Headhunter Clemens Trunschka bekommt noch einmal die Chance, beim Spiel der Mächtigen und Erfolg-Reichen dabei zu sein. Für einen großen deutschen Automobilkonzern soll er den Chief Executive Officer vom Global Player Houston-Petrol abwerben. Dazu aber muss er erst einmal an jenen sagenhaften Steve Ringer herankommen. Weil Trunschka wegen ein paar Drinks zu viel die Möglichkeit in Deutschland verpasst, muss er in die Höhle des Löwen reisen: nach Houston, Texas. Dort scheitern zunächst sämtliche Versuche, Kontakt mit Ringer aufzunehmen. Vielleicht kann ihm ja der Geschäftsreisende Robert Wagner, den er im Hotel kennenlernt, weiterhelfen – gerade weil er ein so distanzloser Ami ist und dem reservierten Deutschen ziemlich auf die Nerven geht. Ob es allerdings eine so gute Idee ist, Fotos von Ringer und seiner heimlichen Geliebten zu machen, um so ein Treffen zu erzwingen?!
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Trunschka ist ein Mann, der sich selbst verloren hat. Ein einsamer Anzugträger, der sich mit Mantras von CD die Businesswelt zurechtlegt und sich eigene Stärke suggeriert, der einem Bild von sich nachjagt, das er nie erfüllen wird, so wie er jenem Ringer hinterherhechelt, den er nie zu Gesicht bekommen wird. Ulrich Tukur spielt jenen Headhunter in Bastian Günthers Kinokoproduktion „Houston“. Der Ausnahmeschauspieler ist in jeder Szene präsent – und auch wenn hier das Charisma, das er seinen oft faszinierend doppelgesichtigen Figuren schenkt nach und nach aus seinen Gesichtszügen und seinem erschlafften Körper weicht, bleibt Tukur in seiner Hinfälligkeit ein kraftvolles Zentrum des Verfalls. Eine gute Hälfte des Films hält sein Trunschka die Fassade aufrecht. Das Eis seines Drinks klirrt beiläufig, der Blick bleibt lange Zeit klar, seine Gesten wirken kontrolliert. Doch irgendwann geht nichts mehr. Die Stütze der deutschen Wirtschaft bricht in sich zusammen, erkennt in der geradezu kafkaesken Ohnmachtserfahrung die Sinnlosigkeit seines eigenen Tuns. Und weil das gottähnliche Gegenüber, das sich auch in der kühlen Welt der Wolkenkratzer spiegelt, so gnadenlos dem kleinen Mann aus Deutschland seine Bedeutungslosigkeit spiegelt, hat Tukurs Trunschka unsere ganze Sympathie. Selten kam man einem Kino-Loser in einem Arthaus-Film so nahe. Auch, weil zuhause die Familie wartet, zu der er auch längst jeden Zugang verloren hat. Das spürt man früh. Jenny Schily muss nur eine einzige Träne vergießen.
Autorenfilmer Bastian Günther über seinen zweiten Langfilm „Houston“:
„Dieses System, der Kapitalismus, hält uns nicht nur gefangen – wir unterstützen es auch Tag für Tag wie Süchtige. Es geht in stark wirtschaftlich ausgelegten Systemen, ähnlich wie in dem eines Alkoholikers, nicht um die langfristige Perspektive, sondern um den schnellen Erfolg, die unmittelbare Befriedigung.“
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Nur selten bekommt man heute ein so stimmiges ästhetisches Konzept im deutschen Kino präsentiert (das auch im Fernsehen seine Wirkung nicht verfehlt) wie in diesem Film. So wie Bastian Günther und sein Kameramann Michael Kotschi die reizvollen gläsernen, himmelstürmenden Fassaden der US-Metropole mit Bedeutung aufladen und wie Soundtüftler Michael Rother (ehemals Neu!) atmosphärisch erzählende Klänge erzeugt – das erinnert ein bisschen an Wim Wenders’ frühe amerikanische Phase („Paris, Texas“). Die Art und Weise dagegen, wie Günther die Menschen miteinander agieren lässt, wie er sie auf die Reise und durch die Landschaften schickt und wie er mit seinen Locations und Bildmotiven eine Ikonografie der Einsamkeit erschafft – darin steht er in „Houston“, seinem zweiten Langfilm nach „Autopiloten“, Christian Petzold, bei dem er als Regieassistent arbeitete, in nichts nach. Das Fenster zur Welt ist auch in dieser Stadt der Blick durch die Windschutzscheibe und ganz besonders ist es der Blick aus dem Fenster des gigantischen Hotelmolochs auf ähnlich verspiegelte Hochhausfassaden. Glas bestimmt die Szenerie. Und das Eis klirrt mal wieder.
Und dann – als Trunschka völlig neben sich steht – drehen auch die Bilder ab. Da erinnert die Ästhetik plötzlich an die Bildsprache des New Hollywood, lassen die 60er und 70er Jahre grüßen. Ein Auto dreht sich metaphorisch im Kreis, Flower-Power-Farb-Lichteffekte symbolisieren die Wahrnehmungsstörungen des Helden, der Rausch obsiegt über die Kälte, das Surreale gewinnt die Oberhand. Spätestens jetzt hebt der Film ab zu einer poetischen Parabel. Ein Mann auf dem Weg in die eigene Finsternis. Ein Mann, der einem unrealistischen Bild von sich nachjagt, einem „Ideal“, das ihm von außen aufoktroyiert wird und das seinem Wesen nicht entspricht. Bastian Günther wollte ihn „an einen Punkt schicken, an dem er schließlich realisiert, dass er keine Perspektive mehr in dem alten System hat.“ Nackt schaut er in die gläserne Fratze des Systems und spürt seine Entfremdung. (Text-Stand: 20.7.2015)