Ende Mai 2014 fand in Regensburg der 99. katholische Kirchentag statt. Das Ereignis liefert den Hintergrund für den 23. Film aus der ZDF-Reihe „Kommissarin Lucas“. Für die Autoren Peter Probst („Die Hebamme“) und Ralf Huettner („Die Musterknaben“), der das Skript überarbeitete, ist die katholische Kirche dabei mehr als eine von nicht-religiösen Zuschauern vermutlich als exotisch empfundene Kulisse. Dies zeigt sich schon in der Eingangsszene mit dokumentarischen Bildern von Papst Franziskus und inhaltlichem Bezug zu dessen expliziter Kritik am kirchlichen Establishment. Im Gegenschnitt zeigt Regisseur Huettner einen offenbar mit seinem Glauben hadernden Mönch in seiner spartanischen Klosterzelle.
Kommissarin Ellen Lucas, der Ulrike Kriener erneut mit großem schauspielerischen Vermögen eine aus der Vorgeschichte dieser Figur herrührende nuancierte Sprödigkeit sowie störrisches Beharrungsvermögen verleiht, muss sich mit der Materie befassen, als unter der im Bau befindlichen Kirchentagsbühne ein toter Mönch gefunden wird. Ob Unfall oder Mord, ist zunächst nicht eindeutig zu bestimmen. Der Tote arbeitete in einer klostereigenen Bank. Kein rein dramaturgisches Konstrukt, es gibt Ordensbanken wie auch andere kirchlich geführte Wirtschaftsunternehmen. Die Bank des fiktiven Ordens „Exercitus Sanctus Jesu“ steht gerade heftig in der Kritik. Die Mönche haben ausgerechnet in Rüstungsgüter investiert, deshalb sollen ihre Geschäftspraktiken einer Revision unterzogen werden. Der Generalobere (Rüdiger Vogler) ist folglich nicht sonderlich erpicht darauf, dass die Kriminalpolizei in seinem Amtsbereich Ermittlungen anstellt. Einmal opponiert er sogar offen gegen den Papst – der in der katholischen Kirche als Stellvertreter Gottes und damit als unfehlbar gilt.
An der Kutte des Toten wird eine Chemikalie ausgemacht, die zum Bombenbau benutzt werden kann. Kommissarin Lucas ist alarmiert und gerät in Konflikt mit den Organisatoren des Kirchentages, die die Veranstaltung um keinen Preis absagen wollen. Die ersten Pilger sind schon in der Stadt, auch Lucas‘ Vermieter Max (Tilo Prückner) hat für gutes Geld noch ein Kämmerchen vermietet. Ihre Schwester Rike (Anke Engelke) ist sehr angetan von dem Gast und entdeckt ihr Interesse für den Vatikan. Eine weitere Spur führt die Kriminalisten zu einer Gruppe, die illegale Einwanderer unterstützt und öffentlich fordert, die kircheneigenen Immobilien für Flüchtlinge zu öffnen. Auch in dieser Frage verhält sich der Generalobere wenig christlich. Er hat bereits Asylsuchende an die Polizei übergeben und damit heftige Reaktionen der Aktivistin Martina Heise (Cristin König) provoziert.
Die Gegen-Meinung von TV-Spielfilm:
„Klerikale Machtspiele, Flüchtlingspolitik, Glaubensqualen – Autor und Regisseur Ralf Huettner reißt vieles an und vertieft wenig. Nach ordentlicher Ermittlungsarbeit fordert die Auflösung etwas zu viel Glaubensvorschuss.“
„Kreuzweg“ ist ein Themenkrimi. Auf verschiedenen Ebenen wird über Religiosität, die Kirche, den Glauben reflektiert, und zwar auf angenehm unprätenziöse Art. Ellen Lucas kommt darüber mit ihrem Vorgesetzten Boris Noethen (Michael Roll) ins Gespräch. Zu ihrem Erstaunen hat der Ex-Alkoholiker, mit dem sie einst eine Affäre hatte, zum Glauben gefunden und soll auf dem Kirchentag eine Fürbitte halten. Lucas‘ Assistent Tom Brauer (Lasse Myhr) übernimmt derweil die Ermittlungen im Kloster, lernt die dortigen Abläufe kennen, gewinnt das Vertrauen des verblendeten Ordensbruders Anton (Maximilian Dirr). Der will – Achtung, Geheimnisverrat! – die Verlesung einer vom Vertreter des Papstes überbrachten Botschaft verhindern; er hat eine Bombe gebaut und plant ein Selbstmordattentat. In einem Akt der Verzweiflung nimmt er Tom Brauer als Geisel. Ein mutiger Handlungsentwurf in Zeiten, in denen religiöser Fanatismus ausschließlich mit dem Islam gleichgesetzt wird. Und dabei keine billige Masche, sondern aus realen Konflikten innerhalb der katholischen Kirche abgeleitet. Im Namen der Fernsehkrimi-Fiction ins Extrem weitergedacht, aber durchaus schlüssig.
Sehr erfreulich an dieser wie gewohnt dicht und atmosphärisch erzählten Episode ist, dass viele Gastrollen mit weniger prominent besetzt wurden, was zur Authentizität und Glaubwürdigkeit beiträgt. Gerade zu Jahresbeginn 2016 war das Gegenteil zu erleben; manche Schauspiel-Stars erschienen buchstäblich im Wochenturnus auf dem Bildschirm. Man wird ihrer, zumal der vielen nach Typ besetzten Darsteller, langsam überdrüssig.