Mit wem möchte Katharina (Valerie Niehaus) in Zukunft zusammenleben? Die Frage aller Fragen scheint beantwortet. Jetzt kann die Liebe zwischen ihr und Juri (Dirk Borchardt), die nach über 30 Jahren wieder entbrannte und offensichtlich mehr als die nostalgische Idealisierung ihrer Jugend ist, endlich gelebt werden. Die DDR ist Geschichte, die Kinder sind erwachsen, und Georg (Max Hopp) dürfte einen Weg finden, mit der Trennung umzugehen. Der Eisenacher Burghauptmann ist Katharina über drei Jahrzehnte ein zuverlässiger Ehemann gewesen und hat Paul (Sebastian Schneider), Juris Hinterlassenschaft für Katharina nach seiner Flucht in den Westen, behandelt wie seinen eigenen Sohn. Doch Verständnis hat seine Grenzen: Paul ist schwer getroffen. Bis es so weit ist, muss die unorthodoxe XXL-Family, in der Opa Willi (Ernst Stötzner), Juris von Demenz-Aussetzern geplagter Vater, ein nicht immer passendes Wörtchen mitzureden hat, allerdings erst mal eine Hochzeitsfeier über die Bühne bringen. Denn Paul steht just in dem Moment, in dem Katharina ihre Entscheidung Georg beichten will, mit seiner hochschwangeren zukünftigen Frau Aya (Ruby Commey) vor der Tür. Wenig später folgen die Eltern aus Ghana, Miriam (Dayan Kodua) und Joseph (Michael Ojake), sowie Onkel Atu (Prince Kuhlmann). Die sind höflich, aber vor allem katholisch. „Das passt überhaupt nicht zusammen“, jammert der Bräutigam. Er soll recht behalten.
Foto: ZDF / Christiane Pausch
Was einen in „Familienbesuch“ aus der etwas anderen ZDF-„Herzkino“-Reihe „Nächste Ausfahrt Glück“ erwartet, sind allerdings nicht nur die aus Schwiegereltern-Komödien hinlänglich bekannten Peinlichkeiten und Fremdschäm-Momente. Die gibt es auch: So mischt zunächst der eigenwillige Sozialismus-Fan Willi mit seinen Sprüchen („Religion ist Opium fürs Volk“) die Gesellschaft auf, bevor er sie mit seinen Taten sprengt und die Kaffeetafel samt schöner Luther-Torte – und mit ihr das Bild einer harmonischen Familienzusammenführung – zusammenbricht. Auch der Abend vor der Hochzeit, der so harmonisch beginnt, verläuft anders als geplant und führt zu einer Krise, die eine glückliche ghanaisch-deutsche Hochzeit in weite Ferne rücken lässt. Die Entwicklung der Handlung, dieses Auf und Ab, ist vor allem der Dramaturgie geschuldet, die solche Geschichten offenbar mitbringen müssen. In dem Drehbuch von Carolin Hecht aber lugt immer wieder auch die Ernsthaftigkeit der Ausgangs-Situation durch die Geschichte. Katharina stellt für einige Tage ihre persönlichen Bedürfnisse zurück, um ihrem Sohn eine gelungene Hochzeitsfeier zu ermöglichen. Die Konflikte aber bleiben bestehen und werden mitunter spürbar. Juri fühlt sich als nur biologischer Vater zurückgesetzt, und auch Katharina ist nicht nur die patente Mutter des Bräutigams. „Ich habe das Gefühl, dass ich alles verliere“, klagt sie: Tochter Nina in Kanada, Sohn Paul heiratet, und ihre beste Freundin Sybille (Susanna Simon) ist noch immer die Frau an Juris Seite.
Dieses Gefühl verstärkt sich noch in der zweiten neuen Episode, „Katharinas Entscheidung“. Die Hochzeit ist geschafft. Und Katharina tut das, was sie schon vor Wochen tun wollte: Sie sagt Georg die Wahrheit; dass sie und Juri seit längerem wieder zusammen sind und gemeinsam leben wollen. Die Folge: Georg zieht aus, bricht vorübergehend jeden Kontakt mit ihr ab. Hat Katharina ihn nun also auch als Freund verloren? Erhalten bleiben ihr allerdings Mutter Anschi (Ulrike Krumbiegel) und ihre unüberschaubaren Männerbekanntschaften, wahrscheinlich sogar länger, als Katharina lieb ist. Während sie in Bezug auf das Sujet der romantischen Liebe die titelgebende Entscheidung trifft, wird Juris Trennung von Sybille zur Hängepartie. Genießt der Mann, dem – anders als Georg – Verantwortungsbewusstsein nicht in die Wiege gelegt wurde, möglichweise sogar diesen polygamen Zustand? Katharina nervt es auch gehörig, wie ihre beste Freundin von Juri schwärmt und wie sie sein Herumgedruckse als schüchterne Versuche missdeutet, ihr einen Heiratsantrag machen zu wollen.
