Drama statt „Love Story“. Der Katie-Fforde-Film „Martha tanzt“ behandelt dem Titel zum Trotz ein brisantes Thema. Die Geschichte beginnt alles andere als romantisch: Ein junges Mädchen will sich von einer Brücke stürzen. Die alleinerziehende Mutter ist erschüttert und fragt sich, was sie falsch gemacht hat, auch wenn sie weiß, dass sie in letzter Zeit zu viel gearbeitet und ihre 15jährige Tochter Paula vernachlässigt hat. Dabei sah alles so gut aus: Nach ihrer Scheidung ist Ärztin Martha (Susanna Simon) in die Provinz gezogen, arbeitet im Krankenhaus als Notfallärztin und hat sich in Frank (Harald Schrott), ihren Chef, verliebt. Frank möchte mit Martha zusammenziehen. Er ist Witwer, seine Tochter Emma ist ein Jahr älter als Paula. Und weil in diesem Film nur wenig subtil ist, genügt ein Blick in das Gesicht der rothaarigen Emma, um zu ahnen: Was immer auch passiert ist, sie steckt dahinter.
Tatsächlich entpuppt sich „Martha tanzt“ als ein Film über Mobbing: Emma will ihren Vater mit niemandem teilen und hat einen umschwärmten Jungen dazu erpresst, Paula in eine Sexfalle zu locken. Die entsprechenden Fotos stehen nun in einem Netzwerk, Paula gilt als Schulschlampe. Der Anlass ist zwar eher nichtig, weil die Fotos völlig harmlos sind und außer ein bisschen Fummeln nichts passiert ist, aber es zählen vor allem die Folgen; und davon erzählt der Film recht glaubwürdig, zumal die junge Helena Phil das gemobbte Mädchen sehr überzeugend verkörpert. In den entsprechenden Szenen ist Susanna Simon als besorgte Mutter auch viel besser als in den romantischen Momenten mit Harald Schrott. Hier wirkt sie etwas steif, weshalb sich von Anfang an das Gefühl einstellt, Frank sei nicht der Richtige für Martha. Der Eindruck verstärkt sich, als sie Ted (Christian Erdmann) kennenlernt, Paulas Vertrauenslehrer, der in der Mobbing-Sache viel mehr Engagement zeigt als Frank und mit Martha tanzen geht. Frank steht ohnehin auf der Seite seiner Tochter; Franziska Brandmeier ist eine sehr gute Besetzung für das berechnende Biest mit dem Engelsgesicht.
Trotzdem ist „Martha tanzt“ in der ersten Hälfte eher enttäuschend. Die Schauspielerführung ist nicht gut, zumal einige Dialoge unüberhörbar dem Informationstransfer dienen; ein Eindruck, der durch die schlechte Synchronisation der amerikanischen Darsteller noch verstärkt wird. Hinzu kommen einige Klischees. Dem Schulleiter zum Beispiel ist vor allem wichtig, dass das Mobbing nicht an die Öffentlichkeit kommt. Außerdem bedient sich Helmut Metzger typischer Inszenierungsversatzstücke, die nahe legen, dass jemand sein Publikum unterschätzt. Das gilt nicht nur für den obligaten Zoom in die Nahaufnahme von Marthas Gesichts, als sie auf Paulas Telefon eine Hetz-SMS liest. Als Ted einem Mädchen in den Umkleideraum folgt, muss Erdmann demonstrativ auf das Türschild schauen, damit auch jeder mitbekommt: Er darf hier eigentlich nicht rein. Übertrieben sind auch die an „Psycho“ erinnernden Einstellungen, als Paula duscht. Zudem spielt Metzger ein bisschen zu viel mit Einstellungen, die die Figuren im Spiegel zeigen (Kamera: Meinolf Schmitz). In guten Filmen hat so etwas „Sinn“; hier wirkt es wie der vergebliche Versuch, ein wenig Kunst zu machen.
Immerhin geht Autor Jörg Tensing seriös mit dem Thema Mobbing um. Die zweite Hälfte ist ohnehin weitaus spannender, zumal Frank mit Ted einen echten Nebenbuhler hat und nicht abzusehen ist, für welchen der beiden Männer sich Martha entscheiden wird; auch wenn der bärtige Lehrer, ein Jeep-Fahrer, dank seiner Vorliebe für Lindy Hop und als Besitzer eines sehr ungewöhnlichen Hauses insgesamt sympathischer wirkt als der schmallippige Porschefahrer.