Ob die „Sache“ mit Katharina (Valerie Niehaus) und Juri (Dirk Borchardt) nur eine unglücklich verlaufene Jugendliebe war, der die DDR-Geschichte im Weg stand, oder ob hier zwei Seelenverwandte auseinandergerissen wurden, um über 30 Jahre später schicksalhaft doch noch zusammenzukommen, bleibt nach wie vor offen. Die glücklich in Eisenach mit Georg Wegener (Max Hopp), dem Burghauptmann, verheiratete Erzieherin bekennt sich zwar immer wieder zu ihrer Familie, aber die nachdenklichen Blicke, mit denen sie die – wenn auch – lockere Beziehung zwischen Juri und ihrer Freundin und Vorgesetzten Sybille (Susanna Simon) beäugt, könnten durchaus etwas etwas anderes sagen. Und ganz offensichtlich geht ihm Katharina aus dem Weg. Warum wohl? Besonders entnervt reagiert sie, als er ihren Sohn Paul (Sebastian Schneider) zu seinem Hausarzt macht. Juri lässt die Frage einfach nicht los, ob er dessen Vater ist. Katharina bestreitet das vehement. Aber man muss kein Rechenkünstler sein… Und so steigt die Nervosität bei allen im Hause Wegener. Zunächst allerdings, weil „Küken“ Nina (Runa Greiner) sich für ein Auslandsjahr in die USA verabschiedet. Dagegen kommt Anschi (Ulrike Krumbiegel), Katharinas unkonventionelle Mutter, gefrustet aus Brasilien zurück – und trägt nicht unwesentlich zur Eskalation des Vaterschaftsproblems bei. Es wird aber auch Zeit, dass das jahrelang Verdrängte endlich offen ausgesprochen wird!
Nachdem die Frage nach dem „Richtigen Vater“ geklärt ist, geht es auch in der zweiten neuen Episode der ZDF-Sonntagsreihe „Nächste Ausfahrt Glück“ um Lügen und Geheimnisse aus dem Wendejahr 1989. Wer hat Juri damals verpfiffen? Lange hielt man Christian (Fabian Gerhardt) für den Verräter. Er und Yvonne (Winnie Böwe) – beide sind heute verheiratet – gehörten damals zur Clique um das „Traumpaar“, und die Vier sind auch heute noch Freunde. Den nach Kanada ausgewanderten Juri interessiert der „IM Mauerblümchen“ – locker wie er ist – weniger als Katharina. Sie war es, die damals den „Song für die Freiheit“ für ihren Liebsten geschrieben hat. Doch der hat sich, um sie zu schützen, zum Autor der subversiven Zeilen erklärt. Dieser Song war der Grund, weshalb die beiden über Prag flüchten mussten, wo Katharina plötzlich einen Rückzieher machte. „Es ist alles so lange her“, beschwichtigt Juri. Der aus dem Yukon Heimgekehrte hat heute ganz andere Probleme. Er ist wegen seines Vaters Willi (Ernst Stötzner) zurückgekommen; Seine Aussetzer häufen sich, und er scheint immer öfter in seiner eigenen Welt zu leben. Willi wird die meiste Zeit von der polnischen Pflegekraft Anna (Malgorzata Mikolajczak) versorgt; während Juri sich in einem Schäferwagen an der Werra ebenso häuslich wie idyllisch eingerichtet hat. Kanada ist plötzlich wieder fern. Auch – weil sein wirrer Vater ihm immer wieder auf sehr unkonventionelle Art seine große Zuneigung zu verstehen gibt. So sind seine regelmäßigen „Ausflüge“ ohne Wiederkehr nicht nur „Goldgräber“-Trips (das Rätsel darum dürfte in weiteren Episoden gelüftet werden), sondern offenbar auch verzweifelte Suchen nach seinem geliebten Sohn.
