Jeder Tag zählt

Böhm, Prent, Zerhau, Toma, Mehler. Leukämie-Therapie zwischen Hoffen & Bangen

Foto: ZDF / Kerstin Stelter
Foto Rainer Tittelbach

Im Zentrum von „Jeder Tag zählt“ steht die Leukämie-Therapie einer 14-Jährigen. Es ist eine Tortur: Chemo, Knochenmarktransplantation – außerdem brechen alte Wunden bei den Eltern auf. Die Macher setzen auf kraftvolle, lebendige Figuren und bauen auf ein gutes Ensemble. „Weniger die Tragik der Krankheit sollte im Vordergrund stehen sondern der pragmatische und selbstverständliche Umgang der Familie damit“, so Autorin Toma. Der ZDF-Film ist informativ, lebensnah, einfühlsam, lakonisch, unpathetisch, bewegend – tröstlich.

Die 14jährige Lilli stochert im Essen. Mutter Emma macht sich Sorgen. „Nein, sie ist nicht der Typ für Magersucht“, beruhigt sie ihre große Tochter, die Medizin studiert. Sie hat recht, aber es kommt schlimmer: Lilli hat Leukämie. Die Therapie ist hart. Chemo mit Fieber, Haarausfall und alles tut weh. An den Nerven der Eltern zerrt nicht nur das Warten auf einen Spender. Alte Verletzungen brechen auf: Gerd Sand hat – als Lilli kaum geboren war – seine Frau für eine andere verlassen. Da die Kinderklinik in München liegt, wo der Ex und seine neue Frau wohnen, lässt sich der Kontakt zwischen Putzteufel Waldi & Provinz-Muttertier Emma nicht vermeiden. Aber was sind solche Animositäten gegenüber dem, was Lilli durchzumachen hat: „Knochenmarktstransplantation“, aus dem Mund der Ärzte klingt alles machbar. Und die Mutter ist immer da. Doch den schweren Weg muss Lilli gehen: die aufgerissenen Schleimhäute, das ewige Kotzen, die Angst, die Allgegenwärtigkeit des Todes.

Im Zentrum des ZDF-Fernsehfilms „Jeder Tag zählt“ steht die Chronologie der Leukämie-Therapie, der Kampf gegen eine Krankheit, deren Heilungschance sich auf 40% beläuft. „Weniger die Tragik der schweren Krankheit sollte im Vordergrund stehen sondern der pragmatische und selbstverständliche Umgang der Familie damit“, betont Ruth Toma. Die Drehbuchautorin hat den Roman „Am seidenen Faden“ ihrer Schwester Jutta Mehler für die Verfilmung adaptiert. „Das Buch erzählt die Geschichte ihrer jüngsten Tochter, die mit 15 an Leukämie erkrankt ist“, so Toma, die den Roman bereits in Manuskriptform las. Das Buch war noch nicht gedruckt, da hatte sie schon eine erste Drehbuchfassung geschrieben, von der sich ihrerseits die Schwester dazu anregen ließ, eine Nebenfigur, die des 12-jährigen leukämiekranken Ali, der sich in die jugendliche Hauptfigur verliebt, stärker auszubauen.

Größtmögliche Alltagsnähe scheint das erklärte Ziel des Fernsehfilms zu sein. Zwar werden die Belastungen für die alten und die neuen Familienverbände deutlich spürbar, triste Stimmungen werden aber nur leise und beiläufig angeschlagen, ein allzu schwerblütiges Drama, das in bedeutungsschweren Bildern ausschwingt und tragisch im Zuschauer nachhallt, lag nicht in der Absicht der Macher. Toma und Regisseurin Gabriela Zerhau setzen vielmehr auf die „Stimmungsmacher“-Qualitäten ihrer kraftvollen Figuren und des stimmigen Ensembles. Katharina Böhm spielte selten so zurückgenommen und auch die Debütantin Lilian Prent überzeugt mit ihrem Spiel zwischen naiver Unbeschwertheit und schmerzhafter Therapierung. In einem unschönen Sinne macht diese Krankheit erwachsen. Der Zuschauer wird Zeuge auch dieses Prozesses. Coming of age in einer Klinik, zwischen Leben & Tod.

Jeder Tag zähltFoto: ZDF / Kerstin Stelter
Die Eltern sorgen sich um Lilli. Und in der Krise brechen alte Verletzungen auf. Katharina Böhm & Bernhard Schir

„Jeder Tag zählt“ will mehr als nur die Gefühlslagen und die Kämpfe einer Familie im Spannungsfeld einer lebensbedrohlichen Krankheit ausloten. Die Leukämie, der Verlauf der Behandlung, bestimmt die Dramaturgie des Films maßgeblich mit. Zwischen trockenem Dialog mit ärztlichem Fachchinesisch zu Beginn (mit dem vor allem die Überforderung der Eltern deutlich gemacht werden soll) und poetischen, visuell starken Sequenzen (Kamera: Holly Fink) bewegt sich die Vergabe der Informationen über die Krankheit. Und am Ende kittet die Leukämie die brüchige Beziehung der Eltern gleich mit. In einer so kitschresistenten Form lässt man sich das gern gefallen. „Jeder Tag zählt“ versucht viel und er erreicht viel. Dieser ZDF-Fernsehfilm ist informativ, lebensnah, einfühlsam, unterhaltsam, er ist lakonisch erzählt, unpathetisch, bewegend und tröstlich. „Mama, was ist der Sinn des Lebens?“, fragt die kleine Patientin im Film. Nicht alles im Leben gebe sofort seinen Sinn preis, erklärt die Mutter, aber am Ende bekomme alles einen Sinn. Ein bisschen gilt das auch für diesen Film.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Katharina Böhm, Lilian Prent, Bernhard Schir, Bettina Mittendorfer, Saskia Vester, Samy Abdel-Fattah, Max Schmidt, Anja Schiffel

Kamera: Holly Fink

Szenenbild: Ingrid Henn

Schnitt: Anke Berthold

Produktionsfirma: Wüste Medien

Drehbuch: Ruth Thoma – Nach dem Roman „Am seidenen Faden“ von Jutta Mehler

Regie: Gabriela Zerhau

Quote: 4,75 Mio. Zuschauer (14,3% MA)

EA: 17.03.2014 20:15 Uhr | ZDF

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