Der zweite Fall des Kommissars, „Bretonische Brandung“, beginnt mit drei männlichen Leichen, die an den Strand einer Insel gespült werden. Das Trio hat offenbar betrunken bei einem Sturm die Segel gesetzt. Bei der Obduktion werden jedoch Spuren eines Betäubungsmittels entdeckt. Rasch findet Dupin heraus, dass die drei Männer regelrecht verhasst waren: Sie wollten auf der malerischen und unter Naturschutz stehenden Insel einen riesigen Hotelkomplex errichten. Somit stehen praktisch sämtliche Bewohner des dünn besiedelten Eilands unter Mordverdacht, aber einige haben noch ein Extramotiv; Dupin sieht sich mit einer finsteren Melange aus Rache, Hass und Eifersucht konfrontiert.
Geplante Luxushotels, die den heiligen Zorn der Einheimischen entfachen, tauchen derzeit in jedem zweiten Landschaftskrimi auf, was das Sujet mittlerweile etwas unoriginell wirken lässt. Aber das ist noch das kleinste Problem von „Bretonische Brandung“. Das Kreativteam ist zwar weitgehend das gleiche wie bei „Bretonische Verhältnisse“, doch anders als dort gelingt es Gernot Gricksch (sein Buch basiert auf dem gleichnamigen Roman von Jean-Luc Bannalec) und Matthias Tiefenbacher (Regie) diesmal nicht, den Figuren Tiefe zu geben. Das mag auch damit zu tun haben, dass es ziemlich viele sind, weshalb gelegentlich eine ganze Menge Namen genannt werden, die man nicht immer ohne weiteres zuordnen kann; auch wenn die Nebenrollen interessant besetzt sind. Größeres Manko aber ist der unstete Rhythmus. Im Gegensatz zum ersten Film wirkt „Bretonische Brandung“ nicht wie aus einem Guss, zumal die Handlung zu wenig innere Spannung entwickelt. Ein Fremdkörper bleibt beispielsweise die Nebenebene mit Dupins früherer Pariser Freundin Claire, die eigens in die Bretagne reist, um einen Neuanfang zu beginnen, aber vom Kommissar versetzt wird, weil der wegen eines Unwetters auf der Insel festsitzt. Claire wird von Esther Zimmering gespielt. Dass sie nicht recht zu Aleardi zu passen scheint, mag Geschmacksache sein, aber Ulrike C. Tscharre war im ersten Film eine Filmpartnerin von ganz anderem Kaliber.
Davon abgesehen hat Aleardi eine ganze Reihe attraktiver Mit- und Gegenspielerinnen, von Marie Lou Sellem als Wirtin des Insellokals und verbitterte Witwe über Alma Leiberg als Schwester eines der Opfer bis zu Annika Blendl als Dupins Assistentin Nolwenn, die zum Flirtopfer der beiden von Jan Georg Schütte und Ludwig Blochberger verkörperten Inspektoren wird. Schütte steuert zudem die wenigen Comedy-Elemente bei; großartig ist zum Beispiel eine kleine Pantomime, bei der er die große Geste parodiert, mit der Dupin stets seinen Stift zückt, wenn er sich Notizen macht. Das durchgehende Ensemble ist ohnehin ausgezeichnet zusammengestellt und ergänzt sich in seiner Gegensätzlichkeit sehr gut. Blendls beste Momente sind die Szenen, in denen Nolwenn mit feiner Ironie die Annäherungsversuche der Kollegen kontert. Auch sie kann aber nicht verhindern, dass ein vorgeblich in fröhlicher Trunkenheit endender, tatsächlich aber sehr gespielt wirkender gemeinsamer Abend von Claire und Nolwenn völlig aus dem Rahmen des Films fällt.
Sehenswert ist dagegen die Bildgestaltung (wie im ersten Film Klaus Merkel), zumal Meer und Küste ja integraler Bestandteil der Handlung sind. Zu Beginn wirken die Bilder unbeschwert karibisch, aber dann werden sie immer düsterer, bis sich schließlich im Hintergrund ein Unwetter zusammenbraut. Eindrucksvoll ist auch eine Rückblendenszene im Wirtshaus. Merkel taucht das Lokal bei jedem Besuch Dupins in ein malerisches, anheimelndes Licht, die Rückblenden aber in finsteres Schwarzblau. Sehr effektvoll lässt der Film die Bilder einfrieren, so dass Dupin zwischen den Personen umher wandern kann; als er in die Hände klatscht, bewegen sie sich wieder. Pasquale Aleardi ist ohnehin ein weiterer Einschaltgrund. Natürlich profitiert er von der Vielschichtigkeit der Figur, aber er lotet diese Tiefe auch konsequent aus. Dupins Abneigung gegen das Meer, die vierschrötigen Einheimischen und ihre maritimen Gerichte spielt er ebenso vorzüglich wie die kleinen Ungehorsamkeiten gegenüber arroganten Obrigkeiten. Wie schon der erste Film, so endet aber auch „Bretonische Brandung“ allzu wortreich, weil Dupin am Schluss noch mal die Handlung erklärt. (Text-Stand: 27.11.2014)