Mordkommission Istanbul – Im Zeichen des Taurus

Sander, Üner, Dwyer, Taubman, Murath, Grass. Qualitätssprung am Bosporus

Foto: Degeto / Gülnur Kilic
Foto Tilmann P. Gangloff

Selbst eine reine Unterhaltungsreihe wie „Mordkommission Istanbul“ kann in diesen Tagen nicht so tun, als spiele die Realität am Bosporus keine Rolle. Natürlich konnten die Produzenten die jüngsten Ereignisse in der Türkei nicht vorhersehen, als „Im Zeichen des Taurus“ 2015 gedreht worden ist. Aber der Terror musste irgendwann in die Drehbücher einfließen. Das ist nun geschehen, und mit dem durchgehend spannenden ersten Zweiteiler der Reihe auch in angemessenem Umfang: Kommissar Özakin stößt auf die Spur einer islamistischen Gruppe, die offenbar einen Anschlag in Istanbul plant. Buch, Regie und nicht zuletzt Hauptdarsteller Erol Sander treiben die Figur in vielerlei Hinsicht an ihre Grenzen.

Der Terrorismus steht jedoch nur zu Beginn des ersten Teils im Vordergrund; danach liegt die Gefahr eines Anschlags gewissermaßen subkutan unter den Bildern. Tatsächlich stellt sich schließlich heraus, dass Drehbuchautor Clemens Murath, der den Qualitätswandel von „Mordkommission Istanbul“ vor drei Jahren mit seinen Drehbüchern zu „Rettet Tarlabasi“ und „Das Ende des Alp Atakan“ eingeleitet hat, eine völlig andere Geschichte erzählt. Es hat seinen Grund, dass der Doppelfilm nicht „Im Zeichen des Terrors“, sondern „Im Zeichen des Taurus“ heißt, selbst wenn die phonetische Ähnlichkeit zwischen „Taurus“ und „Terrors“ kein Zufall sein wird. Trotzdem ist das Sujet durchaus mutig; angesichts der brisanten aktuellen Lage ist das Risiko hoch, dass die ARD den Film kurzfristig absetzen muss.

Davon abgesehen scheint sich die Reihe endgültig vom früheren Muster verabschiedet zu haben. Einzig die launige Titelmusik lässt noch erahnen, dass „Mordkommission Istanbul“ vor acht Jahren als Zeitvertreibsfernsehen gestartet ist, in dem die Dialoge zwischen dem Helden Mehmet Özakin (Erol Sander) und seinem loyalen Partner Mustafa (Oscar Ortga Sánchez) für (vermeintliche) Heiterkeit und die Eheszenen des Kommissars für einen gewissen Wohlfühlfaktor sorgten. Witzig sind die Filme schon seit dem Qualitätsschub vor zwei, drei Jahren nicht mehr, und nun ist auch Özakins heimeliges Wohlbefinden bedroht: Gattin Sevim (Idil Üner) will eine Veränderung in ihrem Leben und bewirbt sich um eine Stelle in Berlin. Dass sich ihr Mann zu einer Informantin hingezogen fühlt, bestärkt sie in ihrem Entschluss. Die attraktive Dilara (Alice Dwyer) sorgt auf diese Weise dafür, dass der private Nebenschauplatz stets Teil der Krimihandlung bleibt: Dilaras Bruder Ibrahim (Johannes Klaußner) hat sich offenbar einer islamistischen Terrorgruppe angeschlossen. Özakin stößt auf die Spur der Zelle, als die Leiche eines Bankangestellten gefunden wird. Der Mann hatte zuvor viel Geld abgehoben, das nun bei den Islamisten gelandet ist. Es stammt von Cem Pascha (Alexander Hörbe), einem Bestsellerautor, der offenbar erpresst worden ist; Dilara ist seine Assistentin. Später wird auch noch Paschas Frau entführt. Im zweiten Teil, als der einflussreiche Geschäftsmann Öker (Özdemir Çiftçioğlu) ins Spiel kommt und sich endlich rausstellt, worum es wirklich geht, bewegt sich die Handlung allerdings in eine derart andere Richtung, dass der Schriftsteller, sein Geld und die Entführung immer unwichtiger werden.

