Es ist zum Verzweifeln: Bei seinen „Patienten“ weiß der Psychologe Paul (Christoph Schechinger) stets, was das Richtige ist, bei seiner Frau Erina (Nadja Bobyleva) jedoch, eine berühmte Primaballerina, die sich nach einem Unfall schweren Herzens damit abfinden muss, wohl nie mehr tanzen zu können, fehlt ihm das nötige Fingerspitzengefühl. „Sie sind zu nah dran“, erkennt die Pflegerin Hildegard Möller (Mariele Millowitsch), die nach ihrer Kündigung in der Reha-Klinik nur noch ehrenamtlich arbeitet und immer wieder gern auf Paul und seine tiergestützte Therapie zurückgreift. Da sich der neue Tierarzt Eric (Ulrich Friedrich Brandhoff) zunehmend erfolgreich der Rehabilitation der depressiv gestimmten Erina annimmt, für Pauls Geschmack ein bisschen zu sensibel und liebevoll, rät Möller ihrem befreundeten Kollegen zu mehr Lockerheit. Ablenkung findet er denn auch bei seinen neuen Fällen. Zunächst muss er einem 19-Jährigen zu neuem Lebensmut verhelfen. Chris (Tilman Pörzgen) hat bei einem Flugzeugabsturz seine Mutter verloren, und er muss seither mit einem halbseitig vernarbten Gesicht leben. Der junge Mann hat sich völlig von der Außenwelt abgekapselt; er flüchtet sich in eine Traumwelt, in der er sich zum strahlenden Helden stilisiert. Als Paul ihn im Bootshaus seines Domizils an der Müritz wohnen lässt, verliebt sich Chris in die schöne Helena (Muriel Wimmer). Auch sie ist an ihm interessiert. Doch auf Dauer wird sie ihn wohl nicht nur mit Ski-Mütze und Taucheranzug sehen wollen.
Foto: Degeto / Britta Krehl
Nach den Auftakt-Episoden von „Käthe und ich“ 2019 erzählt der dritte Film „Zurück ins Leben“ die Geschichte um die Liebe zwischen dem Psychologen und seiner Frau, die aus dem Koma erwacht ist, sich aber mit der neuen Realität Rollstuhl nicht abfinden mag, schmerzlich und berührend weiter. Auch im freundschaftlichen Umfeld des Helden sind die Probleme noch nicht ganz gelöst – aber fast. Mit dem Wechsel aus der heimischen Praxis in eine moderne Tierklinik wächst nicht nur die Zufriedenheit bei Aaron (Ben Braun), zurück kommt auch sein Selbstbewusstsein und damit wieder die Lust. Und so ist Ehefrau Jule (Mona Pirzad), Pauls Sandkastenfreundin, bald angenehm überrascht. Wenig erfreut über das neu entbrannte Geturtel ist die in Aaron unglücklich verliebte Sprechstundenhilfe Jasmina (Anna Hausburg), die sich im zweiten Film, „Papakind“, prompt wieder in ihren Kitsch-Roman flüchtet, den sie als Blog aller Welt zu lesen gibt. Der A-Plot dieser Episode dreht sich um ein dysfunktionales Eltern-Kind-Gefüge. Ein Vater (Arndt Schwering-Sohnrey), der sich von seiner Frau (Anna Grisebach) getrennt hat, verlor mit der Scheidung auch die Liebe seiner zehnjährigen Tochter (Martha Haberlandt). Jene Emma macht ihn allein verantwortlich dafür, dass es ihrer Mutter noch immer schlecht geht. Sie hat jeden Kontakt zum Vater abgebrochen. Selbst jetzt, wo er im Sterben liegt, will sie ihn nicht besuchen, sich nicht von ihm verabschieden.
