Neuer Wind im Alten Land – Beke wirbelt auf + Gestrandet

Felicitas Woll, Schroedter, Windolf, Peters/Becker, Gronenborn. Stimme der Stummen

Foto: ZDF / Key Visual
Foto Tilmann P. Gangloff

Im beschaulich inszenierten Auftakt zur möglichen neuen ZDF-Sonntagsreihe mit Felicitas Woll übernimmt eine gestürzte Star-Journalistin einen Job als Lokaljournalistin im Heimatort ihrer Eltern. Sie versteht sich als Stimme der Stummen und nervt ihren Redaktionsleiter, der ganz andere Vorstellungen von einer guten Story hat, regelmäßig mit ausgefallenen Themen-Vorschlägen. Zu den typischen Versatzstücken der Heimkehrfilme gehört neben der Jugendliebe auch die einstmals beste Freundin. Es grenzt fast an Ironie, wie klischeehaft die Drehbücher diese Bedingungen erfüllen. Und Regisseurin Esther Gronenborn hat bei der Umsetzung der ohnehin schon braven Bücher jede Aufregung vermieden. Ohne das gute Ensemble sähe „Neuer Wind im Alten Land“ (Real Film) ziemlich alt aus.

Lokaljournalismus spielt im Film nur selten eine nennenswerte Rolle. Zwischen den unbestechlichen Watergate-Aufdeckern und unerschrockenen Kriegsreportern, die einst das Kinobild vom Journalismus prägten, nahm sich der Titelheld von Niklaus Schillings Provinzhommage „Der Willi-Busch-Report“ (1979) wie ein Exot aus, zumal der Reporter seine Schlagzeilen an der ereignisarmen „Zonengrenze“ kurzerhand selbst initiierte. So weit geht die Hauptfigur von „Neuer Wind im Alten Land“ zwar nicht, aber Beke Rieper und ihr Chef bei der „Altländer Zeitung“ haben gänzlich unterschiedliche Vorstellungen von einer guten Story: Für den Redaktionsleiter taugt schon ein umgekippter Gülle-Anhänger als Aufmacher für die Wochenendausgabe.

Beke Rieper könnte auch Anfang zwanzig und Berufsanfängerin sein, doch dann würde der „Herzkino“-Zweiteiler eine gänzlich andere Geschichte erzählen. Ihren Reiz beziehen die Drehbücher von Kirsten Peters (Koautorin beim zweiten Film: Gerlind Becker) aus einem erzählerischen Ansatz, der auf den Sendeplätzen freitags im „Ersten“ und sonntags im „Zweiten“ regelmäßig bemüht wird: Die Heldin ist hoch geflogen, tief gestürzt und kehrt nun arg gerupft in die alte Heimat zurück, wo sie, Gipfel der Schmach, wieder bei ihren Eltern lebt. Was den Absturz von Beke (Felicitas Woll) verursacht hat, bleibt zunächst offen; jedenfalls kann sie froh sein, auf Vermittlung ihrer Mutter (Hildegard Schroedter) überhaupt einen neuen Job bekommen zu haben.

Neuer Wind im Alten Land – Beke wirbelt auf + GestrandetFoto: ZDF / Conny Klein
Reihung der typischen Heimkehrerplot-Klischees. Der Jugendfreund (Steve Windolf) ist geschieden und wartet schon. Genug ist irgendwann genug, auch im „Herzkino“! Es klingt wie ein Kritiker-Klischee, stimmt aber: Woll & Co retten, was zu retten ist.

Als Beke über einen unbedeutenden Unfall auf der im Nichts endenden Autobahn berichten soll, wird sie auf einen pensionierten Schulrektor aufmerksam, der in der Gegend als Fortschrittsverhinderer gilt: Seit Jahren blockiert Henning Beckmann (Heiner Hardt) die Fertigstellung der Straße, von der sich die Einheimischen mehr Tourismus erhoffen. Mit sanfter Beharrlichkeit und Königsberger Klopsen gelingt es ihr, den störrischen Witwer zu einem Gespräch zu bewegen, und siehe da: Der Mann hat gute Gründe für seine Sturheit. Damit ist der Film bei seinem Thema, denn Beke versteht sich als Stimme der Stummen, was in der Fortsetzung sogar wörtlich zu nehmen ist, als sie sich einer blinden Schiffspassagierin annimmt: Die junge Frau hat nach einer Kopfverletzung Gedächtnis und Sprache verloren.

