So ist das mit Titeln: einmal vergeben, wird man sie nicht wieder los. „Liebling, bring die Hühner ins Bett!“ hieß 2002 wenig vielversprechend der erste Film dieser losen Reihe über ein von Axel Milberg & Barbara Rudnik gespieltes Berliner Ehepaar, das in die brandenburgische Provinz nach Krummenwalde zieht. Dort soll Beate Teuffel eine Getränkefabrik retten; allerdings muss das Paar erst mal das Misstrauen der skeptischen Einheimischen zerstreuen. 2009 folgte die Fortsetzung, „Liebling, weck die Hühner auf“, nun mit Katja Flint anstelle der im selben Jahr verstorbenen Vorgängerin. Der Tonfall blieb der gleiche: nett, aber harmlos.
Das gilt auch für „Liebling, lass die Hühner frei“, zumal das Drehbuch einen langen Anlauf braucht, bis es endlich zur Sache kommt: Steffen Teuffel, eigentlich Kochbuchautor, hat sich auf ein ganz anderes literarisches Gebiet gewagt und eine Sammlung kurzer Geschichten über allerlei skurrile Zeitgenossen veröffentlicht; „Abendbrot – Ost-Ansichten eines Westlers“. Die Menschen in Krummenwalde hätten das vermutlich gar nicht mitbekommen, und wenn doch, dann hätte es sie nicht weiter interessiert; bis sich zufällig herausstellt, dass sie die Protagonisten des Buches sind. Die Nachbarin der Teuffels, Petra Jänicke (Rosa Jenskat), ist eine Klatschbase und hat Steffen beim regelmäßigen gemeinsamen Nordic Walking mit dem Dorftratsch versorgt. Weil die meisten Geschichten wenig schmeichelhaft sind, ist das im Verlauf vieler Jahre entstandene Ansehen der Wessi-Familie auf einen Schlag dahin; die Feier, bei der Beate für ihr segensreiches Wirken in Krummenwalde mit dem Verdienstorden des Landes ausgezeichnet werden soll, wird wohl vor leeren Rängen stattfinden.
Seltsam, dass sich Drehbuchautor Martin Douven („Kalt ist die Angst“) nicht auf von Anfang an auf diesen Teil der Handlung konzentriert. Stattdessen gibt es eine zwar kurzweilige, aber auch etwas zusammenhanglose und viel zu ausführliche Einführung der Familie Teuffel. Beate und Steffen stehen kurz vor der Silbernen Hochzeit, haben sich aber ihre Leidenschaft füreinander bewahrt. Der erste Akt besteht aus diversen Versuchen, dies auch in die Tat umzusetzen, aber ständig kommt etwas dazwischen. Immerhin ist es ganz lustig, wenn die Eltern bekifft und enthemmt die sturmfreie Bude ausnutzen wollen, weil sie Nesthäkchen Sophie (Salome Ridder) auf Klassenfahrt wähnen, und das Mädchen plötzlich samt Lehrerin vor der Tür steht: Es hat unterwegs seine erste Periode bekommen. Später kehren auch die erwachsenen Kinder mit ihren Problemen heim: Tochter Lisa (Anke Retzlaff) ist schwanger und findet, sie sei zu verkorkst für Nachwuchs; außerdem fürchtet sie um ihre Karriere. Sohn Kai (Martin Aselmann) hat sein Weinbaustudium abgebrochen, weil er lieber blutrünstige Videos dreht, in denen Kettensägen eine wichtige Rolle spielen.
Da Regisseur Oliver Schmitz gar nicht erst so tut, als ob der Film eine besondere Geschichte erzählen würde, plätschert die Handlung etwas aufregungslos vor sich hin. Interessant wird es erst, als Petra das Manuskript entwendet und daheim unter der Matratze versteckt. Wie ihr Gatte es dort gefunden hat, bleibt offen, jedenfalls trommelt Gert (Matthias Brenner) als Bürgermeister die Dorfbewohner in der Kneipe zusammen und gibt die wenig schmeichelhaften Anekdoten zum Besten; eine Mitbürgerin wird gar als Stasi-Spitzel entlarvt. Gert selbst kommt ebenfalls nicht gut weg, aber damit könnte er leben, hätte Steffen nicht auch ein Detail verraten, das den Bürgermeister in große Schwierigkeiten bringt: Plötzlich taucht ein Abgesandter der russischen Mafia in Krummenwalde auf, und nun erinnert der Film tatsächlich ein bisschen an „Fargo“, den Klassiker der Coen-Brüder.
Es gibt eine Vielzahl schöner Einfälle dieser Art: Kai will nach dem Treffen der erzürnten Bürger einen Endzeitfilm im „Found Footage“-Stil drehen, Titel: „Lost in Krummenwalde“; praktischerweise veranstaltet Gert gerade einen wütenden kleinen Amoklauf mit einer Kettensäge. Aber weil der Komödie über weite Strecken der rote Faden fehlt, wirken diese Episoden wahllos aneinander-geknüpft. Axel Milberg allerdings macht großen Spaß, zumal er Douvens Vorlagen perfekt verwandelt, wenn Steffen, noch halb im Rausch, derangiert und mit schief geknöpftem Jackett vor die Tür tritt, oder wenn er sich im Tagtraum als zukünftiger Erfolgsautor sieht, der sich auf der Bestsellerliste nur Donna Leon geschlagen geben muss; er kann ja nicht ahnen, dass Tochter Lisa die Klickzahlen seines im Online-Selbstverlag veröffentlichen Buches manipuliert hat. Eher überflüssig sind dagegen die wie ein vorgelesener Schulaufsatz klingenden Off-Kommentare von Tochter Sophie, die als Erzählerin fungiert. Als Darstellerin ist Salome Ridder deutlich besser, wenn sie mit Blockwartblick ihre Eltern zur Rede stellt: „Habt ihr hier drin geraucht?!“ Später wird sie nicht ganz zu Unrecht anmerken, eine derartige „Abwesenheit von Vernunft und geistiger Reife“ kenne sie nur von ihren Hühnern; das Ausdenken der Dialoge hat Douven ganz offenkundig viel Freude gemacht. Originell ist auch die Idee, Sophie mit Hilfe eines Tablets den prologischen Vorspann gestalten zu lassen. Die Musik verleiht den vielen kleinen Geschichten eine zusätzliche heitere Note, und Kameramann Michael Schreitel sorgt gegen Ende, als es sogar ein wenig spannend wird, für schöne Gegenlichtbilder mit Abendstimmung im Ostern-Stil; mit kurzem O.