Mit den neuen Episoden entwickelt sich „Käthe und ich“ zu einer der besten Helfer*innen-Reihen im deutschen Fernsehen – neben den bereits erfolgreich eingeführten Formaten „Ella Schön“ (ZDF) und „Billy Kuckuck“ (ARD). Die von Brigitte Müller geschriebene und produzierte etwas andere Psychologen-Reihe, ausgestattet mit einer vorzüglichen Stamm-Besetzung (allen voran Christoph Schechinger) erzählt mehr als die üblichen Konflikt-Lösungs-Geschichten der Degeto am Freitag. Das liegt an den ebenso berührenden wie sympathisch erzählten Fällen, die vor großen, allerdings vom Plot motivierten Gefühlen nicht zurückschrecken. Das liegt aber auch an den Figuren in der zweiten Reihe und an der Vielzahl der launigen, mal traurigen Nebenplots. Dies sorgt für Abwechslung, vor allem aber ermöglichen solche die Erzählzeit des A-Plots reduzierenden Nebenschauplätze, dass der Hauptfall einer Episode gefühlt ausreichend erzählte Zeit bekommt. Und das wiederum passt zum Sujet Psychotherapie, in der Zeit zu haben und sie dem „Patienten“ zu geben der beste Weg zur Heilung sind. Selbst im Falle des palliativ betreuten Vaters verweist Psychologe Paul auf Emmas individuelle Entwicklung, die auch abhängig ist von der Familieninteraktion. „Frau Wagner muss mit ihrem Mann ins Reine, dann ist der Weg frei für Emma.“ Als die Mutter, die ihrem Mann nur schwer verzeihen kann, ihn dann doch in der Klinik besucht, heißt das aber noch lange nicht, dass Emma ihr nun folgen wird. Im Gegenteil. Das Kind braucht noch Zeit. Sie ihr zu geben, das hat in „Papakind“ im Gegensatz zu den vielen anderen Drama-Dramödien-Helferfilmen – so hat man den Eindruck – nicht allein dramaturgische Gründe. Und so könnte man das „Alles wird gut“, das als wohlfeiles Wohlfühl-Motto über diesem Genre steht, bei „Käthe und ich“ ersetzen durch ein „Veränderung braucht seine Zeit“.
Foto: Degeto / Britta Krehl
Soundtrack
Junips „Line of Fire“ ist der Eröffnungssong aller bisherigen Episoden.
„Zurück ins Leben“: Snow Patrol („Express“), Michael Andrews („Mad World“), Charlotte Day Wilson („Work“), The Killers („Some Kind of Love“)
„Papakind“: A Great Big World („Say Something“), Maria Mena: „Growing Pains“, Freya Ridings: „You Mean the World to me“, James Bay („Let It Go“)
Auch ein weiterer Aspekt von Psychologie, der Lehre der Seele, die sich dem Erleben und den Emotionen widmet, kommt in der ARD-Reihe zum Tragen. So nähert sich Müller den Protagonisten in erster Linie über deren Gefühlsleben, gibt aber gleichsam auch dem Verstand eine Chance. Da allerdings der Psychologe nicht als Therapeut in eigener Sache taugt, führt die Autorin mit dem interessanten, angenehm undurchsichtigen Tierarztkollegen Eric eine Art Supervisor für die Hauptfigur ein. Der ist nicht nur erfahren im Umgang mit Handicaps (sein Bruder sitzt seit der Geburt im Rollstuhl), sondern er versteht auch allerhand von psychologischen Mustern. Wie er beispielsweise die Liebe auf den ersten Blick seziert – im Allgemeinen, als eine Wunschvorstellung, die man in eine menschliche Hülle hineinprojiziert, und im Besonderen die Liebe des Helden als eine ungesunde Idealisierung, das ist eine zarte Ohrfeige für Paul, eine etwas kräftigere für das Liebesfilm-Genre und natürlich auch für den romantisch gestimmten Zuschauer. Diese kluge Kritik an der Liebesobjekt-Wahrnehmung in der zweiten neuen Episode ist zugleich – wenn man so will – ein nachgeschobener Kommentar zur jugendlichen Romanze in dem vorangegangenen Film. Für den jungen Mann mit der vernarbten Gesichtshälfte ist es Liebe auf den ersten Blick. Dass er sich ausgerechnet in die Schönste auf dem Lande vergucken muss, stellt die Filmprämisse, „Wie einer aussieht ist egal, wie wir ihn sehen, das ist wichtig“, für die Episodenhauptfigur ein Stück weit in Frage. Für Chris jedoch könnte man geltend machen: Durch die Vereinigung mit der schönen Helena sieht er sein eigenes, äußerst schambesetztes Manko ausgeglichen. Für die Besetzungspolitik, die die „Botschaft“ unterläuft, findet sich allerdings keine Ausrede: Der Fallhöhe und des guten Looks wegen muss offenbar das begehrte Objekt schön sein.
