Herzchirurg Paul Hoffmann (Paul Noori) eröffnet Caroline Binder (Martina Gedeck), dass sie an einer hochgradigen Herzinsuffizienz leide und so schnell wie möglich operiert werden sollte. Die Architektin, die ihren Beruf wegen der Herzschwäche bereits aufgegeben hat, flüchtet erst einmal auf die Krankenhaustoilette. In der Nebenkabine hustet und spuckt eine Frau, die Caroline Binder auch für „eine Patientin aus der ersten Klasse“ hält. Erika Pielach (Ruth Brauer-Kvam) allerdings ist die Krankenhaus-Psychiaterin, die sich in den Pausen gerne zum Rauchen und Quatschen mit dem befreundeten Herzchirurgen auf dem wild wuchernden Dachgarten trifft. Und die in dieser Literaturverfilmung eine wichtige Nebenrolle spielt, weil diese Figur der auf die Dauer doch arg anstrengenden Selbstbezogenheit der Ex-Architektin mit Mustergatte (Rainer Wöss) und Traumhaus noch einen anderen Blick auf die Welt hinzufügt. Und bei der es auch nicht pathetisch und hohl klingt, wenn sie sagt: „Das Leben muss man feiern, jeden Tag. Das will ich mir nicht durch euer Mitleid vermiesen lassen.“
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Caroline Binder hat verständlicher Weise Angst vor der Operation, wird von Alpträumen geplagt und kippt beim Tai Chi um. Sie ruft den Chirurgen an und sagt die OP ab („Sie leben auch nicht ewig, Herr Doktor“). Warum manche Menschen an Krankheiten festhielten wie an alten Gewohnheiten, will der Chirurg auf dem Krankenhaus-Dach wissen. „Weil sie sie brauchen“, gibt die Psychiaterin eine geradezu prophetische Antwort. Denn Caroline entschließt sich dann doch zur OP und entwickelt trotz erfolgreichen Verlaufs obsessive Züge. Das Herz ist ja als lebenswichtiges Organ auch metaphorisch stark aufgeladen. Aber wenn Caroline sagt: „Er hat mein Herz berührt“, ist das hier ganz wörtlich gemeint. Ihr erscheint der Arzt im Traum, sie macht ihm zuerst Vorwürfe („Sie haben mir meine Ruhe genommen“), scheint sich dann zu ihm hingezogen zu fühlen und verfolgt ihn über die Krankenhausflure.
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Wie sich diese Frau langsam verwandelt, sich immer mehr zurückzieht und gleichzeitig das Leiden am und mit dem operierten Herzen zur Obsession wird, wird in ruhigem Tempo, mit Gedeck’scher Grandezza und visueller Ausdruckskraft erzählt. Damit sind nicht nur die Visionen von Caroline gemeint, die als Astronautin verloren durch den Weltraum schwebt. Die Kamera von Jörg Widmer macht auch aus den abgefilmten Schauplätzen besondere Orte. Das Anwesen der Binders mit seiner prachtvollen, idyllischen Atmosphäre. Das Krankenhaus-Foyer, vor dessen riesiger Glasfront das städtische Leben – der stetige Verkehrsstrom – niemals abreißt. Und Wien selbst, bei Tag und bei Nacht, eine fremd und fern bleibende Hochhaus-Wüste, in die die österreichisch-deutsche Koproduktion nur selten eintaucht.
Elisabeth Scharangs Inszenierung der gleichnamigen Novelle von Julya Rabinowich setzt auf leise, nachdenkliche Töne und gewinnt über weite Strecken eine poetische Atmosphäre. Sehr schön Carolines Flirt mit der Straßenmusikerin, dargestellt von der österreichischen Songwriterin Clara Luzia. Und wenn die Psychiaterin ihrer Enkelin Geschichten vorliest, muss kein weiteres Wort mehr über die Tragödie einer todbringenden Krankheit verloren werden. Man hätte sich aber noch mehr solcher leichter, tragikomischer Szenen gewünscht wie Carolines spontane „Paar-Beratung“ in der Cafeteria des Krankenhauses, nach der die beiden Frauen ihre Beziehung wohl überdenken werden. Und manchmal, wenn zum Beispiel Burgschauspieler Branko Samarovski in einer einzigen Szene als Ein-Mann-Putzkolonne einen bedeutungsschwangeren Spruch raushaut („Wenn man nicht unglücklich ist, vergisst man, dass man nicht glücklich ist“), wirkt die Inszenierung auch etwas abgehoben und selbstverliebt. Dennoch ist Scharang mit „Herzjagen“ insgesamt ein berührender Film über die Angst vor dem Tod und den Wert des Lebens gelungen. (Text-Stand: 28.5.2020)