Es braut sich was zusammen über der katalanischen Metropole – und bald auch über dem Hotel Barcelona, ein in die Jahre gekommenes Fünf-Sterne-Traditionshaus. Nicht das Unwetter allein, das einen kompletten Hotelflügel zerstört hat, bereitet dem Besitzerehepaar Isabel Santos (Inka Friedrich) & Viktor Hansen (Herbert Knaup) Sorgen: Eine konkurrierende Hotel-Holding wirbt ihnen Großkunden ab; die Finanzierung der Sanierungsarbeiten wird zu einer riskanten Angelegenheit; außerdem scheint es eine undichte Stelle im Hotel zu geben, durch die Interna nach außen gelangen. Dass Tochter Laura (Mina Tander) plant, von Madrid nach Barcelona zu ziehen, könnte hilfreich sein, immerhin berät sie Hotels in Umweltfragen und versteht sich ausnehmend gut mit dem stellvertretenden Hoteldirektor Mateo (Vladimir Burlakov). Doch Mutter Isabel hält nicht viel von Nachhaltigkeit in einem Grande Hotel. Oder ist die unüberwindbar schwierige Beziehung zwischen ihr und ihrer Tochter der Grund, weshalb sie Lauras Vorschläge abschmettert? Probleme hat Laura auch mit ihrem halbwüchsigen Sohn. Seinetwegen der Umzug: Pedro (Tristán López) hat geklaut, hat Drogenprobleme und einen Unfall gebaut. Die Kosten dafür soll er sich jetzt in den Ferien unter der Aufsicht seines Patenonkels, Küchenchef Castillo Diaz (Manuel Cortez), im Hotel Barcelona verdienen. Dass Laura mit ihm in Barcelona bleiben will, weiß er noch nicht.
Foto: ZDF / Lucía Faraig
Die Sujets Hotel und Familie miteinander zu verbinden, hat eine lange Tradition im deutschen Fernsehen – vom „Forellenhof“ (1965) über „Hotel Paradies“ (1990) und „Traumhotel“ (2004-14) bis hin zu „Schwarzwaldhof“ (2008-12) und „Hotel Heidelberg“ (2016-19). Fürs sonntägliche „Herzkino“ haben nun Produzent Stefan Raiser, die Autoren Sebastian Wehlings & Christian Lyra sowie Regisseur Christian Theede eine zeitgemäße Genre-Variante erarbeitet, die die kleinen Lügen und großen Geheimnisse einer spanisch-deutschen Familie mit den ökonomischen und ökologischen Herausforderungen der Gegenwart clever kombiniert und dabei nie ihren telegenen Schauplatz Barcelona vergisst – mit seinem südländischen Flair, dem einzigartigen urbanen Strandpanorama, dem pulsierenden Großstadtleben und dem sonnig-himmelblauen Wetter, das nur ein einziges Mal auf Klimawandelkurs getrickst wurde. „Hotel Barcelona“ startet mit zwei 90-Minütern wie ein echter Zweiteiler, bei dem man es nicht mit einer verhaltenen, schleppenden Narration zu tun bekommt, die bei vielen anderen potenziellen Unterhaltungsfilm-Reihen zu beobachten ist und aus dem handelsüblichen Kalkül seriellen Erzählens resultiert, viele Episoden nachschieben zu können. Das ZDF spricht deshalb von Zweiteiler, Produzent Raiser von „einem Auftakt“; beides ist richtig.