Foto: ZDF / Christiane Pausch
Was wären Komödien oder Dramedys ohne solche Missverständnisse und ohne die Schwierigkeit, den passenden Zeitpunkt für Unterredungen oder Beichten zu finden? Ohne diese Handlungsmotive wären viele Reihen aus dem Unterhaltungsfach wohl nur 90-Minüter und Einzelstücke Kurzfilme. Auch wenn diese Verhaltensmuster durchaus dem Leben abgelauscht sind, so spiegelt sich in dem Prinzip doch auch das Muster serieller Produktionen: Noch nicht zu viel preisgeben, die Liebe lieber noch mal auf die lange Bank schieben, um so die Reihe oder Serie zu verlängern, das Erzählbare auszureizen. So könnte das auch bei „Nächste Ausfahrt Glück“ gewesen sein. „Familienbesuch“ könnte man als Einschub-Episode bezeichnen, was den romantischen Plot angeht. Auf dem Weg zu einer länger laufenden Familien-Reihe allerdings ist es clever, die Liebe zwischen Katharina und Juri auszusetzen, um weitere Nebenplots zu etablieren. So sind Paul und seine Braut eine gute Investition in die Zukunft: Bereits in „Katharinas Entscheidung“ sind die beiden in allen Fragen, was die Geburt angeht, anderer Meinung. Ohnehin immer schon ein sehenswerter Nebenstrang ist die nicht unproblematische Beziehung von Yvonne (Winnie Böwe) und Christian (Fabian Gerhardt), die schon zu DDR-Zeiten zum Freundeskreis gehörten: Ihre Adoptions-Geschichte wird gut integriert, besonders die Entwicklung ihres kleinen Samuel (Pepe Stegemann), der mit Puppen spielt und in der Kita seine Hosen gegen Röcke eintauscht, wird angenehm beiläufig erzählt.
An Stoff für weitere unterhaltsame Krisen der Wegeners, Hoffmanns & Scherzers besteht also kein Mangel. Ob die Liebesgeschichte weiterhin eine Hängepartie bleibt? Wohl eher nicht. Das Muster erscheint ausgereizt. Dagegen haben andere Geschichten ihr Potenzial längst nicht ausgeschöpft. Die Streitigkeiten zwischen Aya und dem starren Bedenkenträger Paul wurden zwar in „Katharinas Entscheidung“ vom Happy End vorübergehend beigelegt (und Aya mit ihren sympathischeren, zeitgemäßeren Überzeugungen vom Plot ausgetrickst), aber die Konflikte sind zu grundsätzlich, um unter den Teppich gekehrt zu werden. Auch eine jung gebliebene Oma, noch dazu von Ulrike Krumbiegel gespielt, sollte mehr als eine Randfigur bleiben. Und auch wenn die Herzenskarten gespielt sind, bliebe es doch spannend zu sehen, wie sich die Konstellationen entwickeln: Bleibt Juri der selbstbestimmte Individualist? Wird sein Vater ihn womöglich noch stärker zum Umdenken zwingen? Und wie verhält sich Georg auf Dauer? Wie wird Katharina ihre Vorstellung, die sie von einer Beziehung hat und die möglicherweise nicht mit der Juris übereinstimmt, durchzusetzen versuchen? Dass alle ausreichend Lebenserfahrung haben, ist von großem Vorteil: Mit simpler Romantik und nostalgischen Sehnsuchtsgefühlen wird sich „Nächste Ausfahrt Glück“ nicht mehr weiterstricken lassen. Die Macher müssen sich entscheiden, ob sie an den „Herzkino“-Regeln festhalten oder ob sie noch mehr als bisher den Charakteren Eigen-Sinn geben wollen. Eine Familien-Reihe, die näher am Alltag und weniger an familiären Ausnahmesituationen (Hochzeit, Geburt) orientiert ist, könnte das deutsche Fernsehen jedenfalls gut gebrauchen.