Würde sich das verwöhnte deutsche Fernsehpublikum beispielsweise eine französische Serie anschauen, die in Deutschland spielt? Mit Franzosen, die so tun, als seien sie Deutsche? Vermutlich nicht. Aus dem gleichen Grund haben sich deutsche Produktionen, die in Frankreich, Italien oder England spielen, zwar an diverse europäische Sender verkaufen lassen, aber nicht ins jeweilige Land. Eine Ausnahme gibt es jedoch: Der Medienkonzern Groupe AB, der in Frankreich zahlreiche TV-Sender betreibt, hat die Senderechte für „Kommissar Dupin“ erworben. Der ungewöhnliche Vorgang ist ein weiterer Beleg für den besonderen Status dieser 2014 gestarteten Filmreihe, deren Produzenten nach anfänglicher Skepsis in der Bretagne längst mit offenen Armen empfangen werden; das Team darf sogar an Örtlichkeiten drehen, die zuvor selbst französischen Filmprojekten verschlossen waren.
Hintergrund dieser Zugänglichkeit sind neben der Qualität der mittlerweile sechs Episoden nicht zuletzt die Folgen für den Tourismus: Von Jahr zu Jahr machen sich zunehmend mehr Deutsche auf den Weg an die westfranzösische Küste ins malerische Concarneau, um die Schauplätze der auf einer Romanreihe von Jean-Luc Bannalec (Kiepenheuer & Witsch) basierenden Filme zu besuchen. Im kommenden Sommer werden die Urlauber vermutlich auch an die bretonische Nordküste reisen, denn dort, an der Côte de Granite Rose, spielt „Bretonisches Leuchten“: Georges Dupin (Pasquale Aleardi) macht zwar gemeinsam mit Freundin Claire (Christina Hecke) Urlaub, kann das Kriminalisieren aber natürlich nicht lassen, erst recht, als der einheimische Kollege den tödlichen Steinbruchsturz einer Frau voreilig als Unfall einstuft. Zuvor hatte sich schon eine andere Frau im Meer ertränkt. Als Dupin dann auch noch einen toten Taxifahrer findet, ist er endgültig in seinem Element.
Mit „Bretonischer Stolz“, dem vierten Film, hat sich „Kommissar Dupin“ im letzten Jahr endgültig als einer der besten Donnerstagskrimis im „Ersten“ etabliert. Wie wandlungsfähig die Reihe ist, zeigte Nummer fünf (ebenfalls 2017): „Bretonische Flut“ war dank moderater Horror- und Mystery-Elemente deutlich düsterer als die Vorläufer. Im Vergleich dazu ist „Bretonisches Leuchten“ zumindest optisch ein völlig anderer Film, der seinem Titel zudem alle Ehre macht: Die Bilder sind geprägt von einem Licht, das umgehend die Lust auf den Sommer weckt. Zur guten Stimmung trägt auch eine maßgebliche Besetzungsänderung bei. Bislang hatten die Frauen an Aleardis Seite dauernd andere Gesichter. Den nachhaltigsten Eindruck hat dabei Ulrike C. Tscharre als gemeinsam mit Dupin ermittelnde Kunstexpertin Morgane Cassel (im Auftaktfilm „Bretonische Verhältnisse“) hinterlassen. Die Rolle seiner aus Paris in die Bretagne nachgereisten Freundin Claire ist dann mal von Esther Zimmering („Bretonische Brandung“), mal von Janina Rudenska („Bretonischer Stolz“) gespielt worden. Mit Christina Hecke haben die Produzenten nun eine Filmpartnerin gefunden, die der Reihe länger als bloß für eine Episode erhalten bleiben soll. Schon allein wegen der Szene, in der Claire still vergnügt in sich hineinlächelt, als ihr unterforderter Verlobter endlich den Kriminalisten in sich wieder von der Leine lassen kann, hat sich Heckes Verpflichtung gelohnt.
Mindestens so sehenswert wie das Duo Aleardi/Hecke sind allerdings die Schauplätze. Regisseurin Dagmar Seume und ihr Kameramann Hendrik A. Kley, beide erstmals bei „Kommissar Dupin“ im Einsatz, haben einige eindrucksvolle Motive gefunden, allen voran die imposanten riesigen Felsbrocken der Uferlandschaft. Auch das ist ein Unterschied zu den früheren Filmen: Natürlich ist es nicht unwesentlich, dass die Geschichten in der Bretagne spielen, aber die bisherigen Regisseure (Matthias Tiefenbacher und Thomas Roth) haben die Landschaft nie nur wegen der schönen Bilder in Szene gesetzt. Diesmal jedoch ist Dupin ja im Urlaub, zumindest theoretisch; tatsächlich ist der Mann offenbar nur dann rundum glücklich, wenn er ermitteln darf. Aleardi vermittelt diese Unruhe beiläufig, aber spürbar, und erneut zeigt sich, wie klug es war, den Schweizer für diese Rolle zu verpflichten, zumal er Dupin mit einer ausgesprochen sympathischen subtilen Ironie versieht. Die Frage, ob die Reihe mit einem anderen Hauptdarsteller ähnlich erfolgreich wäre, ist zwar hypothetisch, aber Aleardis Anteil ist sicher nicht zu unterschätzen. Abgesehen davon ist er uneingeschränkt mehrheitsfähig. Das gilt auch für Dupin: Der Kommissar mag seine Eigenheiten haben, ist jedoch ein ganz anderer Typ als die Titelfiguren von Donnnerstagskrimis wie „Zorn“, „Kommissarin Louise Bonì“ oder „Kommissar Pascha“. Das Ende dieser Reihen dürfte auch damit zu tun haben, dass die drei aus verschiedensten Gründen allzu ungewöhnlich sind; und natürlich waren es gerade diese Unterschiede, die sie erst interessant gemacht haben.
Im direkten Vergleich ist „Kommissar Dupin“ sicherlich Mainstream; daran ändern auch die Irritationen nichts, die Buch und Regie gelegentlich einstreuen. Seume hat für das „Erste“ neben zwei interessanten, aber nicht weiter bemerkenswerten „Tatort“-Folgen aus Köln („Benutzt“ und „Durchgedreht“, 2015/16) gedreht. Wesentlich sehenswerter waren ihre Senioren-WG-Komödie „Alleine war gestern“ (2015) und die ziemlich gute „Nord bei Nordwest“-Episode „Estonia“ (2017). „Bretonisches Leuchten“ ist optisch allerdings deutlich aufwändiger gestaltet. Es wäre zwar übertrieben, im Zusammenhang mit Dupins regelmäßigen Albträumen Parallelen zur Bildsprache von David Lynch zu ziehen, aber die nächtlichen Konfrontationen des Kommissars mit seinen verstörenden Kindheitsdämonen fallen deutlich aus dem sonstigen Rahmen des Films. Die Tageslichtaufnahmen sind ohnehin ein Genuss, aber noch reizvoller ist Kleys Arbeit mit der Dunkelheit. Letztlich muss jedoch auch ein Dupin-Film durch die Handlung überzeugen. Je mehr der Kommissar über die vermeintlichen Selbstmorde herausfindet, desto mysteriöser wird die Geschichte; Eckhard Vollmar ist eine Adaption gelungen, die sicherlich im Sinne des Autors ist. Freunde der Reihe werden zwar bedauern, dass Dupins Team angesichts des Auswärtsspiels der Hauptfigur etwas kurz kommt, aber immerhin haben Annika Blendl und Jan Georg Schütte ein paar witzige Auftritte.