In diesem Film fällt ziemlich oft das Wort „Bestimmung“. Für Liebesgeschichten ist die entsprechende Lebensphilosophie ohnehin ganz wichtig: Wenn zwei Menschen für einander bestimmt sind, kann nichts und niemand verhindern, dass sie sich finden. In „Ausgerechnet Söderholm“ ist die Liebe jedoch der Bonus, den es obendrein gibt. Im Vordergrund steht Bestimmung im Sinne von Berufung: Alma Ekberg (Susan Hoecke) ist Assistenzärztin an einem Stockholmer Krankenhaus. Sie ist überzeugt, die beste Chirurgin der Stadt zu sein, aber ihr Chef, Gustav Hendlund (Klaus Schindler), gibt ihr keine Chance, das zu beweisen; sie darf die Patienten nicht aufschneiden, sondern immer nur zunähen, was auch ihre Mutter Tilde (Julia Bremermann) höchst ungerecht findet. Eines Tages schlägt Hendlund ihr einen Deal vor: In Söderholm, einem Kaff irgendwo in der Provinz, ist der Dorfarzt nach einem Herzinfarkt acht Wochen lang krankgeschrieben. Alma soll den Mann vertreten, und wenn die Patienten ihr am Ende in einem Online-Bewertungsportal im Schnitt mindestens acht von zehn Punkten gegeben haben, darf sie endlich operieren.
Auf den ersten Blick ist „Ausgerechnet Söderholm“ ein Landarztfilm im Stil der ARD-Reihe „Die Eifelpraxis“: Alma muss erst mal das Vertrauen der Patienten gewinnen, die ihren alten Arzt vermissen, und löst das eine oder andere medizinische Rätsel. Im Grunde erzählt Matthias Kiefersauer jedoch eine sogenannte Fish-out-of-water-Komödie: Die Hauptfigur wird aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen und mit einer völlig fremden Lebensweise konfrontiert. Der Reiz der Handlung resultiert aus dem Aufeinanderprallen zweier Kulturen: hier die zielstrebige und klar strukturierte Städterin, dort die Einheimischen, die keine Uhr brauchen, weil sie Zeit haben. Im Alltag sieht das so aus: Dr. Gottfridson (Jochen Kolenda) hat jeden Nachmittag Hausbesuche gemacht und sich bei Kaffee und Kuchen zu den Patienten auf die Terrasse gesetzt, und irgendwann kamen dann auch mal die Gebrechen zur Sprache; Alma dagegen setzt sich gar nicht erst, stopft sich die angebotene Zimtschnecke in den Mund und will so schnell wie möglich weiter. Ein weiteres Beispiel dafür, dass in Söderholm nicht nur die Uhren anders ticken, ist die Familie von Sprechstundenhilfe Carlotta (Christin Alexandrow), in deren Haus Alma unterkommt: Ehemann Mikael (Tobias Kasimirowicz) vertut seine Zeit mit Computerspielen, der kleine Sohn macht dauernd Unfug und wird dafür auch noch gelobt; aber die Familie ist offenkundig so glücklich, wie man nur sein kann.
Foto: ZDF / Ralf Wilschewski
Natürlich läuft die Geschichte darauf hinaus, dass Alma zum völligen Unverständnis ihrer Mutter irgendwann Gefallen am Landleben findet; erst recht, als sie erkennt, dass der alte Gottfridson, der heimlich Patienten empfängt, wenn sie ihre Haubesuche macht, nach seinem Infarkt nicht mehr auf der Höhe ist und schwerwiegende Fehler begeht. Außerdem gibt es noch einen jungen Gottfridson, weshalb Kiefersauer die Handlung um den Aspekt „Großstadt-Tussi trifft Landei“ ergänzen kann: Dorfapotheker Leo (Giorgio Spiegelfeld) ist zwar vergeben, aber unzufrieden, weil weder Beziehung noch Beruf seiner eigentlichen Bestimmung entsprechen. Er würde gern die Steinmetztradition seiner Familie fortsetzen, aber der Steinbruch gehört ausgerechnet Kim (Kaya Marie Möller), jener Frau, die ihn lieber heute als morgen heiraten würde.
Kiefersauers Arbeiten für „Inga Lindström“ sind in der Regel ein sympathischer Zeitvertreib; die Romanze „Die Braut vom Götakanal“ (2018) war zum Beispiel ein kurzweilig erzählter kunterbunter Beziehungsreigen. Im Unterschied zu manchem „Herzkino“-Routinier ist der Regisseur auch auf anderen Sendeplätzen unterwegs. Zuletzt hat er unter anderem „Falsche Siebziger“ (2017) gedreht, eine sehenswerte schwarze Komödie aus Bayern, in der verstorbene Senioren durch Doppelgänger ersetzt werden, und für die „München Mord“-Episode „Die ganze Stadt ein Depp“ (2018) hat er das Drehbuch geschrieben. Trotzdem muss er sich als Regisseur an die Formatvorgaben halten, weshalb das schnuckelige Söderholm wie ein eigens für den Film errichtetes Freilichtmuseum wirkt, in dem immer die Sonne scheint (gedreht wurde in Kolmården und Vikbolandet). Während das Buch durchaus für Überraschungen sorgt – der Bürgermeister von Söderholm entpuppt sich als Zwillings-Bruder von Almas Chef –, gibt es auch Momente der Irritation, wenn beispielsweise zu Beginn Alma und ihre Mutter in Stockholm am Wasser entlang joggen. Die Frauen wirken eher wie Schwestern: Julia Bremermann ist gerade mal 14 Jahre älter als Susan Hoecke.
Andere Handlungselemente sind typische Versatzstücke solcher Filme. In jeder zweiten „Herzkino“-Romanze begegnet sich das spätere Liebespaar zunächst in gänzlich anderem Umfeld. Wenn es dabei nicht um einen Parkplatz geht, den die Frau dem Mann vor der Nase wegschnappt (oder umgekehrt), gibt es irgendein Missverständnis; Kiefersauer hat sich für die zweite Variante entschieden. Voraussetzung für Almas Selbstfindung ist das klassische Dramenmotiv des stellvertretenden Ehrgeizes: Alma soll die Karriere machen, die ihrer Mutter nicht vergönnt war. Deshalb trimmt Tilde ihre Tochter auf Leistung: „Fürs Seelenheil sind andere zuständig“; aber selbstredend sorgt Kiefersauer früh dafür, dass Alma auch eine andere Seite andeutet. Sehr geschickt ist dagegen Almas Sinneswandel eingefädelt. Weil Kiefersauer am Ende zumindest andeutet, dass ihr Chef die ganze Zeit geahnt hat, was ihre wahre Bestimmung ist, lässt sich die Geschichte auch als romantisches Komplott betrachten, an dem Zwillingsbruder Peter ebenfalls beteiligt ist. (Text-Stand: 19.9.2019)