Mögen sich auch die Erzählmuster an der gängigen Soap-Dramaturgie orientieren, so sieht das Ergebnis vom Ende her betrachtet zwar nicht völlig anders aus, doch auf dem Weg dorthin dürfte diese Handlung mit ihren hanebüchenen genreübergreifenden Kapriolen zumindest Freunde gut gemachter Unterhaltung in ihren Bann schlagen. Die halbe Miete ist dabei die Besetzung, Schauspieler, die fähig sind, mit einer gewissen Beiläufigkeit und Alltagsnähe der dichten Konfliktkonstruktion und den feinen Nuancen in der Tonlage beizukommen, die dem großen Drama aus Lebenslügen und Existenzschocks, erzählt in kleinen Momenten, die trivial wirken, verglichen mit der Schwere des Verhandelten, standhalten. Mina Tander, Herbert Knaup, Inka Friedrich und Vladimir Burlakov sind solche Schauspieler, und auch die weniger gestandenen Mimen wie Tristán López oder Lea Zoe Voss machen ihre Sache gut. „Hotel Barcelona“ braucht eine solche (namhafte) Besetzung, weil diese vermeintlich banalen Geschichten von den Zwischentönen leben. Sie entscheiden, ob man das bunte Treiben um Generationskonflikte, Schuld und Intrigen, um eine in royalen Zwängen gefangene Prinzessin, die politisch fremd geht, um globale und private Krisen womöglich abgeschmackt findet oder sich gern davon für drei märchenhafte Filmstunden gefangen nehmen lässt.
Foto: ZDF / Lucía Faraig
Der Intellekt wünscht sich möglicherweise andere, relevantere, komplexere Geschichten. Wie bei jedem Genrefilm aber resultiert auch bei einem Hotel-Familien-Drama mit Melodram-Komponente die Qualität der Narration aus dem Erzählten und besonders aus der Art und Weise, wie es dramaturgisch strukturiert und filmisch inszeniert wird. „Hotel Barcelona“ gehört im Rahmen dessen, was in den letzten Jahren unter dem Label „Herzkino“ zu sehen war, handwerklich zum Besten. Ob in beziehungsreichen Zweier- oder informationshaltigen Gruppenszenen – die Dialogführung setzt zwar weniger auf den Eigensinn der Charaktere (wie das beispielsweise Sathyan Ramesh in „Süßer Rausch“ machte, einem anderen ZDF-Zweiteiler mit Option auf mehr), ist dafür aber zweckdienlich präzise und stellt sich ganz in den Dienst der Handlung. Die vielen Suplots sind abwechslungsreich miteinander verwoben und erzeugen aus sich selbst heraus – ähnlich wie in einem guten Krimi – einen stimmigen Erzählfluss, unerwartete Koalitionen inklusive. Vor allem im zweiten Teil überschlagen sich im Schlussdrittel die Ereignisse, wird ein Konflikt nach dem anderen zu seiner Auflösung getrieben. Auch das Spiel für den Zuschauer aus Mehr-Wissen und Weniger-Wissen als einige Figuren ist wirkungsvoll austariert. Und dass sich Charaktere als ambivalenter als gedacht entpuppen, mag ein wohlfeiler Autorentrick sein, auf jeden Fall aber erhöht er die Spannung. Das allerdings gilt nicht für das zwar beliebte, aber deshalb umso abgegriffenere Ich-habe-den-passenden-Zeitpunkt- verpasst-Muster, das hier prompt den unwissenden Pedro trifft.
Neben den charismatischen Schauspielern und der effektiven Dramaturgie trägt auch die filmästhetische Umsetzung maßgeblich zum guten Gesamteindruck von „Hotel Barcelona“ bei. Dazu gehören das elegante Szenenbild mit edler Ausstattung en detail, Farbarrangements vom Feinsten, aber auch die Suche nach stimmigen Outdoor-Locations, die über den visuellen Reiz hinaus auch der Geschichte guttun (so beispielsweise ein kurzer Ausflug in ein schäbiges Subkul-turviertel), und der Versuch, den Hoteltunnelblick zu öffnen für optische „Abenteuer“ – sei es ein phänomenaler Blick durch eine Büro-Glasfront auf Barcelona, ein versonnener Meerblick in der Abenddämmerung oder eine rasante Motorradjagd durch Barcelonas Straßen. Sollte es mit den Santos weitergehen, gern mehr solcher sinnlicher Hotelfluchten.