Mordkommission Istanbul – Im Zeichen des TaurusFoto: Degeto / Gülnur Kilic
Die Krimi-Reihe hat nicht nur erzählerisch & dramaturgisch zugelegt in den letzten Jahren, auch die Schauwerte können sich – besonders in diesem Zweiteiler – sehen lassen. Schöne Menschen vor bizarrer Landschaft: Erol Sander und Alice Dwyer

Schillerndste Figur und ein großartiger Gegenspieler für Mehmet Özakin ist Oberst Tarkan vom türkischen Geheimdienst, der immer wieder in die Ermittlungen eingreift, weil seine Behörde für den Terror zuständig ist; in jeder Hinsicht, wie sich zeigt. Anatole Taubmans Spiel lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass dieser Mann eine mehr als nur zwielichtige Rolle in dem immer undurchsichtiger werdenden Komplott einnimmt, bei dessen Aufklärung Özakin ständig an Grenzen stößt: Nach und nach sterben ihm alle Zeugen weg, er selbst kommt zweimal nur knapp mit dem Leben davon. Dass der Oberst und der Kommissar einst im selben Waisenhaus aufgewachsen sind, gibt der Konfrontation zusätzlichen Reiz.

Anerkennung gebührt auch Regisseur Bruno Grass, für den dieses Projekt die mit Abstand größte Herausforderung dargestellt haben dürfte. In seiner überschaubaren Filmografie (diverse Folgen „Soko Wismar“) fällt vor allem „Harry nervt“ (2013) auf, eine sehenswerte Familienkomödie mit Günther Maria Halmer. Mit „Im Zeichen des Taurus“ zeigt Grass, dass er auch Thriller kann: Selbst am Stück sind die 180 Minuten durchgehend spannend. Die Dramaturgie des Auftakts ist allerdings in den letzten Jahren so oft verwendet worden, dass sie mittlerweile zum Versatzstück verkommen ist: In einem nicht mehr genutzten Bahnhof entdeckt Özakin eine Bombe, deren Countdown soeben abläuft. Es folgt jedoch keine Explosion, sondern ein Schnitt: „Zwei Tage vorher“. Und das im Stil eines Italo-Westerns gestaltete Finale wirkt, als hätte sich Grass damit einen Jugendtraum erfüllt. Trotzdem ist die Inszenierung auch dank der Bildgestaltung bemerkenswert; dabei ist Kameramann Jonas Schmager („Kriegerin“) kaum erfahrener als der Regisseur. Die verschiedenen Actionszenen sind in jeder Hinsicht überzeugend, zumal Sander offenbar einige Male Kopf und Kragen riskiert hat. Besonders gelungen sind die Zwielichtaufnahmen, in denen Schmager mit sorgfältig platzierten Lichtinseln für eine spezielle Atmosphäre sorgt. Ähnlich bedeutsam ist die Musik von Bertram Denzel, der den Krimi mit einem deutlichen Thrillerfaktor versieht. Und weil Istanbul dank diverser Panoramablicke als moderne Metropole gezeigt wird, ist ein Abstecher ins archaische Kapadokien mit den bizarren Felsformationen umso faszinierender.

Obwohl die Geschichte ausgesprochen detailfreudig und handlungsreich ist, gibt es ein paar kleinere Ungereimtheiten, und der Wortführer der Islamisten, ein ausgesprochen finsterer Bursche (Branko Tomović), entspricht mit seinem stechenden Blick allzu sehr dem Fanatiker-Klischee. Umso hübscher sind die kurzen Momente der Entspannung, wenn Mustafa fast in Trance verfällt, als die hübsche junge Tochter (Ava Çelik) des Großhändlers Öker mit ihm flirtet, oder wenn Grass es zwischen Özakin und Dilara knistern lässt. Aber diese Szenen sind die Ausnahme, zumal das emotionale Engagement den Kommissar entsprechend verletzlich macht. Spätestens am Schluss, als sich der Qualm verzogen hat und der sonst stets wie aus dem Ei gepellte Özakin in jeder Hinsicht ramponiert ist, wird klar, dass es nur Verlierer gibt.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ARD Degeto

Mit Erol Sander, Oscar Ortega Sánchez, Idil Üner, Alice Dwyer, Anatole Taubman, Alexander Hörbe, Siir Eloglu, Branko Tomovic, Ava Çelik

Kamera: Jonas Schmager

Szenenbild: Cagri Aydin

Kostüm: Funda Dag-Hoffmann

Schnitt: Simone Klier

Musik: Bertram Denzel

Produktionsfirma: Ziegler Film

Produktion: Regina Ziegler, Hartmut Köhler , Ilka Förster

Drehbuch: Clemens Murath

Regie: Bruno Grass

Quote: 1. Teil: 4,04 Mio. Zuschauer (15% MA)

EA: 08.09.2009 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach