Kalt ist die Angst

Caroline Peters, Kowalski, Herbst, Douven, Berno Kürten. Stimmiges Verwirrspiel

Foto: Degeto / Jacqueline Krause-Burberg
Foto Rainer Tittelbach

Eine ohnehin seelisch angeschlagene Frau fühlt sich nach dem Tod ihres Mannes völlig verunsichert. Hatte er Geheimnisse? Weshalb will ihr keiner etwas sagen? Wem kann sie noch trauen? Ist diese Frau Opfer finsterer, krimineller Machenschaften oder erliegt sie ihren eigenen Wahnvorstellungen? In dem ARD-Psychothriller „Kalt ist die Angst“ folgt man den Spuren, auf die sich die Heldin begibt, identifiziert sich mit ihr, leidet mit ihr, erkennt aber auch die Probleme dieser Frau. Starke Besetzung mit einer überragenden Caroline Peters. Ein stimmiges visuelles Konzept. Vor allem aber ein psycho- & erzähllogisch plausibles Buch, das dem retrospektiven Blick standhält und den Zuschauer nicht für dumm verkauft.

Claire (Caroline Peters) fühlt sich wie in einem einzigen Albtraum. Ihr Mann David (Hans-Werner Meyer), ein hohes Tier in der Entwicklungshilfe, war nach sechs Wochen Äthiopien erst ein paar Stunden wieder im Lande – und nun ist er auf einmal tot. Die ohnehin seelisch angeschlagene Frau, die es nur mit Stimmungsaufhellern durch den Tag schafft, fühlt sich schwach und unsicher. Hatte ihr Mann eine Geliebte – oder wer ist diese Frau in dem blauen Strickmantel (Annika Blendl)? Weshalb lässt Michael (Christoph Maria Herbst), der so korrekt wirkende Assistent und Bodyguard ihres Mannes, sie immer wieder massiv auflaufen? Und woher kommt das viele Geld auf Davids Konto? Der Firmenchef und väterliche Freund Peter Hagedorn (Rudolf Kowalski) hat für alles eine plausible Erklärung – und doch bleiben bei Claire Zweifel. Ihre Ärztin (Anke Sevenich) spricht von Fixierung und rät ihr, den Schmerz endlich „loszulassen“ – der aber ist groß, hat die Frau doch nicht nur ihren Mann verloren, sondern leidet auch noch immer darunter, dass sie keine Kinder bekommen kann. Wenn das alles nur ein Albtraum wäre, würde sie jetzt gerne aufwachen. Aber es wird eher alles noch schlimmer. Sie wähnt Einbrecher im Haus, die Reisetasche ihres Mannes verschwindet, dann ist sie wieder da, das Schloss geknackt, und irgendjemand scheint sie zu beschatten. Claire hat tausend Fragen: Wer ist diese Afrikanerin (Abak Safaei-Rad), mit der Michael zusammenwohnt? Hat ihr Mann tatsächlich ein Kind mit einem Callgirl? Was ist dran an den Bloggerinfos, dass die Firma ihres Mannes, die sich offiziell dem Kampf gegen die Armut verschrieben hat, in blutige Geschäfte verwickelt ist? In ihrem Kopf ein einziges Rauschen.

 

Kalt ist die AngstFoto: Degeto / Jacqueline Krause-Burberg
Wem kann die Heldin noch trauen? Wer spielt welche Rolle in diesem spannenden Verwirrspiel, das auch retrospektiv betrachtet logisch erscheint? Alles nur Paranoia?

Ist diese Frau Opfer finsterer, krimineller Machenschaften oder erliegt sie ihren eigenen Wahnvorstellungen? In dem ARD-Psychothriller „Kalt ist die Angst“ folgt man den Spuren, auf die sich die Heldin begibt, identifiziert sich mit ihr, leidet mit ihr, erkennt aber auch die Probleme dieser Frau. Umgekehrt kann man die Reaktionen derer, von denen sie sich Aufklärung erhofft, nicht immer nachvollziehen – wodurch sich Claires Verunsicherung auf den Zuschauer überträgt. Die einen sind genervt, wirken unnahbar, aber nicht unbedingt so, als seien sie Teil eines Komplotts, einer Psycho-Intrige, wie man sie aus Kino-Klassikern („Das Haus der Lady Alquist“ oder „Wiegenlied für eine Leiche“) kennt. Andere besitzen eine Freundlichkeit, von der man nicht weiß, ob sie tatsächlich ehrlich gemeint ist. Es ist die große Stärke dieses Thrillers, dass er die antagonistischen Rollen ausdifferenziert und sie klug in das Verwirrspiel einbindet. Zwar ist anzunehmen, dass die seelisch lädierte „Heldin“ nicht ganz falsch liegen wird mit ihrer Wahrnehmung der Dinge; andererseits kennt man die Rollen ihrer Mit- und Gegenspieler nie ganz genau. Das freilich versteht man aber erst am Ende.

Retrospektiv betrachtet ergeben die oft irritierenden Wendungen, nachdem die Geheimnisse jeder Figur gelüftet sind, ein durchaus stimmiges Gesamtbild. Noch die kleinste Drehung im Handlungsverlauf erscheint psycho- und erzähllogisch plausibel. Den großen Fehler, den viele Psychothriller machen, dass sie die äußeren Effekte (für den Zuschauer) über die innere Logik (der Handelnden) stellen, macht Drehbuchautor Martin Douven („Dornröschen erwacht“) bei diesem Film nicht. Der Spannung tut das keinen Abbruch. Das Prinzip: Alle Charaktere haben einen Plan, von dem sie sich durch einen Toten oder eine bemitleidenswerte Frau nicht abbringen lassen. Darin ist die Geschichte konsequent. Und das macht sie so überzeugend.

Kalt ist die AngstFoto: Degeto / Jacqueline Krause-Burberg
Ein Psychothriller, der seine Geschichte vor allem über Bilder erzählt, beispielsweise ein narratives Szenenbild. Für dieses Erzählkonzept ist Caroline Peters die Richtige.

Was „Kalt ist die Angst“ als Psychothriller glaubwürdig und als Film unwiderstehlich macht, ist Hauptdarstellerin Caroline Peters. Auf ihrem Gesicht spiegeln sich alle Optionen der Geschichte. Ihr nimmt man die Frau ab, die über die Recherche zum Tod ihres Mannes sich aus der seelischen Krise herausmanövrieren könnte. Aber auch jene Frau ist noch immer spürbar, die jahrelang nur um sich selbst und ihre Krankheit kreiste und die – wenn die Tabletten fehlen – dem Zusammenbruch nahe ist. Peters Spiel bewegt sich zwischen diesen beiden Polen. Sicherlich ist bei ihrer Claire nicht alles Einbildung, aber der Hang zum Verfolgungswahn ist auch nicht nur eine Erfindung ihrer Ärztin. Auf ihrem Gesicht spiegelt sich gelebtes Leben, Leiden und eine Lebendigkeit, bei der ständig der nächste Abgrund lauert. Die Annäherung an die Hauptfigur ist eine optische; das liegt auch im Wesen des Genres, bei dem ein isolierter, ohnmächtiger Protagonist im Zentrum steht. So gibt es auch in diesem Film zahlreiche Szenen, die Peters allein bestreitet. Ihr Gesicht, die Gefühlsregungen nur selten unter Kontrolle, die Fahrigkeit ihrer Bewegungen, aus all’ dem speist sich die Geschichte.

Und die Schauspielerin sieht sich in guter Gesellschaft mit den Gewerken – auch diese  gewinnen in Berno Kürtens visueller Inszenierung an Bedeutung. Beispiel: das Szenenbild (Ulrich Passauer). In dem durch und durch cleanen, spartanisch eingerichteten hypermodernen Haus der Hellers fällt es leicht, sich einsam und verlassen zu fühlen. Und in diesem geschmackvoll ungemütlichen Wohnzimmer sticht Claires überlebensgroßes Porträtfoto ins Auge; es ist ein Zeichen für den manischen Egozentrismus’ dieser Figur. In dem Erzählkonzept, das auf Reduktion setzt, spielen auch die strenge Mimik und das klare äußere Erscheinungsbild – maßgeblich beeinflusst durch Maske und Kostüm – eine nicht unwesentliche Rolle. Rudolf Kowalski, Annika Blendl und vor allem Christoph Maria Herbst passen sich stimmig in dieses optische Erzählkonzept ein, das in seiner Klarheit mit der präzisen narrativen Logik des Drehbuchs korrespondiert. Und so ist „Kalt ist die Angst“ einer der wenigen TV-Psychothriller der letzten Jahre, bei dem man sich als Zuschauer am Ende nicht an der Nase herumgeführt, sondern gut unterhalten fühlt. (Text-Stand: 12.12.2016)

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Fernsehfilm

ARD Degeto, SWR

Mit Caroline Peters, Rudolf Kowalski, Christoph Maria Herbst, Annika Blendl, Hans-Werner Meyer, Anke Sevenich, Arndt Schwering-Sohnrey, Nika Emilia Lou Vamvakaris, Abak Safaei-Rad

Kamera: Klaus Eichhammer

Szenenbild: Ulrich Passauer

Kostüm: Gurli Thermann

Schnitt: Melania Singer

Musik: Maurus Ronner

Produktionsfirma: Polyphon

Drehbuch: Martin Douven

Regie: Berno Kürten

Quote: 4,19 Mio. Zuschauer (12,6% MA)

EA: 14.01.2017 20:15 Uhr | ARD

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