In die Annalen der Journalismusfilme wird „Neuer Wind im Alten Land“ trotzdem nicht eingehen, was aber nicht nur am Inhalt liegt. Esther Gronenborn, die zuletzt für den gleichen Sendeplatz die sympathische Komödie „Ein Regenbogen zu Weihnachten“ (2023) und davor vier Episoden der sehenswerten Reihe „Nächste Ausfahrt Glück“ (2022/23) gedreht hat, wollte bei der Umsetzung der ohnehin schon braven Drehbücher offenbar jede Aufregung vermeiden. Das ungewöhnlichste Element der Bildgestaltung (Christoph Chassée), die immerhin durch schöne Sonnenaufgänge im Nebel erfreut, ist ein geteilter Bildschirm, wenn Beke mit der Redaktion telefoniert. Die junge Kollegin Lily (Andrea Guo) ist ein glühender Fan der einstigen Star-Journalistin, die für namhafte internationale Publikationen geschrieben hat, bis ihr ein nachlässig recherchierter Artikel eine Verleumdungsklage einbrachte; zu allem Überfluss hat sich anschließend zudem noch der Gatte von ihr getrennt.

Neuer Wind im Alten Land – Beke wirbelt auf + GestrandetFoto: ZDF / Conny Klein
Renate (Hildegard Schroedter) und Gerd (Volker Meyer-Dabisch) finden es nicht ok, dass Beke ohne zu fragen die blinde Passagierin Mia im Hof Rieper eine Bleibe gewährt hat.

Soundtrack (1): Pink („Trouble“), The Pogues („If I Should Fall From Grace With God“), Take That („Back for Good“), The Fisherman’s Friends („Strike the Bell“), October London („I Don’t Give a Damn“), Keren Ann („In Your Back“), Roo Panes („Little Giant“)

Soundtrack (2): Pink („Trouble“), The Beatles („Strawberry Fields Forever“), Birdy („The Same“), Waylon Thibodeaux („Madame Sostene“), The Driver Era („A Kiss“), Birdy („Words as Weapons“), Harry Styles („As It Was“)

Zu den typischen Versatzstücken der Heimkehrfilme gehört neben der Jugendliebe auch die einstmals beste Freundin. Es grenzt fast an Ironie, wie klischeehaft die Drehbücher diese Bedingungen erfüllen: Weil es Beke in die weite Welt zog, hat Paul (Steve Windolf) eben Elfi (Halima Ilter) geheiratet. Nun sind die beiden wieder geschieden; einer Auffrischung der nie erloschenen Gefühle zwischen Paul und Beke steht also nichts im Wege. Dass sie wie so viele Heldinnen der Sonntagsreihen „Rosamunde Pilcher“ und „Inga Lindström“ einen Mini Cooper fährt, ist vermutlich ein ähnlicher redaktioneller Insider-Gag wie die Erwähnung von Bielefeld in den „Wilsberg“-Krimis. Dass wie immer auf diesem Sendeplatz Schmusepop erklingt, wenn’s gefühlig wird, bleibt allerdings ein Ärgernis. Ohne das gute Ensemble wäre „Neuer Wind im Alten Land“ ohnehin bestenfalls keine Zeitverschwendung. Typisch für eine gewisse Gestrigkeit ist der Erfolgsmaßstab von Bekes Arbeitgeber: Die Ausgabe mit dem Beckmann-Porträt hat sich außerordentlich gut verkauft, auch der Artikel über Mia findet großen Anklang. Prompt zeigt der Film viele Menschen beim öffentlichen Zeitunglesen; ein Bild, das es in der Wirklichkeit, in der die Verlage vor allem auf Klickzahlen aus sind, gar nicht mehr gibt. Ob das ZDF die Reihe fortsetzen wird, ist noch offen. (Text-Stand: 25.3.2024)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ZDF

Mit Felicitas Woll, Hildegard Schroedter, Heiner Hardt, Steve Windolf, Volker Meyer-Dabisch, Anne Roemeth, Halima Ilter, Christoph Glaubacker, Andrea Guo, Sascha Nathan, Pauline Pollmann, Elga Schütz, Roland Wolf, Anja Antonowicz

Kamera: Christoph Chassée

Szenenbild: Winnie Christiansen, Anne Storandt

Kostüm: Dorothée Kriener

Schnitt: Ulrike Leipold

Musik: Gert Wilden jun.

Redaktion: Beate Bramstedt

Produktionsfirma: Real Film

Produktion: Jakob Krebs

Drehbuch: Kirsten Peters, Gerlind Becker

Regie: Esther Gronenborn

Quote: (1): 5,39 Mio. Zuschauer (18,5% MA); (2): 4,34 Mio. (15,8% MA)

EA: 13.04.2024 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 21.+28.04.2024 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach