Eben bittet die Psychotherapeutin Nora Meindl (Marleen Lohse) ihren unmittelbaren Vorgesetzten, den Anstaltsleiter Dr. Kemper (Wilfried Hochholdinger), noch um einen Kaffee, da wird sie im gleichen Atemzug auch schon gefeuert. Nicht wegen des Kaffees, sondern weil Kemper in einer von ihr geleiteten Therapiesitzung mit einer Kaskade mehr oder minder origineller Schimpfworte bedacht wurde. Rechtswidrig hat Kemper den Vorgang per Überwachungskamera verfolgt. Und wurde nebenbei noch Zeuge, wie sich einer von Meindls Klienten seiner Kleider entledigte. Dr. Kemper ist aufgebracht und angewidert. Doch das Gespräch wird unterbrochen. Eine kühle, um nicht zu sagen eisige Blondine meldet knapp: „Geiselnahme!“ Dann erfolgt ein überraschender Schnitt zu Martin Semmelrogge, der sich direkt an den Zuschauer wendet: „Ich weiß, was Sie jetzt denken. Keine Sorge.“
In der Gewalt des Geiselnehmers befindet sich Erdem Azimut (Denis Moschitto), Gewohnheitsverbrecher seit Kindesbeinen und in der freien Wildbahn Anführer einer Bande von Kleinkriminellen. Nicht besonders gescheit, aber gewitzt genug, um sich auf der Straße und im Knast zu behaupten. Azimut gehört zur selben Therapiegruppe wie der ehemalige Sparkassenangestellte Manfred Schuster (Tristan Seith), der zum Gesetzesbrecher wurde, als er seine Frau mit seinem Filialleiter am Kopierer erwischte. Wo die beiden mit einer Vervielfältigung im Sinne des biblischen „Vermehret euch“ befasst waren. Schuster wurde tätlich und leidet seither unter Wutanfällen, fühlt sich im Gefängnis aber recht wohl. Denn: „Sparkasse ist schlimmer als Knast“, so seine Erfahrung.
ZDF-Redakteurin Silvia Hubrich über die Drehbedingungen:
„Für alle Beteiligten war es ein ungewöhnlicher Dreh: nur ein Drehort und der hinter hohen Mauern abgeschottet. Fünf Wochen wurde in die JVA Söhtstraße „eingefahren“, aber das führte zu keinerlei Beklemmungen. Im Gegenteil: gerade hier hat sich diese „gemeinsame kriminelle Energie“ nochmals potenziert.“
Von Nora Meindl ebenfalls betreut wird der 35-jährige Alexander Vontrapp (Manuel Rubey), genannt „der Graf“. Ehemals war er unter Viertelprominenten und in der Halbwelt zuhause und musste sich wegen Immobilienbetruges und En-Gros-Konsums von Betäubungsmitteln verantworten. Letzteres eine Leidenschaft, der er auch hinter Gittern weiter nachgeht. Von diesen beiden unbedarften Gesellen wollen Meindl & Kemper wissen, was die Geiselnahme ausgelöst hat. Gar nicht so einfach zu beantworten, denn der Geiselnehmer, der als Kopf der russischen Mafia gilt, ist noch unentschlossen, was er fordern soll und benötigt Beratung.
Die rothaarige Meindl, zur Begrüßung angefrotzelt mit den Worten „Ihr Vater hat bestimmt rostiges Sperma gehabt“, mischt sich ein, wird selbst Geisel, löst die Situation aber derart elegant, dass ihr Kemper die Weiterbeschäftigung anbietet. Meindl verbindet ihre Zusage mit Forderungen, auf die Kemper nicht eingehen will. Die Häftlinge aber wollen ihre Therapeutin wiederhaben. Und inszenieren zur Durchsetzung ihrer Forderung eine weitere Geiselnahme.
Die Figuren dieser von der ZDFneo-Redaktion entwickelten Sitcom sind Stereotype. Aber Genres leben von wiedererkennbaren Figurenzeichnungen, und die Knast-Sitcom, die ja keine neue Idee darstellt – vergleiche die ARD-Vorabendserie „Knastmusik“ mit Peter Bongartz, Diether Krebs und Rolf Zacher aus den frühen 90er Jahren – ganz besonders. Der Anstaltsleiter ist der bekannte vorgesetzte Beamte mit fachlichen und moralischen Defiziten, herrisch, die Ansichten immer so angepasst, dass die Karriere nicht leidet. Die Therapeutin Nora Meindl verkörpert die Idealistin, hilfsbereit bis zur Selbstaufgabe, bei anderen nie um einen guten Ratschlag verlegen, im eigenen Leben aber weit weniger tüchtig und manchmal auch eine Spur neurotisch. Weiter haben wir den törichten Kiez-Kleingangster, der fortwährend betont, dass er nicht schwul sei, den stets unter bewusstseinserheiternden Drogen dahintrudelnden Gernegroß und das gutmütige Dickerchen, das zu Ausrastern neigt.
Zum Spaß an dieser Serie gehört, dass die Autoren den Standardfiguren immer wieder neue Facetten abgewinnen, ohne ihr Naturell völlig umzukrempeln. Als Hauptmotiv zieht sich das Scheitern durch die Episodenhandlungen, nicht nur das der Insassen, sondern auch der Schließer und sonstigen Betreuer. Und wenn es einen Sadisten trifft wie den schikanösen Vollzugsbeamten Schröder (ganz böse gespielt von Gaststar Niels Ruf), dann ist auch mal ein wenig Schadenfreude zugelassen. Über die gesamte Justizvollzugsanstalt wacht und thront als heimlicher Pate Martin Semmelrogge. Der Schauspieler, dessen Hafterfahrungen von den Boulevardmedien weidlich ausgeschlachtet wurden, trägt auch in der Serienwirklichkeit seinen eigenen Namen. Seine Episodenauftritte sind kurz, aber von eminenter Bedeutung.
Positiv fällt auf, wie kundig mediale und popkulturelle Phänomene aufgegriffen und nonchalant in die Geschichten eingeflochten werden, sei es ein Poster von Conchita Wurst, das den homophoben Erdem zutiefst verstört, seien es ironische Gastauftritte wie der von Katy Karrenbauer, die mit der RTL-Serie „Hinter Gittern – Der Frauenknast“ bekannt wurde. Weitere Episodenrollen spielen unter anderem Max Giermann und Anke Engelke. Späße werden nicht nach überholtem Sitcom-Muster im 30-Sekundenrhythmus serviert, eingespielte Lacher sind ja ohnehin nicht mehr üblich. Der Humor ist unterschwellig angelegt, mit gelegentlichen Ausbrüchen von Slapstick und Dialogwitz, die umso wirksamer ausfallen, wenn sie überraschend kommen. Und trotz der wenigen Schauplätze und Handlungsoptionen zeigen sich nach den ersten vier Folgen noch keine Ermüdungserscheinungen. Man darf gespannt sein, ob dieses Niveau gehalten werden kann. (Text-Stand: 27.4.2015)