Die fürs „Herzkino“ obligate Liebesgeschichte ist diesmal nur Beiwerk, denn „Das Haus am See“ ist ein waschechtes Melodram: Liv (Franziska Wulf) ist elternlos aufgewachsen; ihre Mutter starb bei einem Unfall, als das Mädchen acht war; den Vater, angeblich eine Urlaubsaffäre, hat sie nie kennengelernt. Sie kellnert in einem Stockholmer Lokal, träumt aber davon, an den Ort zurückzukehren, an dem sie die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht hat: Ihre Mutter war Tierärztin auf dem Gestüt der Anderssons. Das titelgebende Haus an See, in dem sie lebten, ist zwar irgendwann abgebrannt, aber nach bestandenem Tierarztdiplom steht der Rückkehr nach Nyköping nichts mehr im Wege, zumal die Nachfolgerin ihrer Mutter eine zweite Ärztin sucht. Der Zauber der Kindheit stellt sich umgehend wieder ein, doch drei Männer machen Liv das Leben schwer: Gestütsbesitzer Ingmar Andersson (Christoph M. Ohrt) will sie schnellstmöglich loswerden. Sein Sohn Mika (Manuel Mairhofer), Livs Sandkastenliebe, möchte da weitermachen, wo die beiden vor 18 Jahren aufgehört haben, aber sie hegt nur geschwisterliche Gefühle für ihn. Beim schmucken Birger (Bernd-Christian Althoff) ist das völlig anders, aber der gut aussehende Pferdetrainer missversteht ihre Beziehung zu Mika und zieht es deshalb vor, nach Kanada auszuwandern.
Das Drehbuch stammt diesmal nicht von der „echten“ Inga Lindström (Christiane Sadlo), sondern von Svenja Rasocha, deren offizielle Filmografie neben einigen Produktionen „in Vorbereitung“ bislang nur die düstere ZDF-Serie „Blochin“ enthält; das ist mal ein Kontrastprogramm. Marco Serafini, dessen Filmografie zur Hälfte aus Produktionen für die leichten Freitagsfilme im „Ersten“ und das Sonntags-„Herzkino“ im Zweiten besteht, hat allerdings dafür gesorgt, dass das Melodram den Gepflogenheiten des Sendeplatzes gehorcht. Auch wenn der Regisseur halbherzig versucht, ein Geheimnis daraus zu machen: Schon bei der ersten Begegnung ist klar, dass der alte Andersson Livs Vater ist. Und da sich die junge Frau als gute Ärztin entpuppt, hat Ingmar keine schlüssigen Argumente, um sie zurück nach Stockholm zu schicken. Die zweite große Frage – verbotene Liebe? – stellt sich ebenfalls recht bald nicht mehr: Liv und Mika sind keine Halbgeschwister, denn der junge Mann ist von den Anderssons adoptiert worden; Ingmars Frau Harriet (Esther Schweins) kann keine Kinder bekommen. Dass es trotzdem noch eine Weile dauert, bis sich alles in Wohlgefallen auflöst und der Weg für Liv und den als Gestütsleiter ungleich tauglicheren (und als Entenfahrer ohnehin sympathischen) Birger frei ist, liegt an den Schatten der Vergangenheit, denen sich vor allem Ingmar stellen muss. Und noch etwas steht zwischen den Beteiligten: Das Ehepaar Andersson will sein erfolgreichstes Springpferd klonen, was den ethischen Anschauungen von Liv und Birger zutiefst widerspricht. Dass Mika, den Ingmar seit Jahren zu seinem Nachfolger aufbaut, viel lieber Architekt werden möchte, ist ein weiterer der vielen Konflikte, die die Handlung komplexer erscheinen lassen sollen, als sie tatsächlich ist, denn im Grunde dreht sich alles um Liv und die ungeklärte Beziehung zu ihrem Vater.
Als Geschichte ist „Das Haus am See“ durchaus interessant, aber der Film hat doch einige Mängel. Unstimmigkeiten gibt es zum Beispiel bei der Besetzung. Liv und Mika sind Mitte zwanzig. Aus unerfindlichen Gründen haben sich Sender, Produktionsfirma und/oder Regie jedoch für Darsteller entschieden, die deutlich jenseits der dreißig sind. Beim pausbäckigen Mairhofer fällt das nicht weiter auf, der Tiroler geht ohne weiteres als junger Mann durch, der noch nach dem richtigen Lebensweg für sich sucht. Bei Franziska Wulf, die hier ihre erste Hauptrolle überzeugend spielt, sieht das ganz anders aus. Mit ihrer Attraktivität auf den zweiten Blick ist sie zwar eine gute Wahl, aber auch ihr reizendes Lächeln kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie anders als Liv schon eine ganze Weile nicht mehr 26 ist. Außerdem passt ihr brandenburgischer Akzent überhaupt nicht zu einer jungen Schwedin. Daran konnte Serafini nicht viel machen, aber dass bei einem alten Hasen wie Christoph M. Ohrt manch’ ein Dialog aufgesagt klingt, hätte der Regisseur nicht durchgehen lassen dürfen.
Drohnenflüge und musikalische Stampeden dieser Art gibt es noch mehrfach, als solle kaschiert werden, dass „Das Haus am See“ ansonsten nicht viel zu bieten hat. Immerhin gibt es ein paar gut integrierte Erinnerungsschübe: Plötzlich verdunkelt sich die Szenerie, und Liv sieht sich selbst als Kind gemeinsam mit ihrer Mutter; das ist optisch jedes Mal recht wirkungsvoll. Etwas übertrieben sind allerdings die wallenden Nebelschwaden, als Liv durch einen Wald reitet, nachdem sie zum ersten Mal seit ihrer Kindheit das abgebrannte Mutterhaus besucht hat. Auch das sieht zwar eindrucksvoll aus, zumal in dieser Vision erstmals auch ihr Vater auftaucht, wirkt aber wie ein „Nebel des Grauens“. (Text-Stand: 6.10.2017)