Götter in Weiß

Michelsen, Messutat, Sarnau, Frischholz/Tensing, Fischer. Die unsichtbare Gefahr

Foto: NDR / Volker Roloff
Foto Rainer Tittelbach

Eine Chirurgin an einem kleinstädtischen Krankenhaus fühlt sich systematisch hintergangen – vom Klinikchef, von ihrem Göttergatten und ihrer besten Freundin, die seit Jahren mit ihr als Oberschwester vertrauensvoll zusammenarbeitet. Nach Komplikationen bei einer Routine-OP will man sie zum Sündenbock machen. Mit dem moderaten Mitteln eines Medizinthrillers wird das Thema Infektion durch Krankenhauskeime ins Zentrum der Geschichte gerückt. Mochte es Regisseur Elmar Fischer in seinen gesellschaftspolitisch spannenden Thrillern „Unterm Radar“ und „Im Dschungel“ bisher gern eine Nummer knalliger – so überantwortet er die Tonlage von „Götter in Weiß“ (NDR / Cinecentrum Berlin) ganz seiner Hauptfigur und seiner überragenden Hauptdarstellerin, die das Drama sehr zurückgenommen spielt.

Ob als Oberärztin der Chirurgie, als Ehefrau, als Mutter eines verhaltensauffälligen Sohnes oder als Besitzerin einer Liebhaber-Immobilie – Anna Hellberg (Claudia Michelsen) ist eine besonnene Frau. Doch plötzlich wächst ihr alles über den Kopf. Bei einer Routine-Operation erleidet ein Mädchen einen allergischen Schock – aufgrund eines Antibiotikums, das sie nicht verabreicht hat; im Blut aber ist es nachweisbar. Anna fühlt sich systematisch hintergangen – von Klinikchef Dr. Barna (Sebastian Rudolph), bald auch von ihrem Ehemann Gunnar (Jan Messutat), der am gleichen Klinikum einer Kleinstadt an der mecklenburgischen Seenplatte praktiziert, selbst ihre beste Freundin Franziska (Anneke Kim Sarnau), Oberschwester und bei zahllosen OPs vertrauensvoll an ihrer Seite, hat sie monatelang belogen. Die Klinik steht mit einem Bein in der Insolvenz – und hat ein immenses Problem mit der Hygiene. Dabei scheint es sich um mehr zu handeln als um ein paar verdreckte Klemmen oder mal ein nicht steriles Operationsbesteck. Anna wird sich entscheiden müssen: Will sie ihrer Verantwortung als Ärztin gegenüber ihren Patienten weiterhin 100 Prozent gerecht werden oder ist sie zu einem Kompromiss bereit? Ihr Mann scheint sich für den pragmatischen Weg entschieden zu haben.

Götter in WeißFoto: NDR / Volker Roloff
Bei der Chirurgin eines kleinstädtischen Krankenhauses keimt ein schlimmer Verdacht auf. Braucht der Klinikchef einen Sündenbock? Claudia Michelsen & Sebastian Rudolph

Systematisch wird der Heldin des Fernsehfilms „Götter in Weiß“ die Vertrauensbasis entzogen. Ausgerechnet sie wird zum Sündenbock für etwas gemacht, das sie als Letzte zu verantworten hat. Mit dem moderaten Mitteln eines Medizinthrillers wird das Thema Infektion durch Krankenhauskeime mehr und mehr in den Mittelpunkt der Geschichte gerückt. Die Glaubwürdigkeit des Films steht und fällt mit Hauptdarstellerin Claudia Michelsen. Sie und die Entscheidung der Autoren Andrea Frischholz und Jörg Tensing, dieser Figur ein Gesicht zu geben, das über ihre Rolle als Ärztin hinausgeht, sind mitentscheidend für die nachhaltige Überzeugungskraft dieses TV-Dramas. Denn durch die Beziehungs- und Freundschafts-Geschichte erfährt die Heldin gleich einen mehrfachen Verrat – und ihre grundsätzlichen Überlegungen kreisen so nicht nur um das gesundheitliche Wohl ihrer Patienten, sondern auch um die eigenen Glückserwartungen. Diese Frau nutzt die eine Krise, um mögliche weitere Krisen ins Visier zu nehmen. Das Nicht-mehr-so-genau-Hinschauen – dieses Phänomen erkennt die Ärztin nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in ihrer Beziehung. Dieses ausgelaugte Nebeneinanderherleben, das Aufgeben alter Ideale für ein bisschen Luxus, von dem man vor lauter Überstunden sowieso nichts hat. Was anfangs noch wie eine liebevolle Beziehung aussieht, das sind bald nur noch zwei voneinander entfremdete Einzelwesen.

Regisseur Elmar Fischer über den Fernsehfilm „Götter in Weiß“ (NDR):

„Wir haben im Vorfeld überlegt, welche Krankenhaus-Thriller gibt es überhaupt? Dabei fielen uns eher Filmbeispiele ein, von denen wir uns entfernen wollten. Zugleich wollten wir weg von der Krankenhausästhetik der Fernsehserien.“

„Meine Hoffnung wäre es, dass der Zuschauer sagt, egal ob Arzt, Busfahrer oder Journalist: Das kenne ich, das ist bei uns genauso! Auch wir bauen immer mehr Personal ab, auch wir fahren immer längere Schichten und halten immer seltener Sicherheitsstandards ein. Insofern beansprucht unser Film Allgemeingültigkeit.“

Götter in WeißFoto: NDR / Volker Roloff
Kann sich Anna (Claudia Michelsen) noch auf Oberschwester Franziska (Anneke Kim Sarnau) verlassen? Privat ist sie ihre beste Freundin, aber beruflich hat sie Zweifel.

Die Geschichte einer letztlich kriminellen Verdeckung in einem jener typischen privatisierten Kleinstadtkrankenhäuser auf das Drama der weiblichen Hauptfigur auszuweiten, ist nicht zuletzt auch deshalb sinnvoll, weil diese Geschichte von der Ärztin, die zerrieben wird zwischen Auftrag und Praxis, in den Möglichkeiten ihrer dramaturgischen Darstellung begrenzt ist. Mag sie gesellschaftspolitisch auch noch so relevant sein: Der Keim ist ebenso wenig sexy wie ein OP-Saal, in dem sich ein lebensbedrohlicher Erreger eingenistet hat oder wie Ärzte, die um ihren Job Angst haben, oder Chefs, die auf Sündenböcke setzen und Hausverbote erteilen. Viel wichtiger sind ohnehin die Motive, die Antworten darauf, weshalb Menschen die Dinge tun, die sie tun. Und da ist es nicht verkehrt, über den Tellerrand der medizinischen Praxis hinauszublicken. So thematisiert der Film auch den freiwilligen Verzicht auf Qualitätsstandards in vielen Bereichen der Gesellschaft. „Das hat sich doch was verschoben, jedes Jahr, Stück für Stück“, stellt denn auch die Michelsen-Figur im Gespräch mit ihrer besten Freundin fest, „und auf einmal ist es so, dass man es akzeptiert, als ob es so immer schon gewesen wäre.“ Äußere Zwänge, die einem innere Entscheidungen abnehmen, so kann und will die Heldin nicht weitermachen. Auch wenn man ihr sagt: „Das ist doch überall so.“ Dieser Frau nimmt man ihre Zweifel am System ab, gerade weil Michelsen sie so unaufgeregt, uneitel und bescheiden spielt. Sie nimmt sich zurück und macht damit das Ganze zu ihrem ureigenen Problem. Sie stilisiert weder sich laut zum Opfer, noch versucht sie, wie es ein investigativer Journalist tun würde, das Thema für sich auszuschlachten. Das Drama – das ist seine besondere Stärke – wird bewegt von der moralischen Messlatte der Hauptfigur.

Mochte es Regisseur Elmar Fischer in seinen gesellschaftspolitisch spannenden Thrillern „Unterm Radar“ und „Im Dschungel“ bisher gern eine Nummer knalliger – so überantwortet er die Tonlage von „Götter in Weiß“ ganz seiner Hauptfigur und seiner überragenden Hauptdarstellerin. Anfangs erkennt jene Anna Hellberg (ein schöner, treffender Name) eine mangelnde Verantwortungsbereitschaft bei ihrem Mann. Wenig später kommt sie der Klinikleitung auf die Spur: Diese Verantwortungslosigkeit ist dagegen schon hochgradig kriminell. Beide Haltungen erinnern sie fatal an die „Ich-war’s-nicht“-Spielchen ihres pubertierenden Sohnes. In einer eindrucksvollen Szene, in der sie die neuen Fensterscheiben fürs Haus zerschlägt, verdichtet sich ihre Verzweiflung. Auch in einer anderen Szene wirkt die Filmsprache sehr beunruhigend auf das Geschehen ein. „Ich hab alles getan, was ich kann“, sagt die Ärztin nach der wiederholten OP, bei der sie das entzündete Gewebe ihrer jungen Patientin entfernt hat. „Reicht das denn, alles zu tun, was sie können“, fragt sie der Vater des Kindes, der so viel Vertrauen gesetzt hat in diese Ärztin, die er noch nach der ersten Operation überschwänglich umarmt hatte. Bei diesem Wortwechsel geht die Kamera ganz nah ran, schneidet Ärztin und Vater schräg an – und bringt damit zum Ausdruck, wie Nichtwissen, Zweifel und Verzweiflung plötzlich ganz nah beieinander liegen. Und auch die zunehmende Isolierung der Heldin findet ihren ästhetischen Widerhall in den eindrucksvollen Bildern (von Kameramann Philipp Sichler): Paddelt sie anfangs noch mit der Freundin wird es bald einsam um sie herum. Integer zu sein, macht nur selten glücklich. (Text-Stand: 14.10.2017)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

NDR

Mit Claudia Michelsen, Jan Messutat, Sebastian Rudolph, Anneke Kim Sarnau, Stefan Ruppe, Antonia Wannek

Kamera: Philipp Sichler

Szenenbild: Wolfgang Arens

Schnitt: Eva Lopez Echegoyen

Musik: Matthias Beine

Redaktion: Sabine Holtgreve

Produktionsfirma: Cinecentrum Berlin

Produktion: Doris Büning, Dagmar Rosenbauer

Drehbuch: Andrea Frischholz, Jörg Tensing

Regie: Elmar Fischer

Quote: 4,18 Mio. Zuschauer (13,6% MA)

EA: 15.11.2017 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach