Sex zwischen Krampf und Beziehungskampf
Richtig gut läuft es in ihrem Leben nicht. Anette (Marlene Morreis), Anfang 30, hat gerade ihre eigene Praxis als Paar- und Sexualtherapeutin eröffnet. Das lässt sich zwar gut an, ein Frotteur (Ole Fischer), der sich in aller Öffentlichkeit vorzugsweise an Körperteilen weiblicher Zufallsbekanntschaften reibt, dürfte ein Langzeitpatient werden, aber dass Anettes unter den Wechseljahren leidende, libertinäre Mutter Susann (Victoria Trauttmansdorff), die aus ihrer Südfrankreich-Kommune geflüchtet ist, plötzlich auftaucht und in Hamburg bleiben möchte, bringt Anette völlig aus dem Konzept. Oder ist es der Zustand der eigenen Beziehung, der sie verunsichert? Weshalb onaniert ihr Freund Oliver (Thomas Niehaus) lieber, als mit ihr zu schlafen? Oder will sie mit dem übergriffigen Trainer (Anton Pampuschnyy) ihrer Körper-Therapie nicht nur zum Fortbildungszwecke gemeinsam die Hüften kreisen lassen? Dass es bei anderen Paaren im Bett nicht besser klappt, beruhigt sie nicht. Im Gegenteil. Sie ist schließlich die Therapeutin, die aus Frust wieder Lust machen soll. Besonders bei ihren Paargesprächen gelingt es ihr immer weniger, von den eigenen Beziehungsproblemen abzusehen. Und dann kriegt ihr Frotteur auch noch eine Anzeige wegen sexueller Belästigung.
Foto: ZDF / Peter Drittenpreis
Im Bett mit Woody Allen & Diane Keaton
Aus dem TV-Labor Quantum, das unter dem Dach des Kleinen Fernsehspiels operiert, kommt nach „Götter wie wir“, „Lerchenberg“ und „Eichwald, MdB“ die nächste Mini-Serie, eine filmische Sitcom über eine Paar- und Sexualtherapeutin, die in guter alter Psychotherapeuten-Tradition (oder ist es nur ein Vorurteil?) den anderen ein bisschen, sich selbst aber gar nicht helfen kann. „Komm schon!“ wartet mit den ZDF-üblichen vier 25-Minütern auf, ausgestrahlt wie immer am ZDFneo-Spätabend und zur ZDF-Geisterstunde. Pro Folge gibt es einen sexuellen Problemfall, der kontrastiert wird von der zur handfesten Beziehungskrise sich auswachsenden Partnerschaft der Heldin und ihres Oberlangweilerfreundes. Diese Anette Lütjen ist das Gegenteil der souveränen, lebensklugen und vor allem gewitzten Ann-Marlene Henning aus der ZDF-Doku-Reihe „Make Love – Liebe kann man lernen“. Sie hat sich da etwas angelernt, was sie selbst nicht zu leben – geschweige denn, sexuell auszuleben – vermag. Offenbar hat sie den Beruf nur gewählt, um mit den eigenen emotionalen Defiziten besser umgehen zu können. Sie ist ein Kopfmensch, der auf Bauch machen will. Oder ist sie ein Bauchmensch, der aus Selbstschutzgründen auf Kopf macht, um sich nicht wie einst ihre Mutter allem und jedem hinzugeben? Jedenfalls machen ihr ihre Gedanken immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Bei ihr, die alles besser durchschaut als ihre Patienten, wollen erotisierende Rollenspiele oder die Strategie „Wünsche äußern, ohne den anderen zu kritisieren“ einfach nicht klappen. Wenn sie mit ihrem Optiker-Freund kommuniziert, feiert die Paradoxie Watzlawick-verdächtig fröhliche Urständ, und wenn sie gar versuchen, Sex miteinander zu haben, fühlt man sich wie im Bett mit Woody Allen und Diane Keaton.
