Alma ist noch ein Kind gewesen, als der Vater sie und ihre Mutter verließ. Von einem auf den anderen Tag verschwand er aus ihrem Leben. Als “Arzt ohne Grenzen” ging er mehrere Jahre ins Ausland. Jetzt ist er zurück in Berlin. Zufällig kreuzen sich ihre Wege. Alma ist inzwischen 17 Jahre alt. Sie will Schauspielerin werden. Wo es nur geht, testet sie ihre Wirkung auf die Männer, insbesondere auf solche, die ihr Vater sein könnten. Jetzt hat sie das nicht mehr nötig, sie hat ihren richtigen Vater und den will sie so schnell nicht wieder hergeben. Sie will ihn halten, notfalls auch unter Einsatz ihrer weiblichen Reize. Doch genau das ist ihr Fehler.
Es ist eine seltsame Liebe, die Vater und Tochter in dem bemerkenswerten Debütfilm “liebeskind” von Jeanette Wagner miteinander teilen. Die neuen Familienmodelle und die Auflösung der klassischen Rollenverhältnisse ermöglichen eine solche Liebesbeziehung, die anders ist als die übliche Inzest-Situation. “Wenn die biologischen Väter nicht mehr die sozialen Väter sind, kann sich kein verwandtschaftliches Gefühl aufbauen”, so erklärt sich die Filmemacherin die Tatsache, dass eines der letzten Tabus unserer Gesellschaft offenbar auch langsam zu fallen scheint. Ihre Haltung ist beobachtend, nie wertend, nie verurteilend, “mir geht es nicht um Schuldzuweisungen”, sagt sie. Unaufgeregt erzählt sie von etwas, was zu Recht per Gesetz mit Verbot belegt ist. Sie macht psychologisch verständlich, wie es zu einer solchen Vater/Tochter-Intimität kommen kann. In Alma vermischt sich die Verarbeitung der langen Trennung vom Vater mit ihrer erwachenden Sexualität. Und der Vater ist verunsichert, leidet noch immer unter der Schuld, Frau und Kind verlassen zu haben. Er spürt, dass seine Tochter sich im Zustand völliger emotionaler Verwirrung befindet.
Den Vater (wieder)erobern, wenn die erste Liebe schon lockt. Das ist ein gefährlicher Selbstversuch. Da nützt es wenig, dass sich Alma als Schauspielerin in spe in Rollenspiele flüchtet. Wirkliche Distanz schafft das nicht. Anna Fischer spielt das alles mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit. Nie zu viel, nie zu wenig, nie zu laut, nie zu leise, so balanciert sie zwischen weiblicher Selbstfindung und kapriziösem Spiel der Verführung. Figur und Darsteller verschmelzen bei ihr zu einer glaubwürdigen Einheit, wie man sie nur selten bei so jungen Schauspielern findet. Nicht umsonst bekam Fischer den Preis für die beste Nachwuchsdarstellerin beim Max-Ophüls-Festival. Auch Blochberger weiß in seiner Rolle als emotional überforderter Vater zu überzeugen. Er spielt stark zurückgenommen, seine Figur macht mehr mit sich selbst aus, braucht keine Spielchen, ist erwachsen – und doch weiß sich der Mann nur schwer der Waffen der eigenen Tochter zu erwehren. (Text-Stand: 1.8.2006)