„Nächste Ausfahrt Glück“ setzt mit den beiden neuen Episoden das fort, was im letzten Jahr so vielversprechend und erfolgreich (mit durchschnittlich fünfeinhalb Millionen Zuschauern) begonnen wurde: Familie, Freundschaft, Liebe, ein bisschen Wendepolitik und Vergangenheitsbewältigung; dabei zwar die titelgebende Suche nach dem Glück im Blick, doch durch die Nähe zum Alltag wird dieser Mythos romantischer Kitschromane und küchenpsychologischer Ratgeber nie penetrant in den Vordergrund gespielt. Außerdem besitzt eine Reihe deutliche Vorteile gegenüber den Einzelstücken im Liebes- und Familienfilm-Genre. Romantische Gefühle, die die Zuschauer:inen als solche wahrnehmen und ernst nehmen können, brauchen Vorlaufzeit, brauchen Geschichten, brauchen Nähe zu den Haupt-charakteren. In einem Einzelstück dagegen bleibt häufig nur ein anrührender Moment, ohne einen nachvollziehbaren emotionalen Kern. Kommt es nach den üblichen Retardationen bei „Rosamunde Pilcher“- oder „Inga Lindström“-Romanzen zum Kuss oder zum Bettgeflüster, ist das bestenfalls ein wirkungsvoller Effekt, oft nicht mehr als ein Genreklischee, jedenfalls kein narrativer Höhepunkt. Je mehr Geschichte(n), umso nachhaltiger das Erzählte. Das Personal in dieser ZDF-Reihe ist reichhaltig, aber überschaubar, vielfältig, aber nicht zu übertrieben auf Kontrast gebürstet, und die Charaktere sind untereinander realistisch vernetzt.
Soundtrack
(1): Billy Ray Cyrus („Achy Bready Heart“), Fleetwood Mac („Dreams“), Jonathan Jeremiah („Good Day“), Nouvelle Vague („A Forest“), Talking Heads („Road To Nowhere“), Gabby Young & Other Animals („We’re All In This Together“)
(2): Bill Medley & Jennifer Warnes („The Time Of My Life“), Daisy Gray („Wicked Game“)
Das Dramaturgische ist nur eine Komponente für den hohen Lustfaktor von „Nächste Ausfahrt Glück“. Pluspunkte liefert vor allem auch die Besetzung. Valerie Niehaus darf zwar ihre blauen Augen diesmal nicht ganz so häufig strahlen lassen, dafür sind die Probleme ihrer Katharina einfach zu groß, dennoch ist sie die Sympathieträgerin in den zweimal neunzig Minuten. Spielerisch ein besonders breites (Gefühls-)Spektrum zu beackern hat Dirk Borchardt: alte Liebe, neue Liebschaft, ein Sohn über Nacht und ein Vater, der ihm so einiges abverlangt; da ist in jeder Beziehung Fingerspitzengefühl gefragt – und Borchardt macht das seinem früheren knallharten Rollen-Image zum Trotz sehr überzeugend. Ernst Stötzners pflegebedürftiger Willi bleibt das augenzwinkernde sozialistische Gewissen der Reihe, und seine tragikomischen Episoden, wenn er beispielsweise einen Rauchmelder „erschießt“ oder aus Angst vor imperialistischen Strahlungsangriffen seine Wohnküche mit Alufolie tapeziert, besitzen nach wie vor skurrile Schräglage. Um Überwachung geht es auch in der Kita-Nebenhandlung in „Der richtige Vater“ – und um die Frage, ob nicht bei der Erziehung von Kindern Vertrauen besser ist als Kontrolle. Der Kindergarten-Plot in „Song für die Freiheit“ um ein Mädchen und ihre imaginäre Freundin ist noch eine Spur liebevoller gezeichnet, und Katharina kann sich von ihrer besten – feinfühligen – Seite zeigen. Beiden Geschichten gemeinsam: Sie drängen sich nicht in den Vordergrund der Episoden, spiegeln dezent einen Aspekt der Erwachsenengeschichten, verzichten auf ostentativ vorgetragene pädagogische „Weisheiten“ und entsprechen damit dem erfrischenden Alltagskonzept der Reihe.
Ein weiteres (produktionsästhetisches) Qualitätsmerkmal: Auch die Macher der neuen Episoden gehören nicht zu den üblichen Verdächtigen auf dem ZDF-Sendeplatz am Sonntag. Autor Georg Weber („Meine Frau, ihr Traummann und ich“), der das Drehbuch zu „Der richtige Vater“ verfasst hat, ist als Einziger vom Einstand noch dabei. Die zweite Episode hat Carolin Hecht geschrieben, die für gehobenes „Herzkino“ steht, aber vor allem für intelligente Familiengeschichten (die „Allein unter“-Reihe) und genrehafte Unterhaltung („Die Büffel sind los“). Auf dem Regiestuhl hat Esther Gronenborn Platz genommen, die sich vor allem einen Namen gemacht hat mit anspruchsvollen Dramödien („Väter allein zu Haus“) und vielschichtigen Dramen („Ich werde nicht schweigen“, „Eine Wochenende im August“). Auf dem Papier waren die Voraussetzungen für eine gute Fortsetzung von „Nächste Ausfahrt Glück“ also schon mal gegeben. Die fertigen Filme nun bestätigen die Erwartungen. Und der Kritiker ist gespannt auf mehr, weil diese Geschichten so kitschfrei zu Herzen gehen.