Auf dem Nummernschild prangt noch das B für Berlin. Aber Markus Lindemann (Holger Stockhaus) ist kein Tourist. Das niederrheinische Örtchen Meuchelbeck war einmal sein Zuhause. Und soll es wieder werden. In Meuchelbeck verfügt Markus Lindemann über einen halben Anteil am Gasthaus seiner Eltern. „Zum Höllentor“ heißt es, ein überlieferter Name. Der vielleicht nicht ohne Grund gewählt wurde … Die 16-jährige Sarah (Janina Fautz) verdreht die Augen, als ihr Vater die Schönheit der Landschaft preist. Und fordert grimmig: „Ich will wieder zurück nach Hause.“ Lindemanns Schwester Mechthild von der Waals (Dagmar Sachse), die das „Höllentor“ nach dem Tod der Eltern übernommen hat, ist wenig begeistert von der Ankunft ihres Bruders. Der nämlich hat, zu ihrem großen Entsetzen, eine Fülle an neuen Ideen. Und er stellt Fragen zum spurlosen Verschwinden seines Schwagers Albert. Die Polizei wurde nicht eingeschaltet – Mechthild hatte einfach noch keine Zeit.
Autor Stefan Rogall, Grimme-Preis-gekrönt für den „Polizeiruf 110 – Kleine Frau“ und auch routinierter Verfasser von „Tatort“- und „Wilsberg“-Episoden, ruft schon zu Beginn der sechsteiligen Serie „Meuchelbeck“ ein großes Ensemble möglichst schräger Gestalten auf. Der Veterinär, der auch Menschen verarztet, weil es keinen Humanmediziner gibt, lebt mit einer Ziege zusammen und betreibt dubiose Experimente. Seine Frau unterhält eine Praxis ganz eigener Art, manch angesehener Bürger und auch Bürgerinnen führen ein Doppelleben. Ums Seelenheil der Meuchelbecker sollte sich Pfarrer Seifert kümmern, aber der zweifelt an seiner Berufung und hofft auf die Erlösung, indem er sich in selbstmörderischer Absicht der Länge nach auf die Straße legt. Doch der Herr lässt Gnade walten. Zu den Eingesessenen gesellen sich ein Neo-Nazi-Ehepaar, eine angebliche niederländische Reisejournalistin, eine junge Japanerin, deren Bruder in Meuchelbeck die Bäckerei übernommen hat.
Autor Stefan Rogall über „horizontales“ Erzählen:
„Serien, die eine zusammenhängende Geschichte erzählen, bieten für mich persönlich eine viel größere Spiel- und Identifikationsfläche. Man kann länger an Figuren dranbleiben und verfolgen, wie sie sich weiterentwickeln, weil sich die Handlung ständig weiter fortschraubt und jedes Geschehnis seine Konsequenzen hat. Genau das war beim Schreiben auch für mich besonders spannend: Wie werden die Figuren mit den Ereignissen fertig, was ergibt sich daraus, welche Entscheidungen treffen sie deswegen, welche Fehler machen sie und katapultieren sich dadurch noch mehr in Schwierigkeiten? So wie im richtigen Leben eben.“
Oft wirken die Macken und Ticks all dieser Protagonisten aufgesetzt und überdeutlich herausgestellt. Schöne Einfälle paaren sich mit angestrengter Originalität; das Gesamtprodukt wirkt unausgewogen. Erwin Ingensiep, gespielt von dem vor allem aus dem „Tatort“ mit Schauplatz Münster bekannten Claus Dieter Clausnitzer, trägt permanent eine kleine weibliche Puppe auf der Schulter, die er für seine verstorbene Frau Hilde hält und für die er in der Kneipe auch schon mal einen Schnaps bestellt. Bauer Hölscher neigt dazu, wild um sich zu schießen, und in einer Szene tollen und wanken die Meuchelbecker unter Drogeneinfluss durch die Straßen. So steht Idee neben Idee – das ist im Einzelnen mitunter durchaus launig, ergibt aber kein schlüssiges Konzept. Ein erzählerischer Zusammenhalt stellt sich erst in den letzten Episoden ein; dann jedoch wird alles überstürzt zu einem Ende geführt, wobei sich die meisten Auflösungen, bis hin zum Staffel-Cliffhanger, der eine Fortsetzung der WDR-Serie ankündigt, bereits frühzeitig abzeichnen, also keine Überraschung mehr darstellen.
Die Betonung des Makabren und Befremdlichen erinnert an den schwarzen Humor vor allem des belgischen Film- und Serienschaffens. ZDFneo hatte im Mai mit der Serie „Clan“ ein vorzügliches Beispiel im Programm. Dort wurde mit einer bewundernswerten Leichtigkeit und einer ausgeklügelten diskontinuierlichen Handlungsführung bitterböse und zugleich urkomisch vom abgründigen Treiben entfesselter Kleinbürger erzählt. Davon ist „Meuchelbeck“ weit entfernt. Zudem wäre es der Erzählung dienlich gewesen, hätten die je für drei Episoden verantwortlichen Regisseure Erik Haffner („Pastewka“) und Klaus Knoesel („SK Kölsch“) das Geheimnisvolle dieses Ortes inszenatorisch stärker betont. Sie finden jedoch keine angemessene und vor allem durchgängige Filmsprache für diesen mysteriösen und makabren Stoff, der doch so viele Möglichkeiten böte. Eine Krähe auf dem Ortsschild als Menetekel ist ein abgenutztes Motiv und für sich allein ein bisschen dürftig. Zwar wäre nichts alberner als ein deutsches Abbild US-amerikanischer Kultserien wie „Twin Peaks“ oder „Eerie, Indiana“, doch darf man bei einer solchen 45-minütigen ‚Mystery-Comedy‘ durchaus eine gewitzte Bildsprache der subtilen Andeutungen erwarten, die gespannt macht auf die Auflösung.
Disparat auch die Arbeit mit den Schauspielern. Holger Stockhaus, als Markus Lindemann der zentrale Protagonist, neigt zu Übertreibungen, spielt eher für den zweiten Rang als für die erste Reihe. Dagegen nehmen Janina Fautz, erst zwanzig, aber bereits Film- und TV-erfahren („Weniger ist mehr“), als Sarah Lindemann und Karin Hanczewski („Tatortreiniger“) als die einst von Markus verlassene Julia Schmidtkowsky, geborene Ingensiep, ihre Rollen auf überzeugende Weise an … „Meuchelbeck“ erscheint, in voller Länge betrachtet, als ungewöhnliche Programmfarbe mit Potenzial, erweist sich aber in der aktuellen Ausführung als unausgegoren. Und bevor nach „Die Kuhflüsterin“, „Ellerbeck“ und nun „Meuchelbeck“ die nächste Ruralkomödie in Produktion geht: Warum nicht mal ernsthaft-dramatisch in einer Premium-Soap vom Landleben erzählen? Stoff gibt es dort genug. (Text-Stand: 27.7.2015)