität: Dieses Erzählmuster hat dem ZDF so gut gefallen, dass es nach dem Vorbild von „Dr. Nice“ (2023) gleich noch eine zweite Reihe entwickeln ließ. Im Unterschied zu dem Star-Chirurgen, der seiner Berufung seit einem Unfall nur noch eingeschränkt nachgehen kann, hat Top-Journalistin Beke Rieker (Felicitas Woll) trotz Burnout und Eheende ihr Schreibtalent nicht verloren. Nach dem Absturz ist sie zu ihren Wurzeln nach Jork in die Elbmarschen nahe Hamburg zurückgekehrt und arbeitet nun wieder als Lokalreporterin für die Provinzzeitung, bei der ihre Karriere vor vielen Jahren begonnen hat. Die deutlich größere Schmach ist die Rückkehr mit um die vierzig ins Elternhaus und das einstige Kinderzimmer.

Neuer Wind im alten Land – Erntezeit + Stolz und VorurteilFoto: ZDF / Boris Laewen
Die Apfelernte steht vor der Tür und das Alte Land ist, wie jedes Jahr zu dieser Zeit, voll von Erntehelfern aus Polen und Rumänien. Bekes (Felicitas Woll) Neugier am Rumäne Bogdan (Konstantin Lindhorst) wird durch sein merkwürdiges Verhalten geweckt.

Während es in „Dr. Nice“ immerhin um heikle medizinische Herausforderungen geht, bewegen sich die Konflikte in „Neuer Wind im Alten Land“ größtenteils im zwischenmenschlichen Bereich, wenn auch auf mehreren Ebenen: Auf dem Hof von Bekes Jugendliebe Paul (Steve Windolf) weigern sich die polnischen Erntehelfer, mit einem angeblich diebischen rumänischen Kollegen unterm selben Scheunendach zu schlafen. Bekes Schwester Heide (Anne Roemeth), bislang unangefochtene Bürgermeisterin, wird vom Drehbuch (Kirsten Peters) unversehens mit einem populistisch polternden Gegenkandidaten konfrontiert. Die etwas übergriffige Mutter (Hildegard Schroedter) warnt die heimgekehrte Tochter davor, sich in einen neuen Kuddelmuddel stürzen, bevor der alte mit Ex-Mann David beendet ist: Das Ehepaar ist noch nicht geschieden. Paul wiederum steht das Wasser bis zum Hals: Das Scheunendach muss repariert wird, das Finanzamt verweigert die Schuldentilgung auf Raten, und nun droht auch noch ein Unwetter die Apfelernte zu verhageln.

Trotz der diversen Grabenkämpfe kommt die Geschichte gänzlich ohne Antagonisten aus. Am Ende haben sich ohnehin alle wieder lieb, aber auch zwischendurch werden die Auseinandersetzungen nie hitzig. Die Erntehelfer kriegen sich zwar mal kräftig in die Wolle, doch selbst Heides Konkurrent (Michael Rothmann) entpuppt sich beim Kneipengespräch mit Beke als Seelenverwandter: Die beiden heimgekehrten verlorenen Schafe teilen ein ähnliches Schicksal. Entspannt und brav ist auch die Inszenierung (Dirk Pientka); zu mehr als einem geteilten Bildschirm, wenn Beke zum Beispiel mit ihrer Kollegin Lily (Andrea Guo) telefoniert, hat der optische Einfallsreichtum nicht gereicht. Die Musik (Ali N. Askin) sorgt im Stil eines fröhlich plätschernden Gartenspringbrunnens für die passende akustische Untermalung. Einmal allerdings wird es rustikal, als sich Mutter Renate zu einem energischen Auftritt hinreißen lässt: Anstatt auf sie zu hören, ist Beke drauf und dran, Paul küssen; da bekommt sogar der musikalische Springbrunnen kurz Herzklopfen.

Neuer Wind im alten Land – Erntezeit + Stolz und VorurteilFoto: ZDF / Boris Laewen
Es muss raus! Elblotsin Lina Feindt (Marie Hacke) wird beschuldigt, durch falsche Lotsenberatung für eine Beinahe-Havarie verantwortlich zu sein. In ihrer Wut und Verzweiflung nimmt sie Bekes (Felicitas Woll) Angebot an, über alles zu sprechen.

Am Ende der Episode („Erntezeit“) reicht sich das einstige Liebespaar in einer zärtlichen Schlussszene den kleinen Finger. Der Volksmund glaubt zwar zu wissen, dass nun umgehend auch nach der ganzen Hand gegriffen wird, aber erst mal kommt es anders: David (Martin Bretschneider) erhält einen Traumjob an der Uni Hamburg und wird zur veritablen Bedrohung für Paul, denn die Fortsetzung, „Stolz und Vorurteil“ (Buch: Peters und Gerlind Becker), folgt dem wenig originellen Erzählmuster „Eine Frau, zwei Männer“. Der Titel bezieht sich jedoch auf ein Thema, das deutlich mehr Relevanz hat als die Ausflüge in die Gefühlswelten: Lotsin Lina (Marie Hacke), noch in der Probezeit, droht, die Eignung für ihren Traumberuf zu verlieren, weil sie beinahe eine Kollision auf der Elbe verursacht hätte; das behauptet zumindest der Frachterkapitän, dem sie ins Steuerrad gegriffen hat.

Dieser Handlungsstrang befasst sich mit der Tatsache, dass Frauen in klassischen Männerberufen mindestens doppelt so gut sein müssen wie die Kollegen; und dann trotzdem nicht ernst genommen werden. Angesichts eines Videos, das die Aussage des Kapitäns belegt und zudem einen Wutausbruch Linas dokumentiert, kommen zwischenzeitlich selbst Beke Zweifel. Dennoch ist diese Ebene eine schöne Hommage an den Lokaljournalismus, der ja weit mehr zu bieten hat als die laut landläufiger Meinung ständig stattfindenden Kaninchenzuchtwettbewerbe. Darstellerisch sind die beiden Filme ohnehin sehenswert, und dass die Menschen wie schon beim letztjährigen Auftakt der Reihe gegen Ende zur gedruckten Zeitung greifen, anstatt Bekes Porträt von Lina als „fehlbare Heldin“ auf Tablet oder Smartphone zu lesen, ist zwar rührend altmodisch, aber sehr sympathisch.

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Reihe

ZDF

Mit Felicitas Woll, Steve Windolf, Hildegard Schroedter, Anne Roemeth, Volker Meyer-Dabisch, Halima Ilter, Christoph Glaubacker, Andrea Guo, Michael Rothmann, Roland Wolf, Sascha Nathan; (1) Konstantin Lindhorst, Klaudiusz Kaufmann; (2) Marie Hacke, Tom Radisch, Martin Bretschneider

Kamera: Andreas Tams

Szenenbild: Bärbel Menzel

Kostüm: Maria Schicker

Schnitt: Diana Matous

Musik: Ali N. Askin

Redaktion: Beate Bramstedt

Produktionsfirma: Real Film

Produktion: Jakob Krebs

Drehbuch: Kirsten Peters, Gerlind Becker

Regie: Dirk Pientka

EA: 21.04.2025 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 27.04.+04.05.2025 20:15 Uhr | ZDF

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