Foto: ZDF / Peter Drittenpreis
Schauspieler-Timing statt Sitcom-Tempo
„Komm schon!“ ist zwar Format-technisch eine Sitcom, lebt aber viel weniger als beispielsweise „Lerchenberg“ vom Tempo, dafür umso mehr vom innerszenischen Timing. So wie sich die Figuren die Zeit nehmen, im Therapie-Gespräch, beim Sprechen ihrer Sätze, in intimen Problemsituationen („vielleicht verschieben wir das einfach“), so drängt auch die Dramaturgie nicht zur Eile. So entsteht zwar weniger eruptiver Witz, gibt es weniger Lacher, dafür aber ermöglicht Autorin Lena Krumkamp dem Zuschauer, dass er den Figuren näherkommt – ganz besonders der Hauptfigur Anette. Außerdem bietet sich dieses Tempo, dieses Zögerliche in der (Körper-)Sprache, bei den Themen Sexualität und Kommunikations-Störung an. Wer galoppiert – außer den Amis – schon gern mit der Geschwindigkeit einer US-Comedy durch seine intimsten Probleme?! Den Witz, aus der Entschleunigung zu entwickeln, ohne dass sich das Publikum langweilt, ist ungleich schwerer. Es gelingt überraschend gut, bei den zumeist ohne knallig äußerliche Witzigkeit ausstaffierten, relativ langen Szenen die innere und äußere Spannung zu halten. Das ist vor allem ein Verdienst der Schauspieler. Marlene Morreis ist hinreißend, sehr überzeugend ihr Mix aus komisch und emotional; außerdem beweist sie, dass sie auch richtig gut sein kann jenseits ihrer bayerischen Heimat. Für die komische Note kaum weniger wichtig ist Victoria Trauttmansdorff: Trotz der Dominanz, Ironie & muttertypischen Peinlichkeit macht sie aus ihrer einst liebestollen Mittfünfzigerin durchaus eine Sympathiefigur; weder ist sie Karikatur, noch menschelt es bei ihr, sie ist einfach nur die passende Gegenkraft zur Heldin – und Trauttmansdorffs Spiel bleibt beiläufig und wunderbar eingepackt in die Kunst des uneigentlichen Sprechens. Und so nestelt jene Susann gleich nach der Heimkehr nach Deutschland an der Bluse ihrer Tochter herum mit den Worten: „Ich dachte du wolltest Potenzprobleme heilen und nicht verursachen.“
Gelungene Miniaturen gestörter Kommunikation
Ähnlich überzeugend presst auch Ole Fischer als der Mann, der immer erst reibt, bevor er redet, durch die Art des Sprechens – gern mit nur angerissenen Sätzen – den größtmöglichen Witz aus seinen Dialogen, ohne dass es direkt und billig auf Kosten der sexuellen Präferenz ginge. Aber auch alle anderen Schauspieler liefern wunderbare Miniaturen mehr oder weniger dezent gestörter Kommunikation: Lisa Hagmeister als sexuell unbefriedigte Asperger-Autistin, Katja Danowski und Samuel Weiss als Pärchen, das auch mit Godzilla-Maske und mit einem Mann für gewisse Stunden im Schlafzimmer nicht so recht weiterkommt (mal ist Er ihr zu wenig dominant, dann wieder zu viel). Und Thomas Niehaus als der Freund der Heldin, die personifizierte Schlaftablette, einer, der sich ständig verunsichert fühlt und der mit seinen Ängsten offensichtlich bei seiner Mitarbeiterin sexuell sehr viel besser aufgehoben wäre als bei seiner alles analysierenden „Psychoprofipartnerin“. Und dass sie mit ihrem „Körpertrainer“ andere Gipfel der Lust erklimmen könnte, spürt der Zuschauer schon in der ersten Körpertherapie-Szene. Ob sie’s irgendwann tut? Es gibt sicherlich viele Zuschauer, die das gern erfahren würden. Nicht allein aus diesem Grund (Sex & Paartherapie ist ein Top-Thema und mit vier Folgen nicht ausgereizt): ZDF, bitte nicht aufhören! (Text-Stand: 18.10.2015)