Foto: Degeto / Britta Krehl
Besonders augenfällig ist die visuelle Kraft der Inszenierung (Regie: Philipp Osthus), in der sich der hohe Wert der Emotionen konsequent erzählt widerspiegelt. So sind die Überleitungen zwischen den Szenen zwar einerseits höchst pittoreske landschaftliche Stillleben, vor allem aber sind sie Projektionsflächen für die von der Narration inspirierten Gedanken und Gefühle der Zuschauer. Auch wenn ihnen diese atmosphärischen und häufig mit gefühlvollen Songs untermalten Szenen keine großen rezeptiven Alternativen erlauben, so helfen sie doch, den Zuschauer in die Geschichte eintauchen zu lassen. Der Regisseur verfährt ähnlich achtsam und sensibel, so wie der Held mit seinen „Schutzbefohlenen“ umgeht. Werden diese Ruhemomente der Natur durch den subjektiven Blick des Helden bestimmt, dann fungieren sie für den Zuschauer gleichsam als Seelenspiegelbilder (wenn Paul beispielsweise mal wieder von seiner Frau zurückgewiesen wird), in denen sich die stille Sehnsucht nach Nähe ausdrückt. Aber auch die Nebenfiguren bekommen nicht nur ihre Geschichten, sondern auch ihre Blicke. So verfolgt auch Jule interessiert Erics Bemühen um Erina. Und diese freut sich einerseits, wenn sie sieht, wie ihr Mann mit Käthe, Jules Tochter Greta und Emma, die im Spiel mit dem Hund auftaut und endlich Kind sein darf, ausgelassen herumtollt; andererseits schmerzen Erina diese Bilder, weiß sie doch, dass sie keine Kinder kriegen kann. Und auch der Zuschauer bekommt Blicke aus erster Hand: eine Großeinstellung von Käthes blauen Augen sagen mehr als viele Worte. Diese kleinen Sentimentalitäten gehören nun mal zu Unterhaltungsfilmen mit Hunden. Auf ausgestellt rührselige „Lassie“-Situationen allerdings verzichten die Macher. In der Geschichte ist Hündin Käthe immer nur Mittel zum seelenheilenden Zweck.
So wie viele Situationen in den Bildern noch eine Weile nachschwingen, so enden auch zahlreiche Dialogwechsel offen oder zumindest mit einer falschen Annahme (was vor allem die Szenen mit Pauls Eifersucht betrifft). Auch die Gespräche selbst beschränken sich nicht auf die üblichen banalen Frage-und-Antwort-Spielchen. Die Dialoge sind knapp, präzise und häufig aus der Ironie der Figuren gespeist. Man kann fast sagen, dass das inhaltlich Wesentliche vor allem über die Bilder erzählt wird. Psychologische Erklär-Dialoge gibt es selten. Allein Eric lässt sich einmal zu einer etwas aufgesetzt wirkenden Kritik am allgemeinen Optimierungswahn hinreißen. Die Handlung selbst, insbesondere das Handeln der Hauptfigur, zeigt, was Sache ist, unterstützt von sparsamen, präzisen Sätzen wie „Sie beginnt zu trauern – und Wut gehört dazu.“ Die Dialoge und Wortwechsel sagen vor allem etwas über die Sprechenden selbst aus und ihre Beziehung zueinander. Emma, die auf dem Bauernhof ihrer Mutter die Rolle der Erwachsenen übernommen hat, erkennt ziemlich rasch, dass Käthe ihrer Mutter guttut. Also fragt sie: „Was kostet Käthe?“ Paul: „Käthe ist unverkäuflich.“ Emma (altklug): „Jeder hat seinen Preis.“ Darauf kontert Paul: „Nur in Mafia-Filmen.“ Klein, aber fein sind auch die verbalen Auftritte von Mariele Millowitschs Pflegerin. Möller: „Sie sind zu nah dran. Machen Sie sich den Mann (Eric) zunutze und hören Sie auf eifersüchtig zu sein.“ Paul: „Warum sollte ich eifersüchtig sein?“ Möller: „Weil Sie Augen im Kopf haben.“ Paul wirkt ein wenig trotzig: „Bloß weil er gut aussieht. Ich sehe auch gut aus. Ich bin nicht der eifersüchtige Typ. War ich noch nie.“ Möller (ironisch): Mmh, mmh … Darf ich Gott zu Ihnen sagen?“ Paul: „Ja, bitte.“ Möller: „Danke.“ Diese Frau steht mitten im Leben. Sie kommt selten ins Spiel. Aber wenn, dann hat sie das letzte Wort. (Text-Stand: 